lung, das heisst er versuchte die Domänenverwaltung dem Senat zu entreissen. Er mochte meinen, dass die Auszeich- nung seiner Persönlichkeit, die Gerechtigkeit und Weisheit der Massregel durchschlagen könne selbst in diesen Wogen der Leidenschaftlichkeit und der Schwäche; allein es misslang. Der Adel erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer tra- ten auf seine Seite; der gemeine Mann war missvergnügt, weil Spurius Cassius, wie Bundesrecht und Billigkeit gebot, auch den latinischen Eidgenossen bei der Assignation ihr Theil geben wollte. Cassius musste sterben; es ist etwas Wahres in der Anklage, dass er königliche Gewalt sich angemasst habe, denn freilich versuchte er gleich den Königen gegen seinen Stand die Gemeinfreien zu schirmen. Sein Gesetz ging mit ihm ins Grab, aber das Gespenst desselben stand seitdem den Reichen unaufhörlich vor Augen und wieder und wieder stand es auf gegen sie, bis unter den Kämpfen darüber das Ge- meinwesen zu Grunde ging.
Da ward noch ein Versuch gemacht die tribunicische Gewalt in der Weise zu beseitigen, dass dem gemeinen Mann die Rechtsgleichheit auf einem geregelteren und wirksameren Wege gesichert ward. Der Volkstribun Gaius Terentilius Arsa beantragte die Ernennung einer Commission von fünf Männern zur Entwerfung eines gemeinen Landrechtes, an das die Consuln künftighin in ihrer richterlichen Gewalt ge- bunden sein sollten. Zehn Jahre vergingen, ehe dieser An- trag zur Ausführung kam -- Jahre des heissesten Stände- kampfes, welche überdiess vielfach bewegt waren durch Kriege und innere Unruhen; mit gleicher Hartnäckigkeit hinderte die Regierungspartei die Durchbringung des Gesetzes und ernannte die Gemeinde wieder und wieder dieselben Männer zu Tribu- nen. Man versuchte durch andere Concessionen den Angriff zu beseitigen; im Jahre 297 ward die Vermehrung der Tri- bunen von fünf auf zehn bewilligt -- freilich ein zweifelhafter Gewinn --; im folgenden Jahre durch ein icilisches Plebiscit, das aufgenommen ward unter die beschworenen Privilegien der Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain und unbe- wohnt, unter die ärmeren Bürger zu Bauplätzen erblichen Besitzes aufgetheilt. Die Gemeinde nahm was ihr geboten ward, allein sie hörte nicht auf das Landrecht zu fordern. Endlich im Jahr 300 kam ein Vergleich zu Stande; die Abfas- sung eines Landrechts ward beschlossen und vorläufig eine Ge- sandtschaft nach Griechenland geschickt um die solonischen und
VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN.
lung, das heiſst er versuchte die Domänenverwaltung dem Senat zu entreiſsen. Er mochte meinen, daſs die Auszeich- nung seiner Persönlichkeit, die Gerechtigkeit und Weisheit der Maſsregel durchschlagen könne selbst in diesen Wogen der Leidenschaftlichkeit und der Schwäche; allein es miſslang. Der Adel erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer tra- ten auf seine Seite; der gemeine Mann war miſsvergnügt, weil Spurius Cassius, wie Bundesrecht und Billigkeit gebot, auch den latinischen Eidgenossen bei der Assignation ihr Theil geben wollte. Cassius muſste sterben; es ist etwas Wahres in der Anklage, daſs er königliche Gewalt sich angemaſst habe, denn freilich versuchte er gleich den Königen gegen seinen Stand die Gemeinfreien zu schirmen. Sein Gesetz ging mit ihm ins Grab, aber das Gespenst desselben stand seitdem den Reichen unaufhörlich vor Augen und wieder und wieder stand es auf gegen sie, bis unter den Kämpfen darüber das Ge- meinwesen zu Grunde ging.
Da ward noch ein Versuch gemacht die tribunicische Gewalt in der Weise zu beseitigen, daſs dem gemeinen Mann die Rechtsgleichheit auf einem geregelteren und wirksameren Wege gesichert ward. Der Volkstribun Gaius Terentilius Arsa beantragte die Ernennung einer Commission von fünf Männern zur Entwerfung eines gemeinen Landrechtes, an das die Consuln künftighin in ihrer richterlichen Gewalt ge- bunden sein sollten. Zehn Jahre vergingen, ehe dieser An- trag zur Ausführung kam — Jahre des heiſsesten Stände- kampfes, welche überdieſs vielfach bewegt waren durch Kriege und innere Unruhen; mit gleicher Hartnäckigkeit hinderte die Regierungspartei die Durchbringung des Gesetzes und ernannte die Gemeinde wieder und wieder dieselben Männer zu Tribu- nen. Man versuchte durch andere Concessionen den Angriff zu beseitigen; im Jahre 297 ward die Vermehrung der Tri- bunen von fünf auf zehn bewilligt — freilich ein zweifelhafter Gewinn —; im folgenden Jahre durch ein icilisches Plebiscit, das aufgenommen ward unter die beschworenen Privilegien der Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain und unbe- wohnt, unter die ärmeren Bürger zu Bauplätzen erblichen Besitzes aufgetheilt. Die Gemeinde nahm was ihr geboten ward, allein sie hörte nicht auf das Landrecht zu fordern. Endlich im Jahr 300 kam ein Vergleich zu Stande; die Abfas- sung eines Landrechts ward beschlossen und vorläufig eine Ge- sandtschaft nach Griechenland geschickt um die solonischen und
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VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN.
lung, das heiſst er versuchte die Domänenverwaltung dem
Senat zu entreiſsen. Er mochte meinen, daſs die Auszeich-
nung seiner Persönlichkeit, die Gerechtigkeit und Weisheit
der Maſsregel durchschlagen könne selbst in diesen Wogen
der Leidenschaftlichkeit und der Schwäche; allein es miſslang.
Der Adel erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer tra-
ten auf seine Seite; der gemeine Mann war miſsvergnügt,
weil Spurius Cassius, wie Bundesrecht und Billigkeit gebot,
auch den latinischen Eidgenossen bei der Assignation ihr Theil
geben wollte. Cassius muſste sterben; es ist etwas Wahres
in der Anklage, daſs er königliche Gewalt sich angemaſst habe,
denn freilich versuchte er gleich den Königen gegen seinen
Stand die Gemeinfreien zu schirmen. Sein Gesetz ging mit
ihm ins Grab, aber das Gespenst desselben stand seitdem den
Reichen unaufhörlich vor Augen und wieder und wieder stand
es auf gegen sie, bis unter den Kämpfen darüber das Ge-
meinwesen zu Grunde ging.
Da ward noch ein Versuch gemacht die tribunicische
Gewalt in der Weise zu beseitigen, daſs dem gemeinen Mann
die Rechtsgleichheit auf einem geregelteren und wirksameren
Wege gesichert ward. Der Volkstribun Gaius Terentilius
Arsa beantragte die Ernennung einer Commission von fünf
Männern zur Entwerfung eines gemeinen Landrechtes, an
das die Consuln künftighin in ihrer richterlichen Gewalt ge-
bunden sein sollten. Zehn Jahre vergingen, ehe dieser An-
trag zur Ausführung kam — Jahre des heiſsesten Stände-
kampfes, welche überdieſs vielfach bewegt waren durch Kriege
und innere Unruhen; mit gleicher Hartnäckigkeit hinderte die
Regierungspartei die Durchbringung des Gesetzes und ernannte
die Gemeinde wieder und wieder dieselben Männer zu Tribu-
nen. Man versuchte durch andere Concessionen den Angriff
zu beseitigen; im Jahre 297 ward die Vermehrung der Tri-
bunen von fünf auf zehn bewilligt — freilich ein zweifelhafter
Gewinn —; im folgenden Jahre durch ein icilisches Plebiscit,
das aufgenommen ward unter die beschworenen Privilegien
der Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain und unbe-
wohnt, unter die ärmeren Bürger zu Bauplätzen erblichen
Besitzes aufgetheilt. Die Gemeinde nahm was ihr geboten
ward, allein sie hörte nicht auf das Landrecht zu fordern.
Endlich im Jahr 300 kam ein Vergleich zu Stande; die Abfas-
sung eines Landrechts ward beschlossen und vorläufig eine Ge-
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/195>, abgerufen am 22.11.2024.
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