Die so eben eingetroffenen Nachrichten scheinen sogar etwas friedfertiger als die frühern zu lauten, und der Sturm noch einmal beschworen zu sein; ich kann dazu nur Glück wün- schen, muß aber glauben, daß dies eine kurze Vertagung der endlichen Entscheidung ist, auf welche man gezwungen sein wird, bald wieder zurückzukommen.
Daß die Mobil-Erhaltung eines beträchtlichen Trup- pen-Corps einen überaus großen Aufwand für das Ma- terial voraussetzt, daß Munition, Bekleidungsgegenstände, Zelte, Fuhrwesen etc. in kurzer Zeit auch wieder erneuert werden müssen, ist an und für sich klar. Unsere Artillerie- Bespannung ist in kurzer Frist auf 3000 Pferde gebracht worden, welche im Lande für einen Durchschnittspreis von 1000 Piastern das Stück angekauft worden. Zu dieser Summe von drei Millionen müssen noch die Kosten für Er- nährung, Complethaltung und Beschirrung gerechnet wer- den. Auf dem Friedensfuße würde die Artillerie zur voll- ständigen Ausbildung ihrer Mannschaften nie mehr als ein Sechstel bis ein Fünftel jener Zahl von Pferden nöthig haben.
Es sind zu Koniah, Angora und Malatia an vierzig tausend Mann Spahi's und Rediffs versammelt; dies ist ganz allein schon eine Calamität, und ist es doppelt, weil die Regierung dasselbe Jndividuum als Soldat ernähren und erhalten muß, welches sie als Unterthan nicht be- steuern kann, weil sein Handel, sein Gewerbe ruht, sein Feld brach liegt und seine Familie darbt.
Außer den Rediffs sollen auch die Linien-Truppen er- gänzt werden. Nun herrscht aber unter unserm Militair eine ganz beispiellose Sterblichkeit; ich werde Thatsachen anführen: das 3te Garde-Jnfanterie-Regiment hat in den zwölf Monaten, welche ich hier zubringe, 1026 Todte ge- habt, d. h. die Hälfte seiner Totalstärke; die Garde-Rediff- Brigade Mashar-Pascha hat in vier Monaten 800 Mann eingebüßt, das würde auf zwölf Monate 2400 Mann oder die Hälfte der gesammten Mannschaft betragen; die Bri-
Die ſo eben eingetroffenen Nachrichten ſcheinen ſogar etwas friedfertiger als die fruͤhern zu lauten, und der Sturm noch einmal beſchworen zu ſein; ich kann dazu nur Gluͤck wuͤn- ſchen, muß aber glauben, daß dies eine kurze Vertagung der endlichen Entſcheidung iſt, auf welche man gezwungen ſein wird, bald wieder zuruͤckzukommen.
Daß die Mobil-Erhaltung eines betraͤchtlichen Trup- pen-Corps einen uͤberaus großen Aufwand fuͤr das Ma- terial vorausſetzt, daß Munition, Bekleidungsgegenſtaͤnde, Zelte, Fuhrweſen ꝛc. in kurzer Zeit auch wieder erneuert werden muͤſſen, iſt an und fuͤr ſich klar. Unſere Artillerie- Beſpannung iſt in kurzer Friſt auf 3000 Pferde gebracht worden, welche im Lande fuͤr einen Durchſchnittspreis von 1000 Piaſtern das Stuͤck angekauft worden. Zu dieſer Summe von drei Millionen muͤſſen noch die Koſten fuͤr Er- naͤhrung, Complethaltung und Beſchirrung gerechnet wer- den. Auf dem Friedensfuße wuͤrde die Artillerie zur voll- ſtaͤndigen Ausbildung ihrer Mannſchaften nie mehr als ein Sechstel bis ein Fuͤnftel jener Zahl von Pferden noͤthig haben.
Es ſind zu Koniah, Angora und Malatia an vierzig tauſend Mann Spahi's und Rediffs verſammelt; dies iſt ganz allein ſchon eine Calamitaͤt, und iſt es doppelt, weil die Regierung daſſelbe Jndividuum als Soldat ernaͤhren und erhalten muß, welches ſie als Unterthan nicht be- ſteuern kann, weil ſein Handel, ſein Gewerbe ruht, ſein Feld brach liegt und ſeine Familie darbt.
Außer den Rediffs ſollen auch die Linien-Truppen er- gaͤnzt werden. Nun herrſcht aber unter unſerm Militair eine ganz beiſpielloſe Sterblichkeit; ich werde Thatſachen anfuͤhren: das 3te Garde-Jnfanterie-Regiment hat in den zwoͤlf Monaten, welche ich hier zubringe, 1026 Todte ge- habt, d. h. die Haͤlfte ſeiner Totalſtaͤrke; die Garde-Rediff- Brigade Mashar-Paſcha hat in vier Monaten 800 Mann eingebuͤßt, das wuͤrde auf zwoͤlf Monate 2400 Mann oder die Haͤlfte der geſammten Mannſchaft betragen; die Bri-
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Die ſo eben eingetroffenen Nachrichten ſcheinen ſogar etwas
friedfertiger als die fruͤhern zu lauten, und der Sturm noch
einmal beſchworen zu ſein; ich kann dazu nur Gluͤck wuͤn-
ſchen, muß aber glauben, daß dies eine kurze Vertagung
der endlichen Entſcheidung iſt, auf welche man gezwungen
ſein wird, bald wieder zuruͤckzukommen.
Daß die Mobil-Erhaltung eines betraͤchtlichen Trup-
pen-Corps einen uͤberaus großen Aufwand fuͤr das Ma-
terial vorausſetzt, daß Munition, Bekleidungsgegenſtaͤnde,
Zelte, Fuhrweſen ꝛc. in kurzer Zeit auch wieder erneuert
werden muͤſſen, iſt an und fuͤr ſich klar. Unſere Artillerie-
Beſpannung iſt in kurzer Friſt auf 3000 Pferde gebracht
worden, welche im Lande fuͤr einen Durchſchnittspreis von
1000 Piaſtern das Stuͤck angekauft worden. Zu dieſer
Summe von drei Millionen muͤſſen noch die Koſten fuͤr Er-
naͤhrung, Complethaltung und Beſchirrung gerechnet wer-
den. Auf dem Friedensfuße wuͤrde die Artillerie zur voll-
ſtaͤndigen Ausbildung ihrer Mannſchaften nie mehr als ein
Sechstel bis ein Fuͤnftel jener Zahl von Pferden noͤthig
haben.
Es ſind zu Koniah, Angora und Malatia an vierzig
tauſend Mann Spahi's und Rediffs verſammelt; dies iſt
ganz allein ſchon eine Calamitaͤt, und iſt es doppelt, weil
die Regierung daſſelbe Jndividuum als Soldat ernaͤhren
und erhalten muß, welches ſie als Unterthan nicht be-
ſteuern kann, weil ſein Handel, ſein Gewerbe ruht, ſein
Feld brach liegt und ſeine Familie darbt.
Außer den Rediffs ſollen auch die Linien-Truppen er-
gaͤnzt werden. Nun herrſcht aber unter unſerm Militair
eine ganz beiſpielloſe Sterblichkeit; ich werde Thatſachen
anfuͤhren: das 3te Garde-Jnfanterie-Regiment hat in den
zwoͤlf Monaten, welche ich hier zubringe, 1026 Todte ge-
habt, d. h. die Haͤlfte ſeiner Totalſtaͤrke; die Garde-Rediff-
Brigade Mashar-Paſcha hat in vier Monaten 800 Mann
eingebuͤßt, das wuͤrde auf zwoͤlf Monate 2400 Mann oder
die Haͤlfte der geſammten Mannſchaft betragen; die Bri-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/360>, abgerufen am 22.11.2024.
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