Ob Hafiß-Pascha dieser von ihm selbst ausgegan- genen Jdee eine weitere Folge geben wird, möchte ich bei- nahe bezweifeln; er ist im Voraus gewiß, durch dieselbe das Vorurtheil derer zu verletzen, welche den ganzen mu- selmännischen Stolz bewahrt haben, ohne die ganze Hinfäl- ligkeit des muselmännischen Regiments zu begreifen. Jch werde dem Seraskier Pascha die Sache vorstellen, obwohl von seiner Seite kaum eine Unterstützung zu erwarten steht.
Schließlich noch fühle ich mich gedrungen, zu wieder- holen, daß die Kriegsfrage, von unserm Standpunkte aus gesehen, eine sehr drohende Gestaltung gewinnt; die ver- einte Dazwischenkunft der Großmächte mag allerdings den Ausbruch noch einmal zurück zu schieben vermögen, dann wäre aber dringend zu wünschen, daß der Friede auf halt- barere Grundlagen gestützt würde, als der status quo sie gewährt. Nach Allem, was ich sehe, muß ich glauben, daß man in Konstantinopel ernstlich entschlossen ist, es auf die Waffenentscheidung ankommen zu lassen, und wirklich kann der gegenwärtige Zustand unmöglich noch fortdauern.
59. Reise nach Egin an den Frat.
Malatia, den 8. April 1839.
Jch bin vor ein paar Tagen von einer kleinen Reise zurückgekehrt, welche ich diesmal auf meine eigene Hand und einzig für den Zweck unternommen, das Terrain zwi- schen den beiden Armen des Euphrat kennen zu lernen, welches noch von keiner Karte auch nur ungefähr richtig dargestellt wird.
Da ich von hier aus die hohen Gipfel des Munsur- Dagh, einen mehrere zwanzig Stunden weit sichtbaren Punkt, durch Linien bestimmen konnte, die Wege selbst mit dem Compaß in der Hand bereisete, so hatte ich bei meiner Auf- nahme keine andere Schwierigkeiten, als die zu beseitigen,
Ob Hafiß-Paſcha dieſer von ihm ſelbſt ausgegan- genen Jdee eine weitere Folge geben wird, moͤchte ich bei- nahe bezweifeln; er iſt im Voraus gewiß, durch dieſelbe das Vorurtheil derer zu verletzen, welche den ganzen mu- ſelmaͤnniſchen Stolz bewahrt haben, ohne die ganze Hinfaͤl- ligkeit des muſelmaͤnniſchen Regiments zu begreifen. Jch werde dem Seraskier Paſcha die Sache vorſtellen, obwohl von ſeiner Seite kaum eine Unterſtuͤtzung zu erwarten ſteht.
Schließlich noch fuͤhle ich mich gedrungen, zu wieder- holen, daß die Kriegsfrage, von unſerm Standpunkte aus geſehen, eine ſehr drohende Geſtaltung gewinnt; die ver- einte Dazwiſchenkunft der Großmaͤchte mag allerdings den Ausbruch noch einmal zuruͤck zu ſchieben vermoͤgen, dann waͤre aber dringend zu wuͤnſchen, daß der Friede auf halt- barere Grundlagen geſtuͤtzt wuͤrde, als der status quo ſie gewaͤhrt. Nach Allem, was ich ſehe, muß ich glauben, daß man in Konſtantinopel ernſtlich entſchloſſen iſt, es auf die Waffenentſcheidung ankommen zu laſſen, und wirklich kann der gegenwaͤrtige Zuſtand unmoͤglich noch fortdauern.
59. Reiſe nach Egin an den Frat.
Malatia, den 8. April 1839.
Jch bin vor ein paar Tagen von einer kleinen Reiſe zuruͤckgekehrt, welche ich diesmal auf meine eigene Hand und einzig fuͤr den Zweck unternommen, das Terrain zwi- ſchen den beiden Armen des Euphrat kennen zu lernen, welches noch von keiner Karte auch nur ungefaͤhr richtig dargeſtellt wird.
Da ich von hier aus die hohen Gipfel des Munſur- Dagh, einen mehrere zwanzig Stunden weit ſichtbaren Punkt, durch Linien beſtimmen konnte, die Wege ſelbſt mit dem Compaß in der Hand bereiſete, ſo hatte ich bei meiner Auf- nahme keine andere Schwierigkeiten, als die zu beſeitigen,
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Ob Hafiß-Paſcha dieſer von ihm ſelbſt ausgegan-
genen Jdee eine weitere Folge geben wird, moͤchte ich bei-
nahe bezweifeln; er iſt im Voraus gewiß, durch dieſelbe
das Vorurtheil derer zu verletzen, welche den ganzen mu-
ſelmaͤnniſchen Stolz bewahrt haben, ohne die ganze Hinfaͤl-
ligkeit des muſelmaͤnniſchen Regiments zu begreifen. Jch
werde dem Seraskier Paſcha die Sache vorſtellen, obwohl
von ſeiner Seite kaum eine Unterſtuͤtzung zu erwarten ſteht.
Schließlich noch fuͤhle ich mich gedrungen, zu wieder-
holen, daß die Kriegsfrage, von unſerm Standpunkte aus
geſehen, eine ſehr drohende Geſtaltung gewinnt; die ver-
einte Dazwiſchenkunft der Großmaͤchte mag allerdings den
Ausbruch noch einmal zuruͤck zu ſchieben vermoͤgen, dann
waͤre aber dringend zu wuͤnſchen, daß der Friede auf halt-
barere Grundlagen geſtuͤtzt wuͤrde, als der status quo ſie
gewaͤhrt. Nach Allem, was ich ſehe, muß ich glauben,
daß man in Konſtantinopel ernſtlich entſchloſſen iſt, es auf
die Waffenentſcheidung ankommen zu laſſen, und wirklich
kann der gegenwaͤrtige Zuſtand unmoͤglich noch fortdauern.
59.
Reiſe nach Egin an den Frat.
Malatia, den 8. April 1839.
Jch bin vor ein paar Tagen von einer kleinen Reiſe
zuruͤckgekehrt, welche ich diesmal auf meine eigene Hand
und einzig fuͤr den Zweck unternommen, das Terrain zwi-
ſchen den beiden Armen des Euphrat kennen zu lernen,
welches noch von keiner Karte auch nur ungefaͤhr richtig
dargeſtellt wird.
Da ich von hier aus die hohen Gipfel des Munſur-
Dagh, einen mehrere zwanzig Stunden weit ſichtbaren Punkt,
durch Linien beſtimmen konnte, die Wege ſelbſt mit dem
Compaß in der Hand bereiſete, ſo hatte ich bei meiner Auf-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/367>, abgerufen am 22.11.2024.
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