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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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KAPITEL II.


Die ältesten Einwanderungen in Italien.

Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzählt von der
ersten Einwanderung des Menschengeschlechts in Italien; viel-
mehr war im Alterthum der Glaube allgemein, dass dort wie
überall die erste Bevölkerung dem Boden selbst entsprossen
sei. Die Entscheidung über den Ursprung der verschiedenen
Racen und deren genetische Beziehungen zu den verschiedenen
Klimaten bleibt billig dem Naturforscher überlassen; geschicht-
lich ist es weder möglich noch wichtig festzustellen, ob die
älteste Bevölkerung Italiens autochthon war oder eingewandert.
Wohl aber liegt es dem Geschichtsforscher ob die Reihenfolge
der Einwanderungen in das schon besetzte Land zu erkennen
und zu scheiden, um das Ringen der Nationalitäten um Besitz
und Macht so weit möglich rückwärts zu verfolgen. Wir unter-
scheiden in Italien ohne Mühe die Völkerstämme, welche in
historischer Zeit eingewandert sind, wie die Hellenen, und die-
jenigen, die ihre Nationalität so verändert haben, dass der
primitive Charakter derselben dadurch für uns unerkennbar
geworden ist, wie zum Beispiel die Brettier und die Bewohner
der sabinischen Landschaft; von denjenigen Völkern, bei denen
keines von beiden der Fall ist, muss die Forschung ausgehen
um die Elemente der ältesten Geschichte, die Stämme zu er-
kennen. Wären wir dabei einzig angewiesen auf den wirren
Wust der Völkernamen und der zerrütteten angeblich geschicht-
lichen Ueberlieferung, welche aus wenigen brauchbaren Notizen
civilisirter Reisender und einer Masse meistens geringhaltiger

KAPITEL II.


Die ältesten Einwanderungen in Italien.

Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzählt von der
ersten Einwanderung des Menschengeschlechts in Italien; viel-
mehr war im Alterthum der Glaube allgemein, daſs dort wie
überall die erste Bevölkerung dem Boden selbst entsprossen
sei. Die Entscheidung über den Ursprung der verschiedenen
Racen und deren genetische Beziehungen zu den verschiedenen
Klimaten bleibt billig dem Naturforscher überlassen; geschicht-
lich ist es weder möglich noch wichtig festzustellen, ob die
älteste Bevölkerung Italiens autochthon war oder eingewandert.
Wohl aber liegt es dem Geschichtsforscher ob die Reihenfolge
der Einwanderungen in das schon besetzte Land zu erkennen
und zu scheiden, um das Ringen der Nationalitäten um Besitz
und Macht so weit möglich rückwärts zu verfolgen. Wir unter-
scheiden in Italien ohne Mühe die Völkerstämme, welche in
historischer Zeit eingewandert sind, wie die Hellenen, und die-
jenigen, die ihre Nationalität so verändert haben, daſs der
primitive Charakter derselben dadurch für uns unerkennbar
geworden ist, wie zum Beispiel die Brettier und die Bewohner
der sabinischen Landschaft; von denjenigen Völkern, bei denen
keines von beiden der Fall ist, muſs die Forschung ausgehen
um die Elemente der ältesten Geschichte, die Stämme zu er-
kennen. Wären wir dabei einzig angewiesen auf den wirren
Wust der Völkernamen und der zerrütteten angeblich geschicht-
lichen Ueberlieferung, welche aus wenigen brauchbaren Notizen
civilisirter Reisender und einer Masse meistens geringhaltiger

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[[7]/0021] KAPITEL II. Die ältesten Einwanderungen in Italien. Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzählt von der ersten Einwanderung des Menschengeschlechts in Italien; viel- mehr war im Alterthum der Glaube allgemein, daſs dort wie überall die erste Bevölkerung dem Boden selbst entsprossen sei. Die Entscheidung über den Ursprung der verschiedenen Racen und deren genetische Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt billig dem Naturforscher überlassen; geschicht- lich ist es weder möglich noch wichtig festzustellen, ob die älteste Bevölkerung Italiens autochthon war oder eingewandert. Wohl aber liegt es dem Geschichtsforscher ob die Reihenfolge der Einwanderungen in das schon besetzte Land zu erkennen und zu scheiden, um das Ringen der Nationalitäten um Besitz und Macht so weit möglich rückwärts zu verfolgen. Wir unter- scheiden in Italien ohne Mühe die Völkerstämme, welche in historischer Zeit eingewandert sind, wie die Hellenen, und die- jenigen, die ihre Nationalität so verändert haben, daſs der primitive Charakter derselben dadurch für uns unerkennbar geworden ist, wie zum Beispiel die Brettier und die Bewohner der sabinischen Landschaft; von denjenigen Völkern, bei denen keines von beiden der Fall ist, muſs die Forschung ausgehen um die Elemente der ältesten Geschichte, die Stämme zu er- kennen. Wären wir dabei einzig angewiesen auf den wirren Wust der Völkernamen und der zerrütteten angeblich geschicht- lichen Ueberlieferung, welche aus wenigen brauchbaren Notizen civilisirter Reisender und einer Masse meistens geringhaltiger

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. [7]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/21>, abgerufen am 26.11.2024.