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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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die andern gingen vorher, hieben Bäume um, wälzten rie-
senhafte Steine aus dem Weg, die donnernd in die Kluft
stürzten, oder hoben die Räder über Blöcke, die nicht wei-
chen wollten; nach sechs Stunden Arbeit standen die bei-
den Geschütze (der Mortier auf dem Sattelwagen) auf der
Felsenspitze.

Aber wir haben heute noch ein stärkeres Stückchen ge-
macht, und ich sehe, daß im Kriege ein tüchtiges Anfassen
viel Gelehrsamkeit ersetzt. Leute, denen der Pascha Gehör
gegeben, hatten ihm Vorschläge gemacht, Geschütz auf al-
lerlei Punkten aufzustellen; als ich heute früh zu ihm kam,
fragte er mich um meine Meinung; ich sagte, daß ich sie
ihm bereits den ersten Tag entwickelt, und daß ich bei
dem Punkte westlich vom Schlosse beharrte. Nun schickte
er beide Regiments-Commandeure, den Topdschi-Baschi und
den Muhendis-Baschi, mit mir nach jenem Punkte; keiner
von ihnen war noch oben gewesen, und Alle fanden den
Punkt vortrefflich. Man kann aber dahin nur entweder
auf einem sehr weiten, beschwerlichen Umweg, oder dicht
unter dem Schlosse wegkommen; ich hatte vorgeschlagen,
während der Nacht den letzteren zu wählen. Mehmet-
Bey
führte mit Recht dagegen an, daß es viele Kugeln
setzen würde, und wollte den ersten Weg. Nun muß ich
Dir sagen, daß die Höhe, über die wir den Umweg neh-
men sollten, mindestens 600 Fuß beträgt, eine allgemeine
Böschung von 45 bis 60 Grad hat, theilweise aber auf
Strecken von 6 bis 8 Ruthen ganz schroff und durchweg
mit Geröll und Felsblöcken überschüttet ist. Ueber diese
Barriere wurde gesetzt, und Abends in der Dunkelheit noch
donnerten die beiden ersten Kugeln gegen die Mauern des
Kurden-Schlosses.

Daß die Leute heute, wo sie uns mit einem Gefolge
von Tschauschen als höhere Offiziere erkennen mußten, als
wir dicht unter dem Schlosse wegritten, gar nicht schossen,
daraus schließe ich, daß sie bald capituliren und die Bela-
gerer nicht erbittern wollen. (Es bleibt mir immer übrig,

die andern gingen vorher, hieben Baͤume um, waͤlzten rie-
ſenhafte Steine aus dem Weg, die donnernd in die Kluft
ſtuͤrzten, oder hoben die Raͤder uͤber Bloͤcke, die nicht wei-
chen wollten; nach ſechs Stunden Arbeit ſtanden die bei-
den Geſchuͤtze (der Mortier auf dem Sattelwagen) auf der
Felſenſpitze.

Aber wir haben heute noch ein ſtaͤrkeres Stuͤckchen ge-
macht, und ich ſehe, daß im Kriege ein tuͤchtiges Anfaſſen
viel Gelehrſamkeit erſetzt. Leute, denen der Paſcha Gehoͤr
gegeben, hatten ihm Vorſchlaͤge gemacht, Geſchuͤtz auf al-
lerlei Punkten aufzuſtellen; als ich heute fruͤh zu ihm kam,
fragte er mich um meine Meinung; ich ſagte, daß ich ſie
ihm bereits den erſten Tag entwickelt, und daß ich bei
dem Punkte weſtlich vom Schloſſe beharrte. Nun ſchickte
er beide Regiments-Commandeure, den Topdſchi-Baſchi und
den Muhendis-Baſchi, mit mir nach jenem Punkte; keiner
von ihnen war noch oben geweſen, und Alle fanden den
Punkt vortrefflich. Man kann aber dahin nur entweder
auf einem ſehr weiten, beſchwerlichen Umweg, oder dicht
unter dem Schloſſe wegkommen; ich hatte vorgeſchlagen,
waͤhrend der Nacht den letzteren zu waͤhlen. Mehmet-
Bey
fuͤhrte mit Recht dagegen an, daß es viele Kugeln
ſetzen wuͤrde, und wollte den erſten Weg. Nun muß ich
Dir ſagen, daß die Hoͤhe, uͤber die wir den Umweg neh-
men ſollten, mindeſtens 600 Fuß betraͤgt, eine allgemeine
Boͤſchung von 45 bis 60 Grad hat, theilweiſe aber auf
Strecken von 6 bis 8 Ruthen ganz ſchroff und durchweg
mit Geroͤll und Felsbloͤcken uͤberſchuͤttet iſt. Ueber dieſe
Barriere wurde geſetzt, und Abends in der Dunkelheit noch
donnerten die beiden erſten Kugeln gegen die Mauern des
Kurden-Schloſſes.

Daß die Leute heute, wo ſie uns mit einem Gefolge
von Tſchauſchen als hoͤhere Offiziere erkennen mußten, als
wir dicht unter dem Schloſſe wegritten, gar nicht ſchoſſen,
daraus ſchließe ich, daß ſie bald capituliren und die Bela-
gerer nicht erbittern wollen. (Es bleibt mir immer uͤbrig,

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[261/0271] die andern gingen vorher, hieben Baͤume um, waͤlzten rie- ſenhafte Steine aus dem Weg, die donnernd in die Kluft ſtuͤrzten, oder hoben die Raͤder uͤber Bloͤcke, die nicht wei- chen wollten; nach ſechs Stunden Arbeit ſtanden die bei- den Geſchuͤtze (der Mortier auf dem Sattelwagen) auf der Felſenſpitze. Aber wir haben heute noch ein ſtaͤrkeres Stuͤckchen ge- macht, und ich ſehe, daß im Kriege ein tuͤchtiges Anfaſſen viel Gelehrſamkeit erſetzt. Leute, denen der Paſcha Gehoͤr gegeben, hatten ihm Vorſchlaͤge gemacht, Geſchuͤtz auf al- lerlei Punkten aufzuſtellen; als ich heute fruͤh zu ihm kam, fragte er mich um meine Meinung; ich ſagte, daß ich ſie ihm bereits den erſten Tag entwickelt, und daß ich bei dem Punkte weſtlich vom Schloſſe beharrte. Nun ſchickte er beide Regiments-Commandeure, den Topdſchi-Baſchi und den Muhendis-Baſchi, mit mir nach jenem Punkte; keiner von ihnen war noch oben geweſen, und Alle fanden den Punkt vortrefflich. Man kann aber dahin nur entweder auf einem ſehr weiten, beſchwerlichen Umweg, oder dicht unter dem Schloſſe wegkommen; ich hatte vorgeſchlagen, waͤhrend der Nacht den letzteren zu waͤhlen. Mehmet- Bey fuͤhrte mit Recht dagegen an, daß es viele Kugeln ſetzen wuͤrde, und wollte den erſten Weg. Nun muß ich Dir ſagen, daß die Hoͤhe, uͤber die wir den Umweg neh- men ſollten, mindeſtens 600 Fuß betraͤgt, eine allgemeine Boͤſchung von 45 bis 60 Grad hat, theilweiſe aber auf Strecken von 6 bis 8 Ruthen ganz ſchroff und durchweg mit Geroͤll und Felsbloͤcken uͤberſchuͤttet iſt. Ueber dieſe Barriere wurde geſetzt, und Abends in der Dunkelheit noch donnerten die beiden erſten Kugeln gegen die Mauern des Kurden-Schloſſes. Daß die Leute heute, wo ſie uns mit einem Gefolge von Tſchauſchen als hoͤhere Offiziere erkennen mußten, als wir dicht unter dem Schloſſe wegritten, gar nicht ſchoſſen, daraus ſchließe ich, daß ſie bald capituliren und die Bela- gerer nicht erbittern wollen. (Es bleibt mir immer uͤbrig,

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/271>, abgerufen am 24.11.2024.