Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

trieben worden sind; ich konnte diesem Zuge nicht mehr
folgen, nur mit meinen letzten Kräften und unter Eskorte
des Pascha's kam ich hierher in das Lager, welches außer-
halb der Berge zurück gelassen ist und wo ich vier Tage
recht elend krank gewesen bin. Der Krieg ist aber zu Ende
und Alles ruft Gnade an.

Der Widerstand der Kurden hat seine eigentliche Quelle
in der Furcht vor der Aushebung zum lebenswierigen Dienst
in der Linie; selbst die Rediff kann man nicht als Land-
wehr betrachten, sondern sie muß als eine Linientruppe cha-
rakterisirt werden, deren Mannschaft mit einem Drittel
Gehalt auf unbestimmten Urlaub entlassen wird, oft ehe
sie noch ausexerziert ist. Die Bezahlung der nicht eingeru-
fenen Rediffs ist für den Staat ein Bedeutendes, für den
Einzelnen unzulänglich und nur eine Prämie für Nichts-
thun. --

Seitdem ich mit den türkischen Truppen diese, freilich
unbedeutende, Campagne mitgemacht, habe ich einiges Ver-
trauen gewonnen; wenn sie nur alle so sind, wie diese zwei
Regimenter. Die Leute gingen prächtig ins Feuer; der Fa-
talismus in ungeschwächter Kraft und Beutelust sind frei-
lich bei dieser Gelegenheit mächtige Hebel für ihren Muth,
denn ihre Gegner sind Jeziden oder Teufelsanbeter und sind
wohlhabend. Unsere Equipirung ist schlecht, aber der Him-
mel ist milde; den schwierigen Marsch hierher, über steinige
Gebirgspfade und durch zahllose Bäche und Flüsse, machte
unsere Brigade barfuß, die elenden Schuhe in der Hand;
zum Gefecht wickelt sich der Soldat seine ganze Toilette
sammt dem Mantel als Gurt um die Hüften, was gar
nicht übel ist. Die Gewehre sind schlecht und machen we-
nig Anspruch auf Treffen; auch zielen die Leute gar nicht.
Während man das Dorf stürmte, bemerkte ich einen Tschausch,
der mit abgewandtem Gesicht in Gottes blaue Luft hinein
feuerte. "Arkardasch -- Camerad -- sagte ich, wohin
hast du denn eigentlich geschossen?" "Sarar-jok Babam
-- es schadet nichts, Väterchen -- inschallah vurdu! --

trieben worden ſind; ich konnte dieſem Zuge nicht mehr
folgen, nur mit meinen letzten Kraͤften und unter Eskorte
des Paſcha's kam ich hierher in das Lager, welches außer-
halb der Berge zuruͤck gelaſſen iſt und wo ich vier Tage
recht elend krank geweſen bin. Der Krieg iſt aber zu Ende
und Alles ruft Gnade an.

Der Widerſtand der Kurden hat ſeine eigentliche Quelle
in der Furcht vor der Aushebung zum lebenswierigen Dienſt
in der Linie; ſelbſt die Rediff kann man nicht als Land-
wehr betrachten, ſondern ſie muß als eine Linientruppe cha-
rakteriſirt werden, deren Mannſchaft mit einem Drittel
Gehalt auf unbeſtimmten Urlaub entlaſſen wird, oft ehe
ſie noch ausexerziert iſt. Die Bezahlung der nicht eingeru-
fenen Rediffs iſt fuͤr den Staat ein Bedeutendes, fuͤr den
Einzelnen unzulaͤnglich und nur eine Praͤmie fuͤr Nichts-
thun. —

Seitdem ich mit den tuͤrkiſchen Truppen dieſe, freilich
unbedeutende, Campagne mitgemacht, habe ich einiges Ver-
trauen gewonnen; wenn ſie nur alle ſo ſind, wie dieſe zwei
Regimenter. Die Leute gingen praͤchtig ins Feuer; der Fa-
talismus in ungeſchwaͤchter Kraft und Beuteluſt ſind frei-
lich bei dieſer Gelegenheit maͤchtige Hebel fuͤr ihren Muth,
denn ihre Gegner ſind Jeziden oder Teufelsanbeter und ſind
wohlhabend. Unſere Equipirung iſt ſchlecht, aber der Him-
mel iſt milde; den ſchwierigen Marſch hierher, uͤber ſteinige
Gebirgspfade und durch zahlloſe Baͤche und Fluͤſſe, machte
unſere Brigade barfuß, die elenden Schuhe in der Hand;
zum Gefecht wickelt ſich der Soldat ſeine ganze Toilette
ſammt dem Mantel als Gurt um die Huͤften, was gar
nicht uͤbel iſt. Die Gewehre ſind ſchlecht und machen we-
nig Anſpruch auf Treffen; auch zielen die Leute gar nicht.
Waͤhrend man das Dorf ſtuͤrmte, bemerkte ich einen Tſchauſch,
der mit abgewandtem Geſicht in Gottes blaue Luft hinein
feuerte. „Arkardasch — Camerad — ſagte ich, wohin
haſt du denn eigentlich geſchoſſen?“ „Sarar-jok Babam
— es ſchadet nichts, Vaͤterchen — inschallah vurdu! —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0286" n="276"/>
trieben worden &#x017F;ind; ich konnte die&#x017F;em Zuge nicht mehr<lb/>
folgen, nur mit meinen letzten Kra&#x0364;ften und unter Eskorte<lb/>
des Pa&#x017F;cha's kam ich hierher in das Lager, welches außer-<lb/>
halb der Berge zuru&#x0364;ck gela&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t und wo ich vier Tage<lb/>
recht elend krank gewe&#x017F;en bin. Der Krieg i&#x017F;t aber zu Ende<lb/>
und Alles ruft Gnade an.</p><lb/>
          <p>Der Wider&#x017F;tand der Kurden hat &#x017F;eine eigentliche Quelle<lb/>
in der Furcht vor der Aushebung zum lebenswierigen Dien&#x017F;t<lb/>
in der Linie; &#x017F;elb&#x017F;t die Rediff kann man nicht als Land-<lb/>
wehr betrachten, &#x017F;ondern &#x017F;ie muß als eine Linientruppe cha-<lb/>
rakteri&#x017F;irt werden, deren Mann&#x017F;chaft mit einem Drittel<lb/>
Gehalt auf unbe&#x017F;timmten Urlaub entla&#x017F;&#x017F;en wird, oft ehe<lb/>
&#x017F;ie noch ausexerziert i&#x017F;t. Die Bezahlung der nicht eingeru-<lb/>
fenen Rediffs i&#x017F;t fu&#x0364;r den Staat ein Bedeutendes, fu&#x0364;r den<lb/>
Einzelnen unzula&#x0364;nglich und nur eine Pra&#x0364;mie fu&#x0364;r Nichts-<lb/>
thun. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Seitdem ich mit den tu&#x0364;rki&#x017F;chen Truppen die&#x017F;e, freilich<lb/>
unbedeutende, Campagne mitgemacht, habe ich einiges Ver-<lb/>
trauen gewonnen; wenn &#x017F;ie nur alle &#x017F;o &#x017F;ind, wie die&#x017F;e zwei<lb/>
Regimenter. Die Leute gingen pra&#x0364;chtig ins Feuer; der Fa-<lb/>
talismus in unge&#x017F;chwa&#x0364;chter Kraft und Beutelu&#x017F;t &#x017F;ind frei-<lb/>
lich bei die&#x017F;er Gelegenheit ma&#x0364;chtige Hebel fu&#x0364;r ihren Muth,<lb/>
denn ihre Gegner &#x017F;ind Jeziden oder Teufelsanbeter und &#x017F;ind<lb/>
wohlhabend. Un&#x017F;ere Equipirung i&#x017F;t &#x017F;chlecht, aber der Him-<lb/>
mel i&#x017F;t milde; den &#x017F;chwierigen Mar&#x017F;ch hierher, u&#x0364;ber &#x017F;teinige<lb/>
Gebirgspfade und durch zahllo&#x017F;e Ba&#x0364;che und Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, machte<lb/>
un&#x017F;ere Brigade barfuß, die elenden Schuhe in der Hand;<lb/>
zum Gefecht wickelt &#x017F;ich der Soldat &#x017F;eine ganze Toilette<lb/>
&#x017F;ammt dem Mantel als Gurt um die Hu&#x0364;ften, was gar<lb/>
nicht u&#x0364;bel i&#x017F;t. Die Gewehre &#x017F;ind &#x017F;chlecht und machen we-<lb/>
nig An&#x017F;pruch auf Treffen; auch zielen die Leute gar nicht.<lb/>
Wa&#x0364;hrend man das Dorf &#x017F;tu&#x0364;rmte, bemerkte ich einen T&#x017F;chau&#x017F;ch,<lb/>
der mit abgewandtem Ge&#x017F;icht in Gottes blaue Luft hinein<lb/>
feuerte. &#x201E;<hi rendition="#aq">Arkardasch</hi> &#x2014; Camerad &#x2014; &#x017F;agte ich, wohin<lb/>
ha&#x017F;t du denn eigentlich ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en?&#x201C; &#x201E;<hi rendition="#aq">Sarar-jok Babam</hi><lb/>
&#x2014; es &#x017F;chadet nichts, Va&#x0364;terchen &#x2014; <hi rendition="#aq">inschallah vurdu</hi>! &#x2014;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[276/0286] trieben worden ſind; ich konnte dieſem Zuge nicht mehr folgen, nur mit meinen letzten Kraͤften und unter Eskorte des Paſcha's kam ich hierher in das Lager, welches außer- halb der Berge zuruͤck gelaſſen iſt und wo ich vier Tage recht elend krank geweſen bin. Der Krieg iſt aber zu Ende und Alles ruft Gnade an. Der Widerſtand der Kurden hat ſeine eigentliche Quelle in der Furcht vor der Aushebung zum lebenswierigen Dienſt in der Linie; ſelbſt die Rediff kann man nicht als Land- wehr betrachten, ſondern ſie muß als eine Linientruppe cha- rakteriſirt werden, deren Mannſchaft mit einem Drittel Gehalt auf unbeſtimmten Urlaub entlaſſen wird, oft ehe ſie noch ausexerziert iſt. Die Bezahlung der nicht eingeru- fenen Rediffs iſt fuͤr den Staat ein Bedeutendes, fuͤr den Einzelnen unzulaͤnglich und nur eine Praͤmie fuͤr Nichts- thun. — Seitdem ich mit den tuͤrkiſchen Truppen dieſe, freilich unbedeutende, Campagne mitgemacht, habe ich einiges Ver- trauen gewonnen; wenn ſie nur alle ſo ſind, wie dieſe zwei Regimenter. Die Leute gingen praͤchtig ins Feuer; der Fa- talismus in ungeſchwaͤchter Kraft und Beuteluſt ſind frei- lich bei dieſer Gelegenheit maͤchtige Hebel fuͤr ihren Muth, denn ihre Gegner ſind Jeziden oder Teufelsanbeter und ſind wohlhabend. Unſere Equipirung iſt ſchlecht, aber der Him- mel iſt milde; den ſchwierigen Marſch hierher, uͤber ſteinige Gebirgspfade und durch zahlloſe Baͤche und Fluͤſſe, machte unſere Brigade barfuß, die elenden Schuhe in der Hand; zum Gefecht wickelt ſich der Soldat ſeine ganze Toilette ſammt dem Mantel als Gurt um die Huͤften, was gar nicht uͤbel iſt. Die Gewehre ſind ſchlecht und machen we- nig Anſpruch auf Treffen; auch zielen die Leute gar nicht. Waͤhrend man das Dorf ſtuͤrmte, bemerkte ich einen Tſchauſch, der mit abgewandtem Geſicht in Gottes blaue Luft hinein feuerte. „Arkardasch — Camerad — ſagte ich, wohin haſt du denn eigentlich geſchoſſen?“ „Sarar-jok Babam — es ſchadet nichts, Vaͤterchen — inschallah vurdu! —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/286
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/286>, abgerufen am 17.05.2024.