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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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etwa, wie wir, in Zelten lagerten, sondern zwischen ihren
Gewehren bivouakirten; Truppen, die nur von der Erde
aufzustehen brauchten, um bereit zum Empfange ihres Geg-
ners zu sein? Der Pascha war gewohnt, von mir nur
solche Vorschläge zu hören, deren Ausführung ich selbst in
die Hand nahm, und für welche ich die Verantwortlichkeit
tragen konnte.

Nachdem Hauptmann L. jedes Geschütz einzeln revi-
dirt, und ich die Jnfanterie zu beiden Seiten aufgestellt
hatte, ward das Signal "Feuer!" gegeben. Gleich die
erste Granate schlug mitten unter die Wachtfeuer ein und
platzte dort, nun folgte Schuß auf Schuß, und die Gra-
naten zogen in feurigen Bogen am nächtlichen Himmel ent-
lang; fast alle platzten unmittelbar nach dem ersten Auf-
schlag, und bei den dichten Haufen, in welchen der Feind
lagerte, muß die Wirkung furchtbar, die erste Bestürzung
groß gewesen sein. Bald aber erwiederte der Feind unser
Feuer; das Gras vor unsern Geschützen hatte sich zu einer
leichten Feuersbrunst entzündet und zeigte sie dem Gegner;
dieser mochte uns aber nicht so nahe glauben, als wir wirk-
lich waren, die mehrsten Kugeln gingen über unsere Köpfe
hin, und erst auf dem Rückzug, als unsere Granaten ver-
schossen, passirten wir ein ziemlich starkes Strichfeuer. Jn-
deß hatte nur die Jnfanterie einige Verwundete, die Artil-
lerie gar keine, und die Geschütze kamen sämmtlich in guter
Ordnung zurück.

Dieses kleine Unternehmen machte einen sehr guten Ein-
druck auf unsere Leute, die hier zum erstenmale selbsthan-
delnd aufgetreten waren. Bei der Rückkehr empfingen wir
die Glückwünsche der Pascha's; sie waren sämmtlich auf
eine Höhe geritten, von wo sie glaubten, daß der Angriff
vor sich gehen werde, diese aber lag gewiß zwei tausend
Schritte hinter unserer Aufstellung. Die Leute haben hier
ganz eigene Begriffe von Nähe und Ferne.

Jn dieser Nacht schlief ich drei Stunden, dann ließ
der Pascha mir sagen, das Corps Jbrahims sei im An-

etwa, wie wir, in Zelten lagerten, ſondern zwiſchen ihren
Gewehren bivouakirten; Truppen, die nur von der Erde
aufzuſtehen brauchten, um bereit zum Empfange ihres Geg-
ners zu ſein? Der Paſcha war gewohnt, von mir nur
ſolche Vorſchlaͤge zu hoͤren, deren Ausfuͤhrung ich ſelbſt in
die Hand nahm, und fuͤr welche ich die Verantwortlichkeit
tragen konnte.

Nachdem Hauptmann L. jedes Geſchuͤtz einzeln revi-
dirt, und ich die Jnfanterie zu beiden Seiten aufgeſtellt
hatte, ward das Signal „Feuer!“ gegeben. Gleich die
erſte Granate ſchlug mitten unter die Wachtfeuer ein und
platzte dort, nun folgte Schuß auf Schuß, und die Gra-
naten zogen in feurigen Bogen am naͤchtlichen Himmel ent-
lang; faſt alle platzten unmittelbar nach dem erſten Auf-
ſchlag, und bei den dichten Haufen, in welchen der Feind
lagerte, muß die Wirkung furchtbar, die erſte Beſtuͤrzung
groß geweſen ſein. Bald aber erwiederte der Feind unſer
Feuer; das Gras vor unſern Geſchuͤtzen hatte ſich zu einer
leichten Feuersbrunſt entzuͤndet und zeigte ſie dem Gegner;
dieſer mochte uns aber nicht ſo nahe glauben, als wir wirk-
lich waren, die mehrſten Kugeln gingen uͤber unſere Koͤpfe
hin, und erſt auf dem Ruͤckzug, als unſere Granaten ver-
ſchoſſen, paſſirten wir ein ziemlich ſtarkes Strichfeuer. Jn-
deß hatte nur die Jnfanterie einige Verwundete, die Artil-
lerie gar keine, und die Geſchuͤtze kamen ſaͤmmtlich in guter
Ordnung zuruͤck.

Dieſes kleine Unternehmen machte einen ſehr guten Ein-
druck auf unſere Leute, die hier zum erſtenmale ſelbſthan-
delnd aufgetreten waren. Bei der Ruͤckkehr empfingen wir
die Gluͤckwuͤnſche der Paſcha's; ſie waren ſaͤmmtlich auf
eine Hoͤhe geritten, von wo ſie glaubten, daß der Angriff
vor ſich gehen werde, dieſe aber lag gewiß zwei tauſend
Schritte hinter unſerer Aufſtellung. Die Leute haben hier
ganz eigene Begriffe von Naͤhe und Ferne.

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der Paſcha mir ſagen, das Corps Jbrahims ſei im An-

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[392/0402] etwa, wie wir, in Zelten lagerten, ſondern zwiſchen ihren Gewehren bivouakirten; Truppen, die nur von der Erde aufzuſtehen brauchten, um bereit zum Empfange ihres Geg- ners zu ſein? Der Paſcha war gewohnt, von mir nur ſolche Vorſchlaͤge zu hoͤren, deren Ausfuͤhrung ich ſelbſt in die Hand nahm, und fuͤr welche ich die Verantwortlichkeit tragen konnte. Nachdem Hauptmann L. jedes Geſchuͤtz einzeln revi- dirt, und ich die Jnfanterie zu beiden Seiten aufgeſtellt hatte, ward das Signal „Feuer!“ gegeben. Gleich die erſte Granate ſchlug mitten unter die Wachtfeuer ein und platzte dort, nun folgte Schuß auf Schuß, und die Gra- naten zogen in feurigen Bogen am naͤchtlichen Himmel ent- lang; faſt alle platzten unmittelbar nach dem erſten Auf- ſchlag, und bei den dichten Haufen, in welchen der Feind lagerte, muß die Wirkung furchtbar, die erſte Beſtuͤrzung groß geweſen ſein. Bald aber erwiederte der Feind unſer Feuer; das Gras vor unſern Geſchuͤtzen hatte ſich zu einer leichten Feuersbrunſt entzuͤndet und zeigte ſie dem Gegner; dieſer mochte uns aber nicht ſo nahe glauben, als wir wirk- lich waren, die mehrſten Kugeln gingen uͤber unſere Koͤpfe hin, und erſt auf dem Ruͤckzug, als unſere Granaten ver- ſchoſſen, paſſirten wir ein ziemlich ſtarkes Strichfeuer. Jn- deß hatte nur die Jnfanterie einige Verwundete, die Artil- lerie gar keine, und die Geſchuͤtze kamen ſaͤmmtlich in guter Ordnung zuruͤck. Dieſes kleine Unternehmen machte einen ſehr guten Ein- druck auf unſere Leute, die hier zum erſtenmale ſelbſthan- delnd aufgetreten waren. Bei der Ruͤckkehr empfingen wir die Gluͤckwuͤnſche der Paſcha's; ſie waren ſaͤmmtlich auf eine Hoͤhe geritten, von wo ſie glaubten, daß der Angriff vor ſich gehen werde, dieſe aber lag gewiß zwei tauſend Schritte hinter unſerer Aufſtellung. Die Leute haben hier ganz eigene Begriffe von Naͤhe und Ferne. Jn dieſer Nacht ſchlief ich drei Stunden, dann ließ der Paſcha mir ſagen, das Corps Jbrahims ſei im An-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/402>, abgerufen am 05.05.2024.