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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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AUSGLEICHUNG DER STAENDE.
scheinlich, dass diese zurückzuführen ist auf das hortensische
Gesetz von 467. -- Indess darf man bei diesen der Form
nach demokratischen Erweiterungen der Competenz der Bür-
gerversammlungen nicht vergessen, dass in der That der prak-
tische Einfluss derselben auf die Staatsangelegenheiten mehr
und mehr zu schwinden begann. Abgesehen davon, dass die
Abhängigkeit der Debatte von der Willfährigkeit des Vorsitzenden
und die Unzulässigkeit der Amendementsstellung diesen Ver-
sammlungen einen wesentlichen Theil ihrer Bedeutung raubte,
ist wohl zu erwägen, dass mit der Erweiterung der römischen
Grenzen diese Urversammlungen ihren rechten Boden verloren.
Eine Versammlung der Grundsässigen des Weichbildes konnte
recht wohl in genügender Vollzähligkeit sich zusammenfinden
und recht wohl wissen was sie wollte, auch ohne zu discutiren;
eine Versammlung der Staatsbürger dagegen war, von einzel-
nen ausserordentlichen Fällen abgesehen, in ihrer Zusammen-
setzung wie in ihrer Entscheidung wesentlich theils den in
der Hauptstadt domicilirten Bürgern in die Hände gegeben,
theils vom Zufall abhängig. Die Stimmordnung nach Distric-
ten oder Centurien arbeitete diesem Uebelstand zwar einiger-
massen, aber keineswegs genügend entgegen. Es ist daher
vollkommen erklärlich, dass die Comitien, die in den beiden
ersten Jahrhunderten der Republik eine grosse und praktische
Wichtigkeit haben, allmählich beginnen ein reines Werkzeug
in der Hand des vorsitzenden Beamten zu werden; freilich
ein sehr gefährliches, da der zum Vorsitz berufenen Beamten
so viele waren und jeder Beschluss der Gemeinde galt als der
legale Ausdruck des Volkswillens in letzter Instanz. Indess
für jetzt machte sich diese beginnende Zerrüttung der Ver-
fassung hauptsächlich nur insofern geltend, als die Comitien
nicht leicht störend eingriffen in das Regiment des Senats.

Denn in der That war es der Senat, der die Gemeinde
regierte, und fast ohne Widerstand seit der Ausgleichung der
Stände. Seine Zusammensetzung selbst war eine andere ge-
worden durch das ovinische Gesetz, das etwa um die Mitte
dieser Periode zu fallen scheint; dasselbe übertrug anstatt der
Consuln den Censoren die Auswahl der Senatoren, indem es
sie zugleich anwies die gewesenen Beamten vorzugsweise zu
berücksichtigen und nur aus besonderen Gründen einen sol-
chen Expectanten auszuschliessen. So ruhte der Senat im
Wesentlichen nicht mehr auf der Willkür eines Beamten, son-
dern indirect auf der Wahl durch das Volk. Andrerseits

AUSGLEICHUNG DER STAENDE.
scheinlich, daſs diese zurückzuführen ist auf das hortensische
Gesetz von 467. — Indeſs darf man bei diesen der Form
nach demokratischen Erweiterungen der Competenz der Bür-
gerversammlungen nicht vergessen, daſs in der That der prak-
tische Einfluſs derselben auf die Staatsangelegenheiten mehr
und mehr zu schwinden begann. Abgesehen davon, daſs die
Abhängigkeit der Debatte von der Willfährigkeit des Vorsitzenden
und die Unzulässigkeit der Amendementsstellung diesen Ver-
sammlungen einen wesentlichen Theil ihrer Bedeutung raubte,
ist wohl zu erwägen, daſs mit der Erweiterung der römischen
Grenzen diese Urversammlungen ihren rechten Boden verloren.
Eine Versammlung der Grundsässigen des Weichbildes konnte
recht wohl in genügender Vollzähligkeit sich zusammenfinden
und recht wohl wissen was sie wollte, auch ohne zu discutiren;
eine Versammlung der Staatsbürger dagegen war, von einzel-
nen auſserordentlichen Fällen abgesehen, in ihrer Zusammen-
setzung wie in ihrer Entscheidung wesentlich theils den in
der Hauptstadt domicilirten Bürgern in die Hände gegeben,
theils vom Zufall abhängig. Die Stimmordnung nach Distric-
ten oder Centurien arbeitete diesem Uebelstand zwar einiger-
maſsen, aber keineswegs genügend entgegen. Es ist daher
vollkommen erklärlich, daſs die Comitien, die in den beiden
ersten Jahrhunderten der Republik eine groſse und praktische
Wichtigkeit haben, allmählich beginnen ein reines Werkzeug
in der Hand des vorsitzenden Beamten zu werden; freilich
ein sehr gefährliches, da der zum Vorsitz berufenen Beamten
so viele waren und jeder Beschluſs der Gemeinde galt als der
legale Ausdruck des Volkswillens in letzter Instanz. Indeſs
für jetzt machte sich diese beginnende Zerrüttung der Ver-
fassung hauptsächlich nur insofern geltend, als die Comitien
nicht leicht störend eingriffen in das Regiment des Senats.

Denn in der That war es der Senat, der die Gemeinde
regierte, und fast ohne Widerstand seit der Ausgleichung der
Stände. Seine Zusammensetzung selbst war eine andere ge-
worden durch das ovinische Gesetz, das etwa um die Mitte
dieser Periode zu fallen scheint; dasselbe übertrug anstatt der
Consuln den Censoren die Auswahl der Senatoren, indem es
sie zugleich anwies die gewesenen Beamten vorzugsweise zu
berücksichtigen und nur aus besonderen Gründen einen sol-
chen Expectanten auszuschlieſsen. So ruhte der Senat im
Wesentlichen nicht mehr auf der Willkür eines Beamten, son-
dern indirect auf der Wahl durch das Volk. Andrerseits

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[199/0213] AUSGLEICHUNG DER STAENDE. scheinlich, daſs diese zurückzuführen ist auf das hortensische Gesetz von 467. — Indeſs darf man bei diesen der Form nach demokratischen Erweiterungen der Competenz der Bür- gerversammlungen nicht vergessen, daſs in der That der prak- tische Einfluſs derselben auf die Staatsangelegenheiten mehr und mehr zu schwinden begann. Abgesehen davon, daſs die Abhängigkeit der Debatte von der Willfährigkeit des Vorsitzenden und die Unzulässigkeit der Amendementsstellung diesen Ver- sammlungen einen wesentlichen Theil ihrer Bedeutung raubte, ist wohl zu erwägen, daſs mit der Erweiterung der römischen Grenzen diese Urversammlungen ihren rechten Boden verloren. Eine Versammlung der Grundsässigen des Weichbildes konnte recht wohl in genügender Vollzähligkeit sich zusammenfinden und recht wohl wissen was sie wollte, auch ohne zu discutiren; eine Versammlung der Staatsbürger dagegen war, von einzel- nen auſserordentlichen Fällen abgesehen, in ihrer Zusammen- setzung wie in ihrer Entscheidung wesentlich theils den in der Hauptstadt domicilirten Bürgern in die Hände gegeben, theils vom Zufall abhängig. Die Stimmordnung nach Distric- ten oder Centurien arbeitete diesem Uebelstand zwar einiger- maſsen, aber keineswegs genügend entgegen. Es ist daher vollkommen erklärlich, daſs die Comitien, die in den beiden ersten Jahrhunderten der Republik eine groſse und praktische Wichtigkeit haben, allmählich beginnen ein reines Werkzeug in der Hand des vorsitzenden Beamten zu werden; freilich ein sehr gefährliches, da der zum Vorsitz berufenen Beamten so viele waren und jeder Beschluſs der Gemeinde galt als der legale Ausdruck des Volkswillens in letzter Instanz. Indeſs für jetzt machte sich diese beginnende Zerrüttung der Ver- fassung hauptsächlich nur insofern geltend, als die Comitien nicht leicht störend eingriffen in das Regiment des Senats. Denn in der That war es der Senat, der die Gemeinde regierte, und fast ohne Widerstand seit der Ausgleichung der Stände. Seine Zusammensetzung selbst war eine andere ge- worden durch das ovinische Gesetz, das etwa um die Mitte dieser Periode zu fallen scheint; dasselbe übertrug anstatt der Consuln den Censoren die Auswahl der Senatoren, indem es sie zugleich anwies die gewesenen Beamten vorzugsweise zu berücksichtigen und nur aus besonderen Gründen einen sol- chen Expectanten auszuschlieſsen. So ruhte der Senat im Wesentlichen nicht mehr auf der Willkür eines Beamten, son- dern indirect auf der Wahl durch das Volk. Andrerseits

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/213>, abgerufen am 02.05.2024.