Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Da ich so glücklich gewesen war, mit meinen zwei Ca-
meraden gegen Ende des Gefechts im Centrum zusammen
zu treffen, so beschlossen wir, uns an einander zu halten.
Uns kam es besonders darauf an, einen Vorsprung vor
den Flüchtlingen zu gewinnen, denn sobald der Rückzug an-
gefangen, waren alle Bande der Disciplin gelöset. Die
Kurden, und diese bildeten die größere Hälfte unsers Corps,
waren unsere Feinde; sie schossen auf ihre eigenen Offiziere
und Cameraden, sperrten die Gebirgswege und machten
mehrere Angriffe auf Hafiß-Pascha persönlich. Andere
Flüchtlinge warfen die Gewehre weg, streiften die lästige
Uniform ab und wanderten fröhlich und singend ihren Dör-
fern zu. Wir gingen am Abend bis Aintab, neun Stun-
den weit; dort aber ergriffen noch in derselben Nacht sämmt-
liche Einwohner die Flucht aus Furcht vor Jbrahims
Rache; wir mußten daher auch diese Nacht noch mit un-
sern müden Pferden aufbrechen, marschirten den ganzen
folgenden Tag ohne Lebensmittel für uns und ohne Gerste
für die Thiere, und trafen Abend an einem Bache, vier
Stunden von Marasch ein, wo sich wenigstens Wasser und
Gras vorfand.

Jch selbst war bis zur gänzlichen Kraftlosigkeit er-
schöpft, als wir am 26. Morgens in Marasch eintrafen,
wo wir einige Erholung fanden. Mein Pferd hatte ich in
der Nacht vor der Schlacht, dann während derselben
und zwei Tage und eine Nacht nach derselben geritten, ohne
daß das Thier etwas Anderes als dürres Gras zu fressen
bekam.

Jn Marasch sammelten sich allmählig viele Flüchtlinge.
Bemerkenswerth schienen mir die Aeußerungen der Offi-
ziere, welche die frühern Schlachten von Homs, Beylan
und Koniah mitgemacht, wo die Türken ihren Gegner an
Zahl weit überlegen gewesen waren; sie behaupteten, daß die
von Nisib weit blutiger und der Widerstand besser und kräf-
tiger, als in allen vorhergehenden Gefechten gewesen sei!!
Der Rückzug aber kostete fünf Sechstel des ganzen Corps,

Da ich ſo gluͤcklich geweſen war, mit meinen zwei Ca-
meraden gegen Ende des Gefechts im Centrum zuſammen
zu treffen, ſo beſchloſſen wir, uns an einander zu halten.
Uns kam es beſonders darauf an, einen Vorſprung vor
den Fluͤchtlingen zu gewinnen, denn ſobald der Ruͤckzug an-
gefangen, waren alle Bande der Disciplin geloͤſet. Die
Kurden, und dieſe bildeten die groͤßere Haͤlfte unſers Corps,
waren unſere Feinde; ſie ſchoſſen auf ihre eigenen Offiziere
und Cameraden, ſperrten die Gebirgswege und machten
mehrere Angriffe auf Hafiß-Paſcha perſoͤnlich. Andere
Fluͤchtlinge warfen die Gewehre weg, ſtreiften die laͤſtige
Uniform ab und wanderten froͤhlich und ſingend ihren Doͤr-
fern zu. Wir gingen am Abend bis Aintab, neun Stun-
den weit; dort aber ergriffen noch in derſelben Nacht ſaͤmmt-
liche Einwohner die Flucht aus Furcht vor Jbrahims
Rache; wir mußten daher auch dieſe Nacht noch mit un-
ſern muͤden Pferden aufbrechen, marſchirten den ganzen
folgenden Tag ohne Lebensmittel fuͤr uns und ohne Gerſte
fuͤr die Thiere, und trafen Abend an einem Bache, vier
Stunden von Maraſch ein, wo ſich wenigſtens Waſſer und
Gras vorfand.

Jch ſelbſt war bis zur gaͤnzlichen Kraftloſigkeit er-
ſchoͤpft, als wir am 26. Morgens in Maraſch eintrafen,
wo wir einige Erholung fanden. Mein Pferd hatte ich in
der Nacht vor der Schlacht, dann waͤhrend derſelben
und zwei Tage und eine Nacht nach derſelben geritten, ohne
daß das Thier etwas Anderes als duͤrres Gras zu freſſen
bekam.

Jn Maraſch ſammelten ſich allmaͤhlig viele Fluͤchtlinge.
Bemerkenswerth ſchienen mir die Aeußerungen der Offi-
ziere, welche die fruͤhern Schlachten von Homs, Beylan
und Koniah mitgemacht, wo die Tuͤrken ihren Gegner an
Zahl weit uͤberlegen geweſen waren; ſie behaupteten, daß die
von Niſib weit blutiger und der Widerſtand beſſer und kraͤf-
tiger, als in allen vorhergehenden Gefechten geweſen ſei!!
Der Ruͤckzug aber koſtete fuͤnf Sechstel des ganzen Corps,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0407" n="397"/>
        <p>Da ich &#x017F;o glu&#x0364;cklich gewe&#x017F;en war, mit meinen zwei Ca-<lb/>
meraden gegen Ende des Gefechts im Centrum zu&#x017F;ammen<lb/>
zu treffen, &#x017F;o be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en wir, uns an einander zu halten.<lb/>
Uns kam es be&#x017F;onders darauf an, einen Vor&#x017F;prung vor<lb/>
den Flu&#x0364;chtlingen zu gewinnen, denn &#x017F;obald der Ru&#x0364;ckzug an-<lb/>
gefangen, waren alle Bande der Disciplin gelo&#x0364;&#x017F;et. Die<lb/>
Kurden, und die&#x017F;e bildeten die gro&#x0364;ßere Ha&#x0364;lfte un&#x017F;ers Corps,<lb/>
waren un&#x017F;ere Feinde; &#x017F;ie &#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en auf ihre eigenen Offiziere<lb/>
und Cameraden, &#x017F;perrten die Gebirgswege und machten<lb/>
mehrere Angriffe auf <hi rendition="#g">Hafiß-Pa&#x017F;cha</hi> per&#x017F;o&#x0364;nlich. Andere<lb/>
Flu&#x0364;chtlinge warfen die Gewehre weg, &#x017F;treiften die la&#x0364;&#x017F;tige<lb/>
Uniform ab und wanderten fro&#x0364;hlich und &#x017F;ingend ihren Do&#x0364;r-<lb/>
fern zu. Wir gingen am Abend bis Aintab, neun Stun-<lb/>
den weit; dort aber ergriffen noch in der&#x017F;elben Nacht &#x017F;a&#x0364;mmt-<lb/>
liche Einwohner die Flucht aus Furcht vor <hi rendition="#g">Jbrahims</hi><lb/>
Rache; wir mußten daher auch die&#x017F;e Nacht noch mit un-<lb/>
&#x017F;ern mu&#x0364;den Pferden aufbrechen, mar&#x017F;chirten den ganzen<lb/>
folgenden Tag ohne Lebensmittel fu&#x0364;r uns und ohne Ger&#x017F;te<lb/>
fu&#x0364;r die Thiere, und trafen Abend an einem Bache, vier<lb/>
Stunden von Mara&#x017F;ch ein, wo &#x017F;ich wenig&#x017F;tens Wa&#x017F;&#x017F;er und<lb/>
Gras vorfand.</p><lb/>
        <p>Jch &#x017F;elb&#x017F;t war bis zur ga&#x0364;nzlichen Kraftlo&#x017F;igkeit er-<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pft, als wir am 26. Morgens in Mara&#x017F;ch eintrafen,<lb/>
wo wir einige Erholung fanden. Mein Pferd hatte ich in<lb/>
der Nacht <hi rendition="#g">vor</hi> der Schlacht, dann <hi rendition="#g">wa&#x0364;hrend</hi> der&#x017F;elben<lb/>
und zwei Tage und eine Nacht <hi rendition="#g">nach</hi> der&#x017F;elben geritten, ohne<lb/>
daß das Thier etwas Anderes als du&#x0364;rres Gras zu fre&#x017F;&#x017F;en<lb/>
bekam.</p><lb/>
        <p>Jn Mara&#x017F;ch &#x017F;ammelten &#x017F;ich allma&#x0364;hlig viele Flu&#x0364;chtlinge.<lb/>
Bemerkenswerth &#x017F;chienen mir die Aeußerungen der Offi-<lb/>
ziere, welche die fru&#x0364;hern Schlachten von Homs, Beylan<lb/>
und Koniah mitgemacht, wo die Tu&#x0364;rken ihren Gegner an<lb/>
Zahl weit u&#x0364;berlegen gewe&#x017F;en waren; &#x017F;ie behaupteten, daß die<lb/>
von Ni&#x017F;ib weit blutiger und der Wider&#x017F;tand be&#x017F;&#x017F;er und kra&#x0364;f-<lb/>
tiger, als in allen vorhergehenden Gefechten gewe&#x017F;en &#x017F;ei!!<lb/>
Der Ru&#x0364;ckzug aber ko&#x017F;tete fu&#x0364;nf Sechstel des ganzen Corps,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0407] Da ich ſo gluͤcklich geweſen war, mit meinen zwei Ca- meraden gegen Ende des Gefechts im Centrum zuſammen zu treffen, ſo beſchloſſen wir, uns an einander zu halten. Uns kam es beſonders darauf an, einen Vorſprung vor den Fluͤchtlingen zu gewinnen, denn ſobald der Ruͤckzug an- gefangen, waren alle Bande der Disciplin geloͤſet. Die Kurden, und dieſe bildeten die groͤßere Haͤlfte unſers Corps, waren unſere Feinde; ſie ſchoſſen auf ihre eigenen Offiziere und Cameraden, ſperrten die Gebirgswege und machten mehrere Angriffe auf Hafiß-Paſcha perſoͤnlich. Andere Fluͤchtlinge warfen die Gewehre weg, ſtreiften die laͤſtige Uniform ab und wanderten froͤhlich und ſingend ihren Doͤr- fern zu. Wir gingen am Abend bis Aintab, neun Stun- den weit; dort aber ergriffen noch in derſelben Nacht ſaͤmmt- liche Einwohner die Flucht aus Furcht vor Jbrahims Rache; wir mußten daher auch dieſe Nacht noch mit un- ſern muͤden Pferden aufbrechen, marſchirten den ganzen folgenden Tag ohne Lebensmittel fuͤr uns und ohne Gerſte fuͤr die Thiere, und trafen Abend an einem Bache, vier Stunden von Maraſch ein, wo ſich wenigſtens Waſſer und Gras vorfand. Jch ſelbſt war bis zur gaͤnzlichen Kraftloſigkeit er- ſchoͤpft, als wir am 26. Morgens in Maraſch eintrafen, wo wir einige Erholung fanden. Mein Pferd hatte ich in der Nacht vor der Schlacht, dann waͤhrend derſelben und zwei Tage und eine Nacht nach derſelben geritten, ohne daß das Thier etwas Anderes als duͤrres Gras zu freſſen bekam. Jn Maraſch ſammelten ſich allmaͤhlig viele Fluͤchtlinge. Bemerkenswerth ſchienen mir die Aeußerungen der Offi- ziere, welche die fruͤhern Schlachten von Homs, Beylan und Koniah mitgemacht, wo die Tuͤrken ihren Gegner an Zahl weit uͤberlegen geweſen waren; ſie behaupteten, daß die von Niſib weit blutiger und der Widerſtand beſſer und kraͤf- tiger, als in allen vorhergehenden Gefechten geweſen ſei!! Der Ruͤckzug aber koſtete fuͤnf Sechstel des ganzen Corps,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/407
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/407>, abgerufen am 05.05.2024.