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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL II.
andere griechische Gesetze heimzubringen. Endlich im Jahr
303 wurden ,Zehnmänner zur Abfassung des Landrechts' aus
dem Adel gewählt, welche zugleich als höchste Beamte anstatt
der Consuln fungirten (decemviri consulari imperio legibus
scribundis
); das Volkstribunat so wie das Provocationsrecht
wurden suspendirt und die Zehnmänner nur verpflichtet die
beschworenen Freiheiten der Gemeinde nicht anzutasten. --
Erwägt man diese Massregeln in ihrem Zusammenhang, so
kann kaum ein anderer Zweck ihnen untergelegt werden als die
Beschränkung der consularischen Gewalt durch das geschrie-
bene Gesetz an die Stelle der tribunicischen Hülfe zu setzen.
Von beiden Seiten musste man sich überzeugt haben, dass es
so nicht bleiben konnte wie es war, und die Anarchie in
Permanenz erklären wohl die Gemeinde zu Grunde richtete,
aber in der That dabei ein reeller Erfolg für Niemand heraus-
kam. Ernsthafte Leute mussten einsehen, dass das Eingreifen
der Tribunen in die Administration so wie ihre Iudication
schlechterdings schädlich waren und der einzige wirkliche
Gewinn, den das Tribunat dem gemeinen Mann gebracht hatte,
der Schutz gegen parteiische Rechtspflege war, indem es als
eine Art Cassationsgericht die Willkür des Magistrats be-
schränkte. Ohne Zweifel ward, als die Plebejer ein geschrie-
benes Landrecht begehrten, von den Patriciern erwiedert, dass
dann der tribunicische Rechtschutz überflüssig werde; und
hierauf scheint von beiden Seiten nachgegeben zu sein. Es
ist nicht klar und vielleicht überhaupt nie bestimmt ausge-
sprochen worden, wie es werden sollte nach Abfassung des
Landrechts; die Absicht aber war vermuthlich, dass die Zehn-
männer bei ihrem Rücktritt dem Volke vorschlagen sollten
auf die tribuniscische Gewalt zu verzichten und die jetzt nicht
mehr nach Willkür, sondern nach geschriebenem Recht urthei-
lenden Consuln gewähren zu lassen.

Der Plan, wenn er bestand, war weise; es kam darauf
an, ob die leidenschaftlich erbitterten Gemüther hüben und
drüben diesen friedlichen Austrag annehmen würden. Die
Decemvirn des Jahres 303 brachten ihr Gesetz vor das Volk
und von diesem bestätigt wurde dasselbe, in zehn Erztafeln
eingegraben, auf dem Markt an der Rednerbühne vor dem
Rathhaus angeschlagen. Da indess noch ein Nachtrag erfor-
derlich schien, so ernannte man auf das Jahr 304 wieder
Zehnmänner, die noch zwei Tafeln hinzufügten; so entstand
das erste und einzige römische Landrecht, das Gesetz der

ZWEITES BUCH. KAPITEL II.
andere griechische Gesetze heimzubringen. Endlich im Jahr
303 wurden ‚Zehnmänner zur Abfassung des Landrechts‘ aus
dem Adel gewählt, welche zugleich als höchste Beamte anstatt
der Consuln fungirten (decemviri consulari imperio legibus
scribundis
); das Volkstribunat so wie das Provocationsrecht
wurden suspendirt und die Zehnmänner nur verpflichtet die
beschworenen Freiheiten der Gemeinde nicht anzutasten. —
Erwägt man diese Maſsregeln in ihrem Zusammenhang, so
kann kaum ein anderer Zweck ihnen untergelegt werden als die
Beschränkung der consularischen Gewalt durch das geschrie-
bene Gesetz an die Stelle der tribunicischen Hülfe zu setzen.
Von beiden Seiten muſste man sich überzeugt haben, daſs es
so nicht bleiben konnte wie es war, und die Anarchie in
Permanenz erklären wohl die Gemeinde zu Grunde richtete,
aber in der That dabei ein reeller Erfolg für Niemand heraus-
kam. Ernsthafte Leute muſsten einsehen, daſs das Eingreifen
der Tribunen in die Administration so wie ihre Iudication
schlechterdings schädlich waren und der einzige wirkliche
Gewinn, den das Tribunat dem gemeinen Mann gebracht hatte,
der Schutz gegen parteiische Rechtspflege war, indem es als
eine Art Cassationsgericht die Willkür des Magistrats be-
schränkte. Ohne Zweifel ward, als die Plebejer ein geschrie-
benes Landrecht begehrten, von den Patriciern erwiedert, daſs
dann der tribunicische Rechtschutz überflüssig werde; und
hierauf scheint von beiden Seiten nachgegeben zu sein. Es
ist nicht klar und vielleicht überhaupt nie bestimmt ausge-
sprochen worden, wie es werden sollte nach Abfassung des
Landrechts; die Absicht aber war vermuthlich, daſs die Zehn-
männer bei ihrem Rücktritt dem Volke vorschlagen sollten
auf die tribuniscische Gewalt zu verzichten und die jetzt nicht
mehr nach Willkür, sondern nach geschriebenem Recht urthei-
lenden Consuln gewähren zu lassen.

Der Plan, wenn er bestand, war weise; es kam darauf
an, ob die leidenschaftlich erbitterten Gemüther hüben und
drüben diesen friedlichen Austrag annehmen würden. Die
Decemvirn des Jahres 303 brachten ihr Gesetz vor das Volk
und von diesem bestätigt wurde dasselbe, in zehn Erztafeln
eingegraben, auf dem Markt an der Rednerbühne vor dem
Rathhaus angeschlagen. Da indeſs noch ein Nachtrag erfor-
derlich schien, so ernannte man auf das Jahr 304 wieder
Zehnmänner, die noch zwei Tafeln hinzufügten; so entstand
das erste und einzige römische Landrecht, das Gesetz der

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[182/0196] ZWEITES BUCH. KAPITEL II. andere griechische Gesetze heimzubringen. Endlich im Jahr 303 wurden ‚Zehnmänner zur Abfassung des Landrechts‘ aus dem Adel gewählt, welche zugleich als höchste Beamte anstatt der Consuln fungirten (decemviri consulari imperio legibus scribundis); das Volkstribunat so wie das Provocationsrecht wurden suspendirt und die Zehnmänner nur verpflichtet die beschworenen Freiheiten der Gemeinde nicht anzutasten. — Erwägt man diese Maſsregeln in ihrem Zusammenhang, so kann kaum ein anderer Zweck ihnen untergelegt werden als die Beschränkung der consularischen Gewalt durch das geschrie- bene Gesetz an die Stelle der tribunicischen Hülfe zu setzen. Von beiden Seiten muſste man sich überzeugt haben, daſs es so nicht bleiben konnte wie es war, und die Anarchie in Permanenz erklären wohl die Gemeinde zu Grunde richtete, aber in der That dabei ein reeller Erfolg für Niemand heraus- kam. Ernsthafte Leute muſsten einsehen, daſs das Eingreifen der Tribunen in die Administration so wie ihre Iudication schlechterdings schädlich waren und der einzige wirkliche Gewinn, den das Tribunat dem gemeinen Mann gebracht hatte, der Schutz gegen parteiische Rechtspflege war, indem es als eine Art Cassationsgericht die Willkür des Magistrats be- schränkte. Ohne Zweifel ward, als die Plebejer ein geschrie- benes Landrecht begehrten, von den Patriciern erwiedert, daſs dann der tribunicische Rechtschutz überflüssig werde; und hierauf scheint von beiden Seiten nachgegeben zu sein. Es ist nicht klar und vielleicht überhaupt nie bestimmt ausge- sprochen worden, wie es werden sollte nach Abfassung des Landrechts; die Absicht aber war vermuthlich, daſs die Zehn- männer bei ihrem Rücktritt dem Volke vorschlagen sollten auf die tribuniscische Gewalt zu verzichten und die jetzt nicht mehr nach Willkür, sondern nach geschriebenem Recht urthei- lenden Consuln gewähren zu lassen. Der Plan, wenn er bestand, war weise; es kam darauf an, ob die leidenschaftlich erbitterten Gemüther hüben und drüben diesen friedlichen Austrag annehmen würden. Die Decemvirn des Jahres 303 brachten ihr Gesetz vor das Volk und von diesem bestätigt wurde dasselbe, in zehn Erztafeln eingegraben, auf dem Markt an der Rednerbühne vor dem Rathhaus angeschlagen. Da indeſs noch ein Nachtrag erfor- derlich schien, so ernannte man auf das Jahr 304 wieder Zehnmänner, die noch zwei Tafeln hinzufügten; so entstand das erste und einzige römische Landrecht, das Gesetz der

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/196>, abgerufen am 22.11.2024.