Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.ZWEITES BUCH. KAPITEL III. von 416 wohl nicht verschieden ist, in der Art entzogen, dasssie jeden Beschluss der Centurien im Voraus zu bestätigen angewiesen wurden. -- Länger behaupteten begreiflicher Weise die Geschlechter ihre religiösen Vorrechte; ja an manche der- selben, die ohne politische Bedeutung waren, wie namentlich an ihre ausschliessliche Wählbarkeit zu den drei höchsten Flaminaten und dem sacerdotalen Königthum, hat man nie- mals gerührt. Dagegen waren die beiden Collegien der Pon- tifices und der Auspices, an welche die Kunde des Rechtes und ein bedeutender Einfluss auf die Comitien sich knüpfte, zu wichtig als dass diese Sonderbesitz der Patricier hätten bleiben können; das ogulnische Gesetz vom Jahre 454 erklärte auch die Plebejer für wählbar in dieselben, und seitdem ist überall nicht mehr die Rede von dem Hader der Geschlechter und der Gemeinen, der so lange den Staat bewegt und so zweck- los das öffentliche Leben zerrüttet und vergiftet hatte. In der That aber hörte der Geschlechtsadel in Rom auf eine politische Institution zu sein schon mit den licinisch-sextischen Gesetzen: seine späteren Widerspenstigkeiten sind nichts als gleichgültige Umtriebe schmollender Junker. Mit Recht weihte Marcus Furius Camillus nach dem Durchgang jener Rogation desswegen der Eintracht ein Heiligthum, auf einer über der alten Malstatt der Bürgerschaft, dem Comitium erhöheten Flä- che am Fusse des Capitols, wo der Senat häufig zusammenzu- treten pflegte; dieser Platz hiess seitdem der Eintrachtsplatz. Es war die letzte öffentliche Handlung des alten Vorkämpfers der Adelspartei und eine seiner schönsten, die religiöse Weihe der Ausgleichung und Sühnung des nur zu lange fortgespon- nenen Zwistes. Ein anderer Gegensatz tieferer Begründung und ernst- ZWEITES BUCH. KAPITEL III. von 416 wohl nicht verschieden ist, in der Art entzogen, daſssie jeden Beschluſs der Centurien im Voraus zu bestätigen angewiesen wurden. — Länger behaupteten begreiflicher Weise die Geschlechter ihre religiösen Vorrechte; ja an manche der- selben, die ohne politische Bedeutung waren, wie namentlich an ihre ausschlieſsliche Wählbarkeit zu den drei höchsten Flaminaten und dem sacerdotalen Königthum, hat man nie- mals gerührt. Dagegen waren die beiden Collegien der Pon- tifices und der Auspices, an welche die Kunde des Rechtes und ein bedeutender Einfluſs auf die Comitien sich knüpfte, zu wichtig als daſs diese Sonderbesitz der Patricier hätten bleiben können; das ogulnische Gesetz vom Jahre 454 erklärte auch die Plebejer für wählbar in dieselben, und seitdem ist überall nicht mehr die Rede von dem Hader der Geschlechter und der Gemeinen, der so lange den Staat bewegt und so zweck- los das öffentliche Leben zerrüttet und vergiftet hatte. In der That aber hörte der Geschlechtsadel in Rom auf eine politische Institution zu sein schon mit den licinisch-sextischen Gesetzen: seine späteren Widerspenstigkeiten sind nichts als gleichgültige Umtriebe schmollender Junker. Mit Recht weihte Marcus Furius Camillus nach dem Durchgang jener Rogation deſswegen der Eintracht ein Heiligthum, auf einer über der alten Malstatt der Bürgerschaft, dem Comitium erhöheten Flä- che am Fuſse des Capitols, wo der Senat häufig zusammenzu- treten pflegte; dieser Platz hieſs seitdem der Eintrachtsplatz. Es war die letzte öffentliche Handlung des alten Vorkämpfers der Adelspartei und eine seiner schönsten, die religiöse Weihe der Ausgleichung und Sühnung des nur zu lange fortgespon- nenen Zwistes. Ein anderer Gegensatz tieferer Begründung und ernst- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0208" n="194"/><fw place="top" type="header">ZWEITES BUCH. KAPITEL III.</fw><lb/> von 416 wohl nicht verschieden ist, in der Art entzogen, daſs<lb/> sie jeden Beschluſs der Centurien im Voraus zu bestätigen<lb/> angewiesen wurden. — Länger behaupteten begreiflicher Weise<lb/> die Geschlechter ihre religiösen Vorrechte; ja an manche der-<lb/> selben, die ohne politische Bedeutung waren, wie namentlich<lb/> an ihre ausschlieſsliche Wählbarkeit zu den drei höchsten<lb/> Flaminaten und dem sacerdotalen Königthum, hat man nie-<lb/> mals gerührt. 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Die reichen und ange-<lb/> sehenen Familien, die factisch das Regiment ausschlieſslich in<lb/> Händen hatten und social immer mehr zu einem eigenen<lb/> scharf abgeschlossenen Stande erwuchsen, standen in den<lb/> Interessen wie in den Ansichten bestimmt entgegen sowohl<lb/> der mittleren und kleinen Bauerschaft als der nicht mit Grund-<lb/> besitz ansässigen Menge, welche letztere jetzt zuerst in der<lb/> politischen Geschichte hervorzutreten beginnt. Diese Gegensätze<lb/> aufheben zu wollen konnte einem praktischen Staatsmann nicht<lb/> einfallen; wohl aber war es eine wichtige Aufgabe, ja die erste<lb/> von allen, den Mittelstand zu conserviren und dem entgegen-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [194/0208]
ZWEITES BUCH. KAPITEL III.
von 416 wohl nicht verschieden ist, in der Art entzogen, daſs
sie jeden Beschluſs der Centurien im Voraus zu bestätigen
angewiesen wurden. — Länger behaupteten begreiflicher Weise
die Geschlechter ihre religiösen Vorrechte; ja an manche der-
selben, die ohne politische Bedeutung waren, wie namentlich
an ihre ausschlieſsliche Wählbarkeit zu den drei höchsten
Flaminaten und dem sacerdotalen Königthum, hat man nie-
mals gerührt. Dagegen waren die beiden Collegien der Pon-
tifices und der Auspices, an welche die Kunde des Rechtes
und ein bedeutender Einfluſs auf die Comitien sich knüpfte, zu
wichtig als daſs diese Sonderbesitz der Patricier hätten bleiben
können; das ogulnische Gesetz vom Jahre 454 erklärte auch
die Plebejer für wählbar in dieselben, und seitdem ist überall
nicht mehr die Rede von dem Hader der Geschlechter und
der Gemeinen, der so lange den Staat bewegt und so zweck-
los das öffentliche Leben zerrüttet und vergiftet hatte. In
der That aber hörte der Geschlechtsadel in Rom auf eine
politische Institution zu sein schon mit den licinisch-sextischen
Gesetzen: seine späteren Widerspenstigkeiten sind nichts als
gleichgültige Umtriebe schmollender Junker. Mit Recht weihte
Marcus Furius Camillus nach dem Durchgang jener Rogation
deſswegen der Eintracht ein Heiligthum, auf einer über der
alten Malstatt der Bürgerschaft, dem Comitium erhöheten Flä-
che am Fuſse des Capitols, wo der Senat häufig zusammenzu-
treten pflegte; dieser Platz hieſs seitdem der Eintrachtsplatz.
Es war die letzte öffentliche Handlung des alten Vorkämpfers
der Adelspartei und eine seiner schönsten, die religiöse Weihe
der Ausgleichung und Sühnung des nur zu lange fortgespon-
nenen Zwistes.
Ein anderer Gegensatz tieferer Begründung und ernst-
licherer Bedeutung befestigte sich nur um so mehr, seitdem
die Adelsprivilegien beseitigt waren. Die reichen und ange-
sehenen Familien, die factisch das Regiment ausschlieſslich in
Händen hatten und social immer mehr zu einem eigenen
scharf abgeschlossenen Stande erwuchsen, standen in den
Interessen wie in den Ansichten bestimmt entgegen sowohl
der mittleren und kleinen Bauerschaft als der nicht mit Grund-
besitz ansässigen Menge, welche letztere jetzt zuerst in der
politischen Geschichte hervorzutreten beginnt. Diese Gegensätze
aufheben zu wollen konnte einem praktischen Staatsmann nicht
einfallen; wohl aber war es eine wichtige Aufgabe, ja die erste
von allen, den Mittelstand zu conserviren und dem entgegen-
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