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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL XI.
Gemeinde gutstehe für die Zahlung seiner Forderung. Aehn-
liche Verträge müssen mit den Caeriten und andern befreun-
deten Völkern bestanden haben und die Grundlage geworden
sein des internationalen Privatrechts (ius gentium), das sich
in Rom allmählich neben dem Landrecht entwickelte. Eine
Spur dieser Rechtsbildung ist das merkwürdige Mutuum, der
,Wandel' (von mutare, wie dividuus); eine Form des Dar-
lehns, die nicht wie das Nexum auf einer ausdrücklich vor
Zeugen abgegebenen bindenden Erklärung des Schuldners be-
ruht, sondern auf dem blossen Uebergang des Geldes aus einer
Hand in die andere und die so offenbar dem Verkehr mit
Fremden entsprungen ist wie das Nexum dem einheimischen
Geschäftsverkehr. Es ist darum charakteristisch, dass das
Wort als moiton im sicilischen Griechisch wiederkehrt; wahr-
scheinlich als Lehnwort aus dem Lateinischen, in Folge des
häufigen Verkehrs der latinischen Schiffer auf der Insel. Eben
dahin gehört der Uebergang des lateinischen carcer in die
sicilische Landessprache (karkaron), während das verwandte
ergastulum umgekehrt von ergastes lateinisch gebildet ist.
Haft und Zwangsarbeit sind ja die Folgen des nicht bezahlten
Darlehns in allen alten Rechten.

Werfen wir noch einen Blick zurück auf die Gesammt-
heit dieser Institutionen, die im Wesentlichen entnommen sind
der ältesten etwa ein halbes Jahrhundert nach der Abschaffung
des Königthums veranstalteten Aufzeichnung des römischen
Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon in der Königszeit
sich wohl für einzelne Puncte, aber nicht im Ganzen bezwei-
feln lässt, so erkennen wir darin das Recht eines weit vor-
geschrittenen ebenso liberalen als consequenten Handelsstaats.
Hier ist keine Spur von jenem ältesten Zustand, den die ger-
manischen Institutionen uns darstellen, wo die Staatsgewalt
noch ringt mit der Autorität der kleineren im Volke aufgegan-
genen Geschlechts- oder Gaugenossenschaften; keine Rechts-
allianz innerhalb des Staates zur Ergänzung der unvollkom-
menen Staatshülfe durch gegenseitigen Schutz und Trutz;
keine ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfügung
des Einzelnen beschränkenden Familieneigenthums. Derglei-
chen muss wohl einmal auch bei den Italikern bestanden
haben; es mag in einzelnen Institutionen des Sacralrechts,
zum Beispiel in dem Sühnbock, den der unfreiwillige Todt-
schläger den nächsten Verwandten des Getödteten zu geben
verpflichtet war, davon eine Spur sich finden; allein schon

ERSTES BUCH. KAPITEL XI.
Gemeinde gutstehe für die Zahlung seiner Forderung. Aehn-
liche Verträge müssen mit den Caeriten und andern befreun-
deten Völkern bestanden haben und die Grundlage geworden
sein des internationalen Privatrechts (ius gentium), das sich
in Rom allmählich neben dem Landrecht entwickelte. Eine
Spur dieser Rechtsbildung ist das merkwürdige Mutuum, der
‚Wandel‘ (von mutare, wie dividuus); eine Form des Dar-
lehns, die nicht wie das Nexum auf einer ausdrücklich vor
Zeugen abgegebenen bindenden Erklärung des Schuldners be-
ruht, sondern auf dem bloſsen Uebergang des Geldes aus einer
Hand in die andere und die so offenbar dem Verkehr mit
Fremden entsprungen ist wie das Nexum dem einheimischen
Geschäftsverkehr. Es ist darum charakteristisch, daſs das
Wort als μοῖτον im sicilischen Griechisch wiederkehrt; wahr-
scheinlich als Lehnwort aus dem Lateinischen, in Folge des
häufigen Verkehrs der latinischen Schiffer auf der Insel. Eben
dahin gehört der Uebergang des lateinischen carcer in die
sicilische Landessprache (ϰάϱϰαϱον), während das verwandte
ergastulum umgekehrt von ἐϱγαστής lateinisch gebildet ist.
Haft und Zwangsarbeit sind ja die Folgen des nicht bezahlten
Darlehns in allen alten Rechten.

Werfen wir noch einen Blick zurück auf die Gesammt-
heit dieser Institutionen, die im Wesentlichen entnommen sind
der ältesten etwa ein halbes Jahrhundert nach der Abschaffung
des Königthums veranstalteten Aufzeichnung des römischen
Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon in der Königszeit
sich wohl für einzelne Puncte, aber nicht im Ganzen bezwei-
feln läſst, so erkennen wir darin das Recht eines weit vor-
geschrittenen ebenso liberalen als consequenten Handelsstaats.
Hier ist keine Spur von jenem ältesten Zustand, den die ger-
manischen Institutionen uns darstellen, wo die Staatsgewalt
noch ringt mit der Autorität der kleineren im Volke aufgegan-
genen Geschlechts- oder Gaugenossenschaften; keine Rechts-
allianz innerhalb des Staates zur Ergänzung der unvollkom-
menen Staatshülfe durch gegenseitigen Schutz und Trutz;
keine ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfügung
des Einzelnen beschränkenden Familieneigenthums. Derglei-
chen muſs wohl einmal auch bei den Italikern bestanden
haben; es mag in einzelnen Institutionen des Sacralrechts,
zum Beispiel in dem Sühnbock, den der unfreiwillige Todt-
schläger den nächsten Verwandten des Getödteten zu geben
verpflichtet war, davon eine Spur sich finden; allein schon

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[108/0122] ERSTES BUCH. KAPITEL XI. Gemeinde gutstehe für die Zahlung seiner Forderung. Aehn- liche Verträge müssen mit den Caeriten und andern befreun- deten Völkern bestanden haben und die Grundlage geworden sein des internationalen Privatrechts (ius gentium), das sich in Rom allmählich neben dem Landrecht entwickelte. Eine Spur dieser Rechtsbildung ist das merkwürdige Mutuum, der ‚Wandel‘ (von mutare, wie dividuus); eine Form des Dar- lehns, die nicht wie das Nexum auf einer ausdrücklich vor Zeugen abgegebenen bindenden Erklärung des Schuldners be- ruht, sondern auf dem bloſsen Uebergang des Geldes aus einer Hand in die andere und die so offenbar dem Verkehr mit Fremden entsprungen ist wie das Nexum dem einheimischen Geschäftsverkehr. Es ist darum charakteristisch, daſs das Wort als μοῖτον im sicilischen Griechisch wiederkehrt; wahr- scheinlich als Lehnwort aus dem Lateinischen, in Folge des häufigen Verkehrs der latinischen Schiffer auf der Insel. Eben dahin gehört der Uebergang des lateinischen carcer in die sicilische Landessprache (ϰάϱϰαϱον), während das verwandte ergastulum umgekehrt von ἐϱγαστής lateinisch gebildet ist. Haft und Zwangsarbeit sind ja die Folgen des nicht bezahlten Darlehns in allen alten Rechten. Werfen wir noch einen Blick zurück auf die Gesammt- heit dieser Institutionen, die im Wesentlichen entnommen sind der ältesten etwa ein halbes Jahrhundert nach der Abschaffung des Königthums veranstalteten Aufzeichnung des römischen Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon in der Königszeit sich wohl für einzelne Puncte, aber nicht im Ganzen bezwei- feln läſst, so erkennen wir darin das Recht eines weit vor- geschrittenen ebenso liberalen als consequenten Handelsstaats. Hier ist keine Spur von jenem ältesten Zustand, den die ger- manischen Institutionen uns darstellen, wo die Staatsgewalt noch ringt mit der Autorität der kleineren im Volke aufgegan- genen Geschlechts- oder Gaugenossenschaften; keine Rechts- allianz innerhalb des Staates zur Ergänzung der unvollkom- menen Staatshülfe durch gegenseitigen Schutz und Trutz; keine ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfügung des Einzelnen beschränkenden Familieneigenthums. Derglei- chen muſs wohl einmal auch bei den Italikern bestanden haben; es mag in einzelnen Institutionen des Sacralrechts, zum Beispiel in dem Sühnbock, den der unfreiwillige Todt- schläger den nächsten Verwandten des Getödteten zu geben verpflichtet war, davon eine Spur sich finden; allein schon

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/122>, abgerufen am 27.04.2024.