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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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RELIGION.

Die sabellische und umbrische Gottesverehrung beruht,
nach dem Wenigen zu schliessen das wir davon wissen, auf
ganz gleichen Grundanschauungen wie die latinische mit local
verschiedener Färbung und Gestaltung. Dass sie abwich von
der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gründung einer
eigenen Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen
Gebräuche; aber eben sie giebt ein belehrendes Beispiel worin
der Unterschied bestand. Die Vogelschau war beiden Stämmen
die regelmässige Weise der Götterbefragung; aber die Titier
schauten nach andern Vögeln als die rammischen Auguren.
Ueberall wo wir vergleichen können, zeigen sich ähnliche
Verhältnisse; die Fassung der Götter als Abstractionen des
Irdischen und ihre unpersönliche Natur sind beiden Stämmen
gemein, Ausdruck und Ritual verschieden. Dass dem dama-
ligen Cultus diese Abweichungen gewichtig erschienen, ist be-
greiflich; wir vermögen den charakteristischen Unterschied,
wenn einer bestand, nicht mehr zu erfassen.

Aber in den Trümmern, die vom etruskischen Sacral-
wesen auf uns gekommen sind, begegnet uns ein anderer
Geist. Es herrscht in ihnen eine düstere und dennoch lang-
weilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei und jene feier-
liche Inthronisirung des reinen Aberwitzes, die zu allen Zeiten
ihr Publicum findet. Wir kennen zwar den etruskischen Cult
bei weitem nicht in solcher Vollständigkeit und Reinheit wie
den latinischen, aber mag die spätere Grübelei auch manches
erst hineingetragen haben und mögen auch gerade die düstern
und phantastischen, von dem latinischen Cult am meisten sich
entfernenden Sätze uns vorzugsweise überliefert sein, wie denn
in der That beides nicht wohl zu bezweifeln ist, so bleibt
immer noch genug übrig um die Mystik und Barbarei dieses
Cultes als im innersten Wesen des etruskischen Volkes begrün-
det zu bezeichnen. -- Der etruskischen Religionsphilosophie
ist die Welt endlich. Die Welt mit ihren Göttern wird, wie
sie entstanden ist, so wieder vergehen nach Ablauf eines be-
stimmten Zeitraums, dessen Abschnitte die Saecula sind; über
ihr walten die verhüllten Götter, die der etruskische Iupiter
selber befragt. So suchte man dort nach dem Urgrund des
Seins trotz den modernen Philosophen. Die etruskischen
Götter selbst in ihrem charakteristischen Unterschied von den
latinischen sind weniger bekannt; aber bestimmt treten unter
ihnen die bösen und schadenfrohen in den Vordergrund, wie
denn auch der Cult grausam ist und namentlich das Opfern

RELIGION.

Die sabellische und umbrische Gottesverehrung beruht,
nach dem Wenigen zu schlieſsen das wir davon wissen, auf
ganz gleichen Grundanschauungen wie die latinische mit local
verschiedener Färbung und Gestaltung. Daſs sie abwich von
der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gründung einer
eigenen Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen
Gebräuche; aber eben sie giebt ein belehrendes Beispiel worin
der Unterschied bestand. Die Vogelschau war beiden Stämmen
die regelmäſsige Weise der Götterbefragung; aber die Titier
schauten nach andern Vögeln als die rammischen Auguren.
Ueberall wo wir vergleichen können, zeigen sich ähnliche
Verhältnisse; die Fassung der Götter als Abstractionen des
Irdischen und ihre unpersönliche Natur sind beiden Stämmen
gemein, Ausdruck und Ritual verschieden. Daſs dem dama-
ligen Cultus diese Abweichungen gewichtig erschienen, ist be-
greiflich; wir vermögen den charakteristischen Unterschied,
wenn einer bestand, nicht mehr zu erfassen.

Aber in den Trümmern, die vom etruskischen Sacral-
wesen auf uns gekommen sind, begegnet uns ein anderer
Geist. Es herrscht in ihnen eine düstere und dennoch lang-
weilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei und jene feier-
liche Inthronisirung des reinen Aberwitzes, die zu allen Zeiten
ihr Publicum findet. Wir kennen zwar den etruskischen Cult
bei weitem nicht in solcher Vollständigkeit und Reinheit wie
den latinischen, aber mag die spätere Grübelei auch manches
erst hineingetragen haben und mögen auch gerade die düstern
und phantastischen, von dem latinischen Cult am meisten sich
entfernenden Sätze uns vorzugsweise überliefert sein, wie denn
in der That beides nicht wohl zu bezweifeln ist, so bleibt
immer noch genug übrig um die Mystik und Barbarei dieses
Cultes als im innersten Wesen des etruskischen Volkes begrün-
det zu bezeichnen. — Der etruskischen Religionsphilosophie
ist die Welt endlich. Die Welt mit ihren Göttern wird, wie
sie entstanden ist, so wieder vergehen nach Ablauf eines be-
stimmten Zeitraums, dessen Abschnitte die Saecula sind; über
ihr walten die verhüllten Götter, die der etruskische Iupiter
selber befragt. So suchte man dort nach dem Urgrund des
Seins trotz den modernen Philosophen. Die etruskischen
Götter selbst in ihrem charakteristischen Unterschied von den
latinischen sind weniger bekannt; aber bestimmt treten unter
ihnen die bösen und schadenfrohen in den Vordergrund, wie
denn auch der Cult grausam ist und namentlich das Opfern

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[119/0133] RELIGION. Die sabellische und umbrische Gottesverehrung beruht, nach dem Wenigen zu schlieſsen das wir davon wissen, auf ganz gleichen Grundanschauungen wie die latinische mit local verschiedener Färbung und Gestaltung. Daſs sie abwich von der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gründung einer eigenen Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen Gebräuche; aber eben sie giebt ein belehrendes Beispiel worin der Unterschied bestand. Die Vogelschau war beiden Stämmen die regelmäſsige Weise der Götterbefragung; aber die Titier schauten nach andern Vögeln als die rammischen Auguren. Ueberall wo wir vergleichen können, zeigen sich ähnliche Verhältnisse; die Fassung der Götter als Abstractionen des Irdischen und ihre unpersönliche Natur sind beiden Stämmen gemein, Ausdruck und Ritual verschieden. Daſs dem dama- ligen Cultus diese Abweichungen gewichtig erschienen, ist be- greiflich; wir vermögen den charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu erfassen. Aber in den Trümmern, die vom etruskischen Sacral- wesen auf uns gekommen sind, begegnet uns ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine düstere und dennoch lang- weilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei und jene feier- liche Inthronisirung des reinen Aberwitzes, die zu allen Zeiten ihr Publicum findet. Wir kennen zwar den etruskischen Cult bei weitem nicht in solcher Vollständigkeit und Reinheit wie den latinischen, aber mag die spätere Grübelei auch manches erst hineingetragen haben und mögen auch gerade die düstern und phantastischen, von dem latinischen Cult am meisten sich entfernenden Sätze uns vorzugsweise überliefert sein, wie denn in der That beides nicht wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug übrig um die Mystik und Barbarei dieses Cultes als im innersten Wesen des etruskischen Volkes begrün- det zu bezeichnen. — Der etruskischen Religionsphilosophie ist die Welt endlich. Die Welt mit ihren Göttern wird, wie sie entstanden ist, so wieder vergehen nach Ablauf eines be- stimmten Zeitraums, dessen Abschnitte die Saecula sind; über ihr walten die verhüllten Götter, die der etruskische Iupiter selber befragt. So suchte man dort nach dem Urgrund des Seins trotz den modernen Philosophen. Die etruskischen Götter selbst in ihrem charakteristischen Unterschied von den latinischen sind weniger bekannt; aber bestimmt treten unter ihnen die bösen und schadenfrohen in den Vordergrund, wie denn auch der Cult grausam ist und namentlich das Opfern

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/133>, abgerufen am 27.04.2024.