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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL XI.
wo er ihn fand und ihn vor Gericht stellte, nicht um sich zu
vertheidigen, sondern um die anerkannte Schuld zu erfüllen.
Zwar ein Dritter konnte für ihn auftreten und diese Gewalt-
that als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das Ver-
fahren sistirt ward; allein diese Vertretung machte den Ver-
treter persönlich verantwortlich, wesshalb auch für ansässige
Leute nur andre Ansässige Vertreter sein konnten. Trat weder
Erfüllung noch Vertretung ein, so sprach der König den
Schuldner dem Gläubiger so zu, dass er ihn abführen und
halten konnte gleich einem Sclaven. Waren alsdann sechzig
Tage verstrichen und war während derselben der Schuldner
dreimal auf dem Markt ausgestellt und ausgerufen worden, ob
Jemand seiner sich erbarme, und dies alles ohne Erfolg ge-
blieben, so hatten die Gläubiger das Recht ihn zu tödten und
sich in seine Leiche zu theilen, oder auch ihn mit seinen Kin-
dern und seiner Habe als Sclaven in die Fremde zu verkaufen,
oder auch ihn bei sich an Sclaven Statt zu halten; denn freilich
konnte er, so lange er im Kreis der römischen Gemeinde blieb,
nach römischem Recht nicht vollständig Sclave werden. -- So
ward Habe und Gut eines Jeden von der römischen Gemeinde
gegen den Dieb und Schädiger sowohl wie gegen den unbefug-
ten Besitzer und den zahlungsunfähigen Schuldner mit unnach-
sichtlicher Strenge geschirmt. -- Ebenso schirmte man das
Gut der Unmündigen und der Wahnsinnigen, indem man die
nächsten Erben zu der Hut desselben berief, und nicht min-
der das Gut der Weiber, die gleichsam als lebenslänglich un-
mündig betrachtet wurden. Nach dem Tode fällt das Gut
den nächsten Erben zu, wobei alle Gleichberechtigten, auch
die Weiber gleiche Theile erhalten. Dispensiren von der
gesetzlichen Erbfolge kann allerdings nur die Volksversamm-
lung, wobei auch der an dem Vermögen haftenden Sacral-
pflichten wegen das Gutachten der Priester einzuholen ist;
indess scheinen solche Dispensationen früh sehr häufig ge-
worden zu sein und im Entstehungsfall konnte bei der voll-
kommen freien Disposition, die einem Jeden über sein Ver-
mögen bei seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel dadurch
einigermassen abgeholfen werden, dass man sein Gesammtver-
mögen einem Freund übertrug, der dasselbe nach dem Tode
dem Willen des Verstorbenen gemäss vertheilte.

Nach diesem Rechte lebten in Rom die Bürger und die
Schutzverwandten, zwischen denen, so weit wir sehen von
Anfang an, die vollständigste rechtliche Gleichheit bestand.

ERSTES BUCH. KAPITEL XI.
wo er ihn fand und ihn vor Gericht stellte, nicht um sich zu
vertheidigen, sondern um die anerkannte Schuld zu erfüllen.
Zwar ein Dritter konnte für ihn auftreten und diese Gewalt-
that als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das Ver-
fahren sistirt ward; allein diese Vertretung machte den Ver-
treter persönlich verantwortlich, weſshalb auch für ansässige
Leute nur andre Ansässige Vertreter sein konnten. Trat weder
Erfüllung noch Vertretung ein, so sprach der König den
Schuldner dem Gläubiger so zu, daſs er ihn abführen und
halten konnte gleich einem Sclaven. Waren alsdann sechzig
Tage verstrichen und war während derselben der Schuldner
dreimal auf dem Markt ausgestellt und ausgerufen worden, ob
Jemand seiner sich erbarme, und dies alles ohne Erfolg ge-
blieben, so hatten die Gläubiger das Recht ihn zu tödten und
sich in seine Leiche zu theilen, oder auch ihn mit seinen Kin-
dern und seiner Habe als Sclaven in die Fremde zu verkaufen,
oder auch ihn bei sich an Sclaven Statt zu halten; denn freilich
konnte er, so lange er im Kreis der römischen Gemeinde blieb,
nach römischem Recht nicht vollständig Sclave werden. — So
ward Habe und Gut eines Jeden von der römischen Gemeinde
gegen den Dieb und Schädiger sowohl wie gegen den unbefug-
ten Besitzer und den zahlungsunfähigen Schuldner mit unnach-
sichtlicher Strenge geschirmt. — Ebenso schirmte man das
Gut der Unmündigen und der Wahnsinnigen, indem man die
nächsten Erben zu der Hut desselben berief, und nicht min-
der das Gut der Weiber, die gleichsam als lebenslänglich un-
mündig betrachtet wurden. Nach dem Tode fällt das Gut
den nächsten Erben zu, wobei alle Gleichberechtigten, auch
die Weiber gleiche Theile erhalten. Dispensiren von der
gesetzlichen Erbfolge kann allerdings nur die Volksversamm-
lung, wobei auch der an dem Vermögen haftenden Sacral-
pflichten wegen das Gutachten der Priester einzuholen ist;
indeſs scheinen solche Dispensationen früh sehr häufig ge-
worden zu sein und im Entstehungsfall konnte bei der voll-
kommen freien Disposition, die einem Jeden über sein Ver-
mögen bei seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel dadurch
einigermaſsen abgeholfen werden, daſs man sein Gesammtver-
mögen einem Freund übertrug, der dasselbe nach dem Tode
dem Willen des Verstorbenen gemäſs vertheilte.

Nach diesem Rechte lebten in Rom die Bürger und die
Schutzverwandten, zwischen denen, so weit wir sehen von
Anfang an, die vollständigste rechtliche Gleichheit bestand.

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[106/0120] ERSTES BUCH. KAPITEL XI. wo er ihn fand und ihn vor Gericht stellte, nicht um sich zu vertheidigen, sondern um die anerkannte Schuld zu erfüllen. Zwar ein Dritter konnte für ihn auftreten und diese Gewalt- that als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das Ver- fahren sistirt ward; allein diese Vertretung machte den Ver- treter persönlich verantwortlich, weſshalb auch für ansässige Leute nur andre Ansässige Vertreter sein konnten. Trat weder Erfüllung noch Vertretung ein, so sprach der König den Schuldner dem Gläubiger so zu, daſs er ihn abführen und halten konnte gleich einem Sclaven. Waren alsdann sechzig Tage verstrichen und war während derselben der Schuldner dreimal auf dem Markt ausgestellt und ausgerufen worden, ob Jemand seiner sich erbarme, und dies alles ohne Erfolg ge- blieben, so hatten die Gläubiger das Recht ihn zu tödten und sich in seine Leiche zu theilen, oder auch ihn mit seinen Kin- dern und seiner Habe als Sclaven in die Fremde zu verkaufen, oder auch ihn bei sich an Sclaven Statt zu halten; denn freilich konnte er, so lange er im Kreis der römischen Gemeinde blieb, nach römischem Recht nicht vollständig Sclave werden. — So ward Habe und Gut eines Jeden von der römischen Gemeinde gegen den Dieb und Schädiger sowohl wie gegen den unbefug- ten Besitzer und den zahlungsunfähigen Schuldner mit unnach- sichtlicher Strenge geschirmt. — Ebenso schirmte man das Gut der Unmündigen und der Wahnsinnigen, indem man die nächsten Erben zu der Hut desselben berief, und nicht min- der das Gut der Weiber, die gleichsam als lebenslänglich un- mündig betrachtet wurden. Nach dem Tode fällt das Gut den nächsten Erben zu, wobei alle Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Theile erhalten. Dispensiren von der gesetzlichen Erbfolge kann allerdings nur die Volksversamm- lung, wobei auch der an dem Vermögen haftenden Sacral- pflichten wegen das Gutachten der Priester einzuholen ist; indeſs scheinen solche Dispensationen früh sehr häufig ge- worden zu sein und im Entstehungsfall konnte bei der voll- kommen freien Disposition, die einem Jeden über sein Ver- mögen bei seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel dadurch einigermaſsen abgeholfen werden, daſs man sein Gesammtver- mögen einem Freund übertrug, der dasselbe nach dem Tode dem Willen des Verstorbenen gemäſs vertheilte. Nach diesem Rechte lebten in Rom die Bürger und die Schutzverwandten, zwischen denen, so weit wir sehen von Anfang an, die vollständigste rechtliche Gleichheit bestand.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/120>, abgerufen am 28.04.2024.