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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL XII.
verdunkeln. Des Bildes bedarf der Gott nicht noch einer be-
sonderen Behausung, denn das Abbild des Gottes findet sich
ja ohnehin in der irdischen Welt und eben dort ist seine
Stätte (templum); doch ist freilich die Bilderverehrung und
die damit zusammenhängende Errichtung eigener Gotteshäuser
(aediculae) schon früh nach griechischem Muster eingedrungen.
-- In Hinsicht auf die Priester hat zwar der Staat dafür ge-
sorgt, dass die nothwendigen und stehenden Leistungen an die
Götter der Gemeinde durch bestimmte ständige Diener beschafft
werden und ähnliche Anordnungen kann für sich auch der
Bürger treffen; das hebt indess nicht auf, dass regelmässig
jeder, der König wie der Bürger mit den Göttern selber ver-
kehrt und es versucht ihren Willen zu erforschen und zu be-
stimmen. Allein es ist dies freilich nicht leicht. Der Gott
hat seine eigene Weise zu sprechen, die nur dem kundigen
Manne verständlich ist; ja wer es recht versteht, der weiss
den Willen des Gottes auch zu bestimmen, sogar im Nothfall
ihn zu überlisten oder zu zwingen, wie denn diese Auffassung
des Gottes als eines praktischen Hülfsinstrumentes für die Er-
reichung sehr concreter irdischer Zwecke durch die Richtung
des Italikers auf das Fassliche und Reelle nothwendig gegeben
und noch heutzutage dem italienischen Volkscharakter tief ein-
geprägt ist. Darum ist es natürlich, dass der Verehrer des
Gottes regelmässig Sachverständige zuzieht und deren Rath
vernimmt; und hieraus sind die religiösen Genossenschaften
hervorgegangen, die auf die politische Entwickelung weit be-
deutender eingewirkt haben als die Einzelpriester und die
Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft verwechselt worden,
allein mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die Verehrung
einer bestimmten Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber
die Bewahrung der Tradition für die gottesdienstlichen Ver-
richtungen, deren rechte Vollziehung eine gewisse Kunde vor-
aussetzte und für deren rechte Ueberlieferung zu sorgen im
Interesse des Staates lag. Diese geschlossenen sich selbst,
natürlich aus den Bürgern, ergänzenden Genossenschaften sind
dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten und Wissenschaften
geworden. Dahin gehören die zwanzig Staatsboten (fetiales),
das zahlreichste aller dieser Collegien, bestimmt, bevor es Ar-
chive gab, das Andenken an die Verträge der Gemeinde mit
den benachbarten zu bewahren und wenn das Bundesrecht ver-
letzt war, darüber gutachtlich zu entscheiden, nöthigenfalls den
Sühneversuch und die Kriegserklärung zu besorgen; vor allem

ERSTES BUCH. KAPITEL XII.
verdunkeln. Des Bildes bedarf der Gott nicht noch einer be-
sonderen Behausung, denn das Abbild des Gottes findet sich
ja ohnehin in der irdischen Welt und eben dort ist seine
Stätte (templum); doch ist freilich die Bilderverehrung und
die damit zusammenhängende Errichtung eigener Gotteshäuser
(aediculae) schon früh nach griechischem Muster eingedrungen.
— In Hinsicht auf die Priester hat zwar der Staat dafür ge-
sorgt, daſs die nothwendigen und stehenden Leistungen an die
Götter der Gemeinde durch bestimmte ständige Diener beschafft
werden und ähnliche Anordnungen kann für sich auch der
Bürger treffen; das hebt indeſs nicht auf, daſs regelmäſsig
jeder, der König wie der Bürger mit den Göttern selber ver-
kehrt und es versucht ihren Willen zu erforschen und zu be-
stimmen. Allein es ist dies freilich nicht leicht. Der Gott
hat seine eigene Weise zu sprechen, die nur dem kundigen
Manne verständlich ist; ja wer es recht versteht, der weiſs
den Willen des Gottes auch zu bestimmen, sogar im Nothfall
ihn zu überlisten oder zu zwingen, wie denn diese Auffassung
des Gottes als eines praktischen Hülfsinstrumentes für die Er-
reichung sehr concreter irdischer Zwecke durch die Richtung
des Italikers auf das Faſsliche und Reelle nothwendig gegeben
und noch heutzutage dem italienischen Volkscharakter tief ein-
geprägt ist. Darum ist es natürlich, daſs der Verehrer des
Gottes regelmäſsig Sachverständige zuzieht und deren Rath
vernimmt; und hieraus sind die religiösen Genossenschaften
hervorgegangen, die auf die politische Entwickelung weit be-
deutender eingewirkt haben als die Einzelpriester und die
Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft verwechselt worden,
allein mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die Verehrung
einer bestimmten Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber
die Bewahrung der Tradition für die gottesdienstlichen Ver-
richtungen, deren rechte Vollziehung eine gewisse Kunde vor-
aussetzte und für deren rechte Ueberlieferung zu sorgen im
Interesse des Staates lag. Diese geschlossenen sich selbst,
natürlich aus den Bürgern, ergänzenden Genossenschaften sind
dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten und Wissenschaften
geworden. Dahin gehören die zwanzig Staatsboten (fetiales),
das zahlreichste aller dieser Collegien, bestimmt, bevor es Ar-
chive gab, das Andenken an die Verträge der Gemeinde mit
den benachbarten zu bewahren und wenn das Bundesrecht ver-
letzt war, darüber gutachtlich zu entscheiden, nöthigenfalls den
Sühneversuch und die Kriegserklärung zu besorgen; vor allem

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[114/0128] ERSTES BUCH. KAPITEL XII. verdunkeln. Des Bildes bedarf der Gott nicht noch einer be- sonderen Behausung, denn das Abbild des Gottes findet sich ja ohnehin in der irdischen Welt und eben dort ist seine Stätte (templum); doch ist freilich die Bilderverehrung und die damit zusammenhängende Errichtung eigener Gotteshäuser (aediculae) schon früh nach griechischem Muster eingedrungen. — In Hinsicht auf die Priester hat zwar der Staat dafür ge- sorgt, daſs die nothwendigen und stehenden Leistungen an die Götter der Gemeinde durch bestimmte ständige Diener beschafft werden und ähnliche Anordnungen kann für sich auch der Bürger treffen; das hebt indeſs nicht auf, daſs regelmäſsig jeder, der König wie der Bürger mit den Göttern selber ver- kehrt und es versucht ihren Willen zu erforschen und zu be- stimmen. Allein es ist dies freilich nicht leicht. Der Gott hat seine eigene Weise zu sprechen, die nur dem kundigen Manne verständlich ist; ja wer es recht versteht, der weiſs den Willen des Gottes auch zu bestimmen, sogar im Nothfall ihn zu überlisten oder zu zwingen, wie denn diese Auffassung des Gottes als eines praktischen Hülfsinstrumentes für die Er- reichung sehr concreter irdischer Zwecke durch die Richtung des Italikers auf das Faſsliche und Reelle nothwendig gegeben und noch heutzutage dem italienischen Volkscharakter tief ein- geprägt ist. Darum ist es natürlich, daſs der Verehrer des Gottes regelmäſsig Sachverständige zuzieht und deren Rath vernimmt; und hieraus sind die religiösen Genossenschaften hervorgegangen, die auf die politische Entwickelung weit be- deutender eingewirkt haben als die Einzelpriester und die Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft verwechselt worden, allein mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die Verehrung einer bestimmten Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die Bewahrung der Tradition für die gottesdienstlichen Ver- richtungen, deren rechte Vollziehung eine gewisse Kunde vor- aussetzte und für deren rechte Ueberlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese geschlossenen sich selbst, natürlich aus den Bürgern, ergänzenden Genossenschaften sind dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten und Wissenschaften geworden. Dahin gehören die zwanzig Staatsboten (fetiales), das zahlreichste aller dieser Collegien, bestimmt, bevor es Ar- chive gab, das Andenken an die Verträge der Gemeinde mit den benachbarten zu bewahren und wenn das Bundesrecht ver- letzt war, darüber gutachtlich zu entscheiden, nöthigenfalls den Sühneversuch und die Kriegserklärung zu besorgen; vor allem

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/128>, abgerufen am 24.11.2024.