ses Naturvolks. Ueberall, wo die Araber an den Grenzen mit fremden Nationen in Berührung kommen, ist Krieg. Die Kinder Abrahams theilten sich in die reichen und frucht- baren Länder, nur Jsmael und sein Stamm wurde hinaus- gestoßen in die Wüste. Getrennt von allen andern Völkern ist Fremder und Feind dem Araber derselbe Begriff, und in der Unmöglichkeit, sich die Erzeugnisse des Gewerbfleißes selbst zu verschaffen, hält er sich für völlig berechtigt, sie mit Gewalt zu nehmen, wo er sie findet.
Die Pascha's der Grenzprovinzen vergelten die bestän- digen Räubereien ihrer Nachbarn von Zeit zu Zeit durch Repressalien im Großen, ohne sich darum zu kümmern, wen sie treffen. Wenn sie mit ein paar Geschwadern regelmä- ßiger Reiterei und einer Kanone ausziehen, sind sie sicher, das größte Aschiret oder Lager aus einander zu sprengen. Der Araber hält nur schlecht gegen Gewehrfeuer, aber gar nicht gegen Geschützfeuer Stand, welches er ja freilich nicht erwiedern kann; er zittert dabei nicht so sehr für sein als für seines Pferdes Leben, denn eine edle Stute ist oft der Reichthum von drei, vier Familien. Wehe dem Pferde, das bei uns drei, vier Herren gehörte! dort hat es in ih- nen eben so viel Pfleger und Freunde. Wenn es den Tür- ken gelingt, das Aschiret zu überraschen, so nehmen sie ihm seine Schaaf- und Ziegen-Heerden, einige Kameele und glücklichenfalls Geißeln ab, die dann in elender Gefangen- schaft zurückgehalten werden. Jch fand in einem engen Gewölbe oder Stall im Seraj zu Orfa neun Greise, die nun schon drittehalb Jahre schmachteten; eine schwere Kette mit Ringen um den Hals fesselte sie einen an den andern, und zweimal des Tages wurden sie zur Tränke getrieben wie das Vieh. Man forderte die ungeheuere Summe von 150,000 Piastern (15,000 Gulden) als Lösegeld von ihrem Stamme; dieser hatte wirklich ein Drittel davon geboten, jetzt war aber sehr wenig Aussicht, daß man sie überhaupt noch einlösen werde. Der Pascha versprach mir ihre Los- lassung, ich habe nicht erfahren, ob es geschehen. Solche
ſes Naturvolks. Ueberall, wo die Araber an den Grenzen mit fremden Nationen in Beruͤhrung kommen, iſt Krieg. Die Kinder Abrahams theilten ſich in die reichen und frucht- baren Laͤnder, nur Jsmael und ſein Stamm wurde hinaus- geſtoßen in die Wuͤſte. Getrennt von allen andern Voͤlkern iſt Fremder und Feind dem Araber derſelbe Begriff, und in der Unmoͤglichkeit, ſich die Erzeugniſſe des Gewerbfleißes ſelbſt zu verſchaffen, haͤlt er ſich fuͤr voͤllig berechtigt, ſie mit Gewalt zu nehmen, wo er ſie findet.
Die Paſcha's der Grenzprovinzen vergelten die beſtaͤn- digen Raͤubereien ihrer Nachbarn von Zeit zu Zeit durch Repreſſalien im Großen, ohne ſich darum zu kuͤmmern, wen ſie treffen. Wenn ſie mit ein paar Geſchwadern regelmaͤ- ßiger Reiterei und einer Kanone ausziehen, ſind ſie ſicher, das groͤßte Aſchiret oder Lager aus einander zu ſprengen. Der Araber haͤlt nur ſchlecht gegen Gewehrfeuer, aber gar nicht gegen Geſchuͤtzfeuer Stand, welches er ja freilich nicht erwiedern kann; er zittert dabei nicht ſo ſehr fuͤr ſein als fuͤr ſeines Pferdes Leben, denn eine edle Stute iſt oft der Reichthum von drei, vier Familien. Wehe dem Pferde, das bei uns drei, vier Herren gehoͤrte! dort hat es in ih- nen eben ſo viel Pfleger und Freunde. Wenn es den Tuͤr- ken gelingt, das Aſchiret zu uͤberraſchen, ſo nehmen ſie ihm ſeine Schaaf- und Ziegen-Heerden, einige Kameele und gluͤcklichenfalls Geißeln ab, die dann in elender Gefangen- ſchaft zuruͤckgehalten werden. Jch fand in einem engen Gewoͤlbe oder Stall im Seraj zu Orfa neun Greiſe, die nun ſchon drittehalb Jahre ſchmachteten; eine ſchwere Kette mit Ringen um den Hals feſſelte ſie einen an den andern, und zweimal des Tages wurden ſie zur Traͤnke getrieben wie das Vieh. Man forderte die ungeheuere Summe von 150,000 Piaſtern (15,000 Gulden) als Loͤſegeld von ihrem Stamme; dieſer hatte wirklich ein Drittel davon geboten, jetzt war aber ſehr wenig Ausſicht, daß man ſie uͤberhaupt noch einloͤſen werde. Der Paſcha verſprach mir ihre Los- laſſung, ich habe nicht erfahren, ob es geſchehen. Solche
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ſes Naturvolks. Ueberall, wo die Araber an den Grenzen
mit fremden Nationen in Beruͤhrung kommen, iſt Krieg.
Die Kinder Abrahams theilten ſich in die reichen und frucht-
baren Laͤnder, nur Jsmael und ſein Stamm wurde hinaus-
geſtoßen in die Wuͤſte. Getrennt von allen andern Voͤlkern
iſt Fremder und Feind dem Araber derſelbe Begriff, und
in der Unmoͤglichkeit, ſich die Erzeugniſſe des Gewerbfleißes
ſelbſt zu verſchaffen, haͤlt er ſich fuͤr voͤllig berechtigt, ſie
mit Gewalt zu nehmen, wo er ſie findet.
Die Paſcha's der Grenzprovinzen vergelten die beſtaͤn-
digen Raͤubereien ihrer Nachbarn von Zeit zu Zeit durch
Repreſſalien im Großen, ohne ſich darum zu kuͤmmern, wen
ſie treffen. Wenn ſie mit ein paar Geſchwadern regelmaͤ-
ßiger Reiterei und einer Kanone ausziehen, ſind ſie ſicher,
das groͤßte Aſchiret oder Lager aus einander zu ſprengen.
Der Araber haͤlt nur ſchlecht gegen Gewehrfeuer, aber gar
nicht gegen Geſchuͤtzfeuer Stand, welches er ja freilich nicht
erwiedern kann; er zittert dabei nicht ſo ſehr fuͤr ſein als
fuͤr ſeines Pferdes Leben, denn eine edle Stute iſt oft der
Reichthum von drei, vier Familien. Wehe dem Pferde,
das bei uns drei, vier Herren gehoͤrte! dort hat es in ih-
nen eben ſo viel Pfleger und Freunde. Wenn es den Tuͤr-
ken gelingt, das Aſchiret zu uͤberraſchen, ſo nehmen ſie ihm
ſeine Schaaf- und Ziegen-Heerden, einige Kameele und
gluͤcklichenfalls Geißeln ab, die dann in elender Gefangen-
ſchaft zuruͤckgehalten werden. Jch fand in einem engen
Gewoͤlbe oder Stall im Seraj zu Orfa neun Greiſe, die
nun ſchon drittehalb Jahre ſchmachteten; eine ſchwere Kette
mit Ringen um den Hals feſſelte ſie einen an den andern,
und zweimal des Tages wurden ſie zur Traͤnke getrieben
wie das Vieh. Man forderte die ungeheuere Summe von
150,000 Piaſtern (15,000 Gulden) als Loͤſegeld von ihrem
Stamme; dieſer hatte wirklich ein Drittel davon geboten,
jetzt war aber ſehr wenig Ausſicht, daß man ſie uͤberhaupt
noch einloͤſen werde. Der Paſcha verſprach mir ihre Los-
laſſung, ich habe nicht erfahren, ob es geſchehen. Solche
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/255>, abgerufen am 24.11.2024.
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