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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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hier noch ungenutzt! Wie viel Bäche brausen dahin, welche
Mühlen und Werke treiben könnten; welche endlose Wälder
stehen unangerührt aus Mangel an Straßen; wie viel Bau-
material liegt hier umhergestreut; welche mineralische Schätze
verschließen diese Berge, wie viel derselben liegt offen zu Tage
und wartet nur der Ausbeutung; aus dem Sande des Ti-
gris zogen wir mittelst eines Magnets über 50 pC. Eisen.
Ganze Quadratmeilen Landes sind mit Maulbeerbäumen be-
standen, ohne daß eine Ocka Seide gebaut würde; aber
welches Capital wird sich in solche Unternehmungen einlas-
sen? was hilft es, daß sie 50 oder 100 pC. Gewinn ver-
sprechen, so lange sie mit 50 oder 100 pC. Steuer belastet
werden können?

Das ist der Grund, weshalb unbebaute Felderflächen
das Auge betrüben bis unter die Mauern der größten Städte,
warum die Capitalien des Landes müßig ruhen in der Truhe
der Unterthanen, und der ganze Handel der Türkei in den
Händen von Fremden liegt, welche unter dem Schutz ihrer
eigenen Landesgesetze eben so viel Staaten in diesem Staate
bilden; daher verkauft die Türkei ihre Rohstoffe dem Aus-
lande, ohne die Erzeugnisse fremden Gewerbfleißes damit
bezahlen zu können; deshalb der gedrückte Cours auf dem
Geldmarkt und der traurige Aushelf der Münzverschlechte-
rung; darum weht auf den Dampfschiffen, welche diese schö-
nen Meere durchziehen, die österreichische, die englische, die
russische und die französische Flagge, nur nicht die türki-
sche auf den türkischen Gewässern; darin liegt, mit einem
Worte, die außerordentliche Armuth eines so überaus rei-
chen Landes.

Eine gerechte Vertheilung und Feststellung der Steuern
ist aber unmöglich, so lange der jetzige Erhebungs-Modus
fortdauert. Ueber das Unwesen des Jltesam oder der Steuer-
Verpachtung, über die willkürliche Gewalt der Müsselime,
über Angaria oder Frohnen, über Seims oder Anticipatio-
nen, über Zwangskäufe zu Preisen, welche die Regierung
festsetzt u. s. w. verliere ich kein Wort; das Nachtheilige

hier noch ungenutzt! Wie viel Baͤche brauſen dahin, welche
Muͤhlen und Werke treiben koͤnnten; welche endloſe Waͤlder
ſtehen unangeruͤhrt aus Mangel an Straßen; wie viel Bau-
material liegt hier umhergeſtreut; welche mineraliſche Schaͤtze
verſchließen dieſe Berge, wie viel derſelben liegt offen zu Tage
und wartet nur der Ausbeutung; aus dem Sande des Ti-
gris zogen wir mittelſt eines Magnets uͤber 50 pC. Eiſen.
Ganze Quadratmeilen Landes ſind mit Maulbeerbaͤumen be-
ſtanden, ohne daß eine Ocka Seide gebaut wuͤrde; aber
welches Capital wird ſich in ſolche Unternehmungen einlaſ-
ſen? was hilft es, daß ſie 50 oder 100 pC. Gewinn ver-
ſprechen, ſo lange ſie mit 50 oder 100 pC. Steuer belaſtet
werden koͤnnen?

Das iſt der Grund, weshalb unbebaute Felderflaͤchen
das Auge betruͤben bis unter die Mauern der groͤßten Staͤdte,
warum die Capitalien des Landes muͤßig ruhen in der Truhe
der Unterthanen, und der ganze Handel der Tuͤrkei in den
Haͤnden von Fremden liegt, welche unter dem Schutz ihrer
eigenen Landesgeſetze eben ſo viel Staaten in dieſem Staate
bilden; daher verkauft die Tuͤrkei ihre Rohſtoffe dem Aus-
lande, ohne die Erzeugniſſe fremden Gewerbfleißes damit
bezahlen zu koͤnnen; deshalb der gedruͤckte Cours auf dem
Geldmarkt und der traurige Aushelf der Muͤnzverſchlechte-
rung; darum weht auf den Dampfſchiffen, welche dieſe ſchoͤ-
nen Meere durchziehen, die oͤſterreichiſche, die engliſche, die
ruſſiſche und die franzoͤſiſche Flagge, nur nicht die tuͤrki-
ſche auf den tuͤrkiſchen Gewaͤſſern; darin liegt, mit einem
Worte, die außerordentliche Armuth eines ſo uͤberaus rei-
chen Landes.

Eine gerechte Vertheilung und Feſtſtellung der Steuern
iſt aber unmoͤglich, ſo lange der jetzige Erhebungs-Modus
fortdauert. Ueber das Unweſen des Jlteſam oder der Steuer-
Verpachtung, uͤber die willkuͤrliche Gewalt der Muͤſſelime,
uͤber Angaria oder Frohnen, uͤber Seïms oder Anticipatio-
nen, uͤber Zwangskaͤufe zu Preiſen, welche die Regierung
feſtſetzt u. ſ. w. verliere ich kein Wort; das Nachtheilige

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[281/0291] hier noch ungenutzt! Wie viel Baͤche brauſen dahin, welche Muͤhlen und Werke treiben koͤnnten; welche endloſe Waͤlder ſtehen unangeruͤhrt aus Mangel an Straßen; wie viel Bau- material liegt hier umhergeſtreut; welche mineraliſche Schaͤtze verſchließen dieſe Berge, wie viel derſelben liegt offen zu Tage und wartet nur der Ausbeutung; aus dem Sande des Ti- gris zogen wir mittelſt eines Magnets uͤber 50 pC. Eiſen. Ganze Quadratmeilen Landes ſind mit Maulbeerbaͤumen be- ſtanden, ohne daß eine Ocka Seide gebaut wuͤrde; aber welches Capital wird ſich in ſolche Unternehmungen einlaſ- ſen? was hilft es, daß ſie 50 oder 100 pC. Gewinn ver- ſprechen, ſo lange ſie mit 50 oder 100 pC. Steuer belaſtet werden koͤnnen? Das iſt der Grund, weshalb unbebaute Felderflaͤchen das Auge betruͤben bis unter die Mauern der groͤßten Staͤdte, warum die Capitalien des Landes muͤßig ruhen in der Truhe der Unterthanen, und der ganze Handel der Tuͤrkei in den Haͤnden von Fremden liegt, welche unter dem Schutz ihrer eigenen Landesgeſetze eben ſo viel Staaten in dieſem Staate bilden; daher verkauft die Tuͤrkei ihre Rohſtoffe dem Aus- lande, ohne die Erzeugniſſe fremden Gewerbfleißes damit bezahlen zu koͤnnen; deshalb der gedruͤckte Cours auf dem Geldmarkt und der traurige Aushelf der Muͤnzverſchlechte- rung; darum weht auf den Dampfſchiffen, welche dieſe ſchoͤ- nen Meere durchziehen, die oͤſterreichiſche, die engliſche, die ruſſiſche und die franzoͤſiſche Flagge, nur nicht die tuͤrki- ſche auf den tuͤrkiſchen Gewaͤſſern; darin liegt, mit einem Worte, die außerordentliche Armuth eines ſo uͤberaus rei- chen Landes. Eine gerechte Vertheilung und Feſtſtellung der Steuern iſt aber unmoͤglich, ſo lange der jetzige Erhebungs-Modus fortdauert. Ueber das Unweſen des Jlteſam oder der Steuer- Verpachtung, uͤber die willkuͤrliche Gewalt der Muͤſſelime, uͤber Angaria oder Frohnen, uͤber Seïms oder Anticipatio- nen, uͤber Zwangskaͤufe zu Preiſen, welche die Regierung feſtſetzt u. ſ. w. verliere ich kein Wort; das Nachtheilige

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/291>, abgerufen am 17.05.2024.