Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

als so manches gelehrte Werk, läßt den Türken beim An-
blick eines Fracks ausrufen: "Franke, in deinem Lande
muß das Tuch sehr theuer sein!" Das Meisterwerk eines
Staub zu Paris oder Gunkel zu Wien erscheint unsern
Nachbarn im Osten als der Jnbegriff aller Dürftigkeit.
Sieht der Türke dazu noch ein enganschließendes Beinkleid,
Stiefeln, in die man sich nur durch eine Kraftanstrengung
hinein zwingt, eine hohe enge Halsbinde und einen harten
schwarzen Cylinder, der alle Augenblick auf den Kopf ge-
stülpt und wieder abgenommen wird, so zieht er sinnend
über solche Selbstquälerei die Brauen in die Höhe, als
wollte er sagen: "Allah! je n'y comprends rien!"

Die Türken steigen in demselben Anzuge zu Pferde, in
welchem sie schlafen, und brauchen weder Sprungriemen
noch Sporen anzulegen. Niemand braucht ein anderes
Kleid anzuziehen, weil er zu einem vornehmen Manne geht,
ausgenommen die reichen Rajahs, welche sich zu diesem
Anlaß einen zerlumpten Rock borgen.

Hier sieht man überall noch das schöne alte Costüm;
der Turban ist eben so kleidsam als zweckmäßig. Je nach-
dem man sich gegen die Sonne oder den Regen von der
einen oder der andern Seite schützen will, wird der Shawl
anders gewickelt, mit dem Hute hingegen liefe man be-
ständig Gefahr einen Sonnenstich zu bekommen. -- Das
Beinkleid ist ein oft neun Ellen weiter Sack, der um den
Leib zusammengeschnürt wird, und an dessen untern Ecken
zwei Löcher sind, aus denen die Füße mit buntgestrickten
Socken hervorkommen; zwei, drei, sechs oder acht Jacken
von leichtem Zeuge, oft reich gestickt, schützen den Körper
nach Maaßgabe des Bedürfnisses; ein breiter Gurt oder
ein Shawl um den Leib nimmt Geldkatze, Tabacksbeutel,
Handschar, Messer, Pistolen und Schreibzeug auf; eine
Pelzjacke und darüber ein langer Pelz vervollständigen den
Anzug, und ein Mantel von Ziegenhaar oder Filz schützt
gegen Unwetter und dient als Lager.

Jede Bewegung des Mannes in diesem faltenreichen

als ſo manches gelehrte Werk, laͤßt den Tuͤrken beim An-
blick eines Fracks ausrufen: „Franke, in deinem Lande
muß das Tuch ſehr theuer ſein!“ Das Meiſterwerk eines
Staub zu Paris oder Gunkel zu Wien erſcheint unſern
Nachbarn im Oſten als der Jnbegriff aller Duͤrftigkeit.
Sieht der Tuͤrke dazu noch ein enganſchließendes Beinkleid,
Stiefeln, in die man ſich nur durch eine Kraftanſtrengung
hinein zwingt, eine hohe enge Halsbinde und einen harten
ſchwarzen Cylinder, der alle Augenblick auf den Kopf ge-
ſtuͤlpt und wieder abgenommen wird, ſo zieht er ſinnend
uͤber ſolche Selbſtquaͤlerei die Brauen in die Hoͤhe, als
wollte er ſagen: „Allah! je n'y comprends rien!

Die Tuͤrken ſteigen in demſelben Anzuge zu Pferde, in
welchem ſie ſchlafen, und brauchen weder Sprungriemen
noch Sporen anzulegen. Niemand braucht ein anderes
Kleid anzuziehen, weil er zu einem vornehmen Manne geht,
ausgenommen die reichen Rajahs, welche ſich zu dieſem
Anlaß einen zerlumpten Rock borgen.

Hier ſieht man uͤberall noch das ſchoͤne alte Coſtuͤm;
der Turban iſt eben ſo kleidſam als zweckmaͤßig. Je nach-
dem man ſich gegen die Sonne oder den Regen von der
einen oder der andern Seite ſchuͤtzen will, wird der Shawl
anders gewickelt, mit dem Hute hingegen liefe man be-
ſtaͤndig Gefahr einen Sonnenſtich zu bekommen. — Das
Beinkleid iſt ein oft neun Ellen weiter Sack, der um den
Leib zuſammengeſchnuͤrt wird, und an deſſen untern Ecken
zwei Loͤcher ſind, aus denen die Fuͤße mit buntgeſtrickten
Socken hervorkommen; zwei, drei, ſechs oder acht Jacken
von leichtem Zeuge, oft reich geſtickt, ſchuͤtzen den Koͤrper
nach Maaßgabe des Beduͤrfniſſes; ein breiter Gurt oder
ein Shawl um den Leib nimmt Geldkatze, Tabacksbeutel,
Handſchar, Meſſer, Piſtolen und Schreibzeug auf; eine
Pelzjacke und daruͤber ein langer Pelz vervollſtaͤndigen den
Anzug, und ein Mantel von Ziegenhaar oder Filz ſchuͤtzt
gegen Unwetter und dient als Lager.

Jede Bewegung des Mannes in dieſem faltenreichen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0318" n="308"/>
als &#x017F;o manches gelehrte Werk, la&#x0364;ßt den Tu&#x0364;rken beim An-<lb/>
blick eines Fracks ausrufen: &#x201E;Franke, in deinem Lande<lb/>
muß das Tuch &#x017F;ehr theuer &#x017F;ein!&#x201C; Das Mei&#x017F;terwerk eines<lb/><hi rendition="#g">Staub</hi> zu Paris oder <hi rendition="#g">Gunkel</hi> zu Wien er&#x017F;cheint un&#x017F;ern<lb/>
Nachbarn im O&#x017F;ten als der Jnbegriff aller Du&#x0364;rftigkeit.<lb/>
Sieht der Tu&#x0364;rke dazu noch ein engan&#x017F;chließendes Beinkleid,<lb/>
Stiefeln, in die man &#x017F;ich nur durch eine Kraftan&#x017F;trengung<lb/>
hinein zwingt, eine hohe enge Halsbinde und einen harten<lb/>
&#x017F;chwarzen Cylinder, der alle Augenblick auf den Kopf ge-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;lpt und wieder abgenommen wird, &#x017F;o zieht er &#x017F;innend<lb/>
u&#x0364;ber &#x017F;olche Selb&#x017F;tqua&#x0364;lerei die Brauen in die Ho&#x0364;he, als<lb/>
wollte er &#x017F;agen: &#x201E;<hi rendition="#aq">Allah! je n'y comprends rien!</hi>&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Tu&#x0364;rken &#x017F;teigen in dem&#x017F;elben Anzuge zu Pferde, in<lb/>
welchem &#x017F;ie &#x017F;chlafen, und brauchen weder Sprungriemen<lb/>
noch Sporen anzulegen. Niemand braucht ein anderes<lb/>
Kleid anzuziehen, weil er zu einem vornehmen Manne geht,<lb/>
ausgenommen die reichen Rajahs, welche &#x017F;ich zu die&#x017F;em<lb/>
Anlaß einen zerlumpten Rock borgen.</p><lb/>
        <p>Hier &#x017F;ieht man u&#x0364;berall noch das &#x017F;cho&#x0364;ne alte Co&#x017F;tu&#x0364;m;<lb/>
der Turban i&#x017F;t eben &#x017F;o kleid&#x017F;am als zweckma&#x0364;ßig. Je nach-<lb/>
dem man &#x017F;ich gegen die Sonne oder den Regen von der<lb/>
einen oder der andern Seite &#x017F;chu&#x0364;tzen will, wird der Shawl<lb/>
anders gewickelt, mit dem Hute hingegen liefe man be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndig Gefahr einen Sonnen&#x017F;tich zu bekommen. &#x2014; Das<lb/>
Beinkleid i&#x017F;t ein oft neun Ellen weiter Sack, der um den<lb/>
Leib zu&#x017F;ammenge&#x017F;chnu&#x0364;rt wird, und an de&#x017F;&#x017F;en untern Ecken<lb/>
zwei Lo&#x0364;cher &#x017F;ind, aus denen die Fu&#x0364;ße mit buntge&#x017F;trickten<lb/>
Socken hervorkommen; zwei, drei, &#x017F;echs oder acht Jacken<lb/>
von leichtem Zeuge, oft reich ge&#x017F;tickt, &#x017F;chu&#x0364;tzen den Ko&#x0364;rper<lb/>
nach Maaßgabe des Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;es; ein breiter Gurt oder<lb/>
ein Shawl um den Leib nimmt Geldkatze, Tabacksbeutel,<lb/>
Hand&#x017F;char, Me&#x017F;&#x017F;er, Pi&#x017F;tolen und Schreibzeug auf; eine<lb/>
Pelzjacke und daru&#x0364;ber ein langer Pelz vervoll&#x017F;ta&#x0364;ndigen den<lb/>
Anzug, und ein Mantel von Ziegenhaar oder Filz &#x017F;chu&#x0364;tzt<lb/>
gegen Unwetter und dient als Lager.</p><lb/>
        <p>Jede Bewegung des Mannes in die&#x017F;em faltenreichen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0318] als ſo manches gelehrte Werk, laͤßt den Tuͤrken beim An- blick eines Fracks ausrufen: „Franke, in deinem Lande muß das Tuch ſehr theuer ſein!“ Das Meiſterwerk eines Staub zu Paris oder Gunkel zu Wien erſcheint unſern Nachbarn im Oſten als der Jnbegriff aller Duͤrftigkeit. Sieht der Tuͤrke dazu noch ein enganſchließendes Beinkleid, Stiefeln, in die man ſich nur durch eine Kraftanſtrengung hinein zwingt, eine hohe enge Halsbinde und einen harten ſchwarzen Cylinder, der alle Augenblick auf den Kopf ge- ſtuͤlpt und wieder abgenommen wird, ſo zieht er ſinnend uͤber ſolche Selbſtquaͤlerei die Brauen in die Hoͤhe, als wollte er ſagen: „Allah! je n'y comprends rien!“ Die Tuͤrken ſteigen in demſelben Anzuge zu Pferde, in welchem ſie ſchlafen, und brauchen weder Sprungriemen noch Sporen anzulegen. Niemand braucht ein anderes Kleid anzuziehen, weil er zu einem vornehmen Manne geht, ausgenommen die reichen Rajahs, welche ſich zu dieſem Anlaß einen zerlumpten Rock borgen. Hier ſieht man uͤberall noch das ſchoͤne alte Coſtuͤm; der Turban iſt eben ſo kleidſam als zweckmaͤßig. Je nach- dem man ſich gegen die Sonne oder den Regen von der einen oder der andern Seite ſchuͤtzen will, wird der Shawl anders gewickelt, mit dem Hute hingegen liefe man be- ſtaͤndig Gefahr einen Sonnenſtich zu bekommen. — Das Beinkleid iſt ein oft neun Ellen weiter Sack, der um den Leib zuſammengeſchnuͤrt wird, und an deſſen untern Ecken zwei Loͤcher ſind, aus denen die Fuͤße mit buntgeſtrickten Socken hervorkommen; zwei, drei, ſechs oder acht Jacken von leichtem Zeuge, oft reich geſtickt, ſchuͤtzen den Koͤrper nach Maaßgabe des Beduͤrfniſſes; ein breiter Gurt oder ein Shawl um den Leib nimmt Geldkatze, Tabacksbeutel, Handſchar, Meſſer, Piſtolen und Schreibzeug auf; eine Pelzjacke und daruͤber ein langer Pelz vervollſtaͤndigen den Anzug, und ein Mantel von Ziegenhaar oder Filz ſchuͤtzt gegen Unwetter und dient als Lager. Jede Bewegung des Mannes in dieſem faltenreichen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/318
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/318>, abgerufen am 22.11.2024.