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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Dicht außerhalb der Mauern von Mossul befindet sich
ein eigenes Basar für die Araber, damit man nicht genö-
thigt ist, diese zweifelhaften Gäste in die Stadt selbst ein-
zulassen. Ueber das Gewirr von kleinen Lehmhütten erheben
sich schlank und hoch einige Palmen, die letzten der Wüste;
diese Palmen gleichen einem zum Baum herangewachsenen
Schilfrohre, sie sind der rechte Typus des Südens und
scheinen die Araber zutraulich und glauben zu machen, daß
sie sich zwar hoch im Norden, aber doch noch im Lande des
Weihrauchs befinden. Dorthin kommen die Kinder der
Wüste, sie stoßen ihre langen Bambuslanzen mit der Spitze
in die Erde und kauern nieder, um die Pracht und Herr-
lichkeit einer Stadt zu bewundern, einer Stadt zwar, die
uns Europäern eher durch das Gegentheil von Herrlichkeit
und Pracht auffällt, die aber hier hundert Stunden im
Umkreis ihres Gleichen nicht hat.

Kein Volk vielleicht hat Charakter, Sitte, Gebräuche
und Sprache so unverändert durch Jahrtausende und durch
die allerverschiedensten Weltverhältnisse bewahrt, wie die
Araber. Als unstäte Hirten und Jäger streiften sie in we-
nig gekannten Einöden umher, während Aegypten und Assy-
rien, Griechenland und Persien, Rom und Byzanz entstan-
den und verfielen. Aber durch einen Gedanken begeistert
schwangen sich eben diese Hirten plötzlich empor und mach-
ten sich auf lange Zeit zu Beherrschern des schönsten Theils
der alten Welt und zu Trägern der damaligen Gesittung
und Wissenschaft. Hundert Jahre nach dem Tode des Pro-
pheten geboten seine ersten Anhänger, die Saracenen, vom
Himalaja bis zu den Pyrenäen, vom Jndus bis zum at-
lantischen Meere. Aber das Christenthum, die höhere gei-
stige und materielle Vervollkommnung, welche es hervorrief,
und die Unduldsamkeit selbst, die seine erhabene Moral
hätte ausschließen sollen, trieben die Araber aus Europa;
die rohe Gewalt der Türken verdrängte ihre Herrschaft im
Orient, und die Kinder Jsmaels sahen sich zum zweiten-
mal hinausgewiesen in die Wüste.

Dicht außerhalb der Mauern von Moſſul befindet ſich
ein eigenes Baſar fuͤr die Araber, damit man nicht genoͤ-
thigt iſt, dieſe zweifelhaften Gaͤſte in die Stadt ſelbſt ein-
zulaſſen. Ueber das Gewirr von kleinen Lehmhuͤtten erheben
ſich ſchlank und hoch einige Palmen, die letzten der Wuͤſte;
dieſe Palmen gleichen einem zum Baum herangewachſenen
Schilfrohre, ſie ſind der rechte Typus des Suͤdens und
ſcheinen die Araber zutraulich und glauben zu machen, daß
ſie ſich zwar hoch im Norden, aber doch noch im Lande des
Weihrauchs befinden. Dorthin kommen die Kinder der
Wuͤſte, ſie ſtoßen ihre langen Bambuslanzen mit der Spitze
in die Erde und kauern nieder, um die Pracht und Herr-
lichkeit einer Stadt zu bewundern, einer Stadt zwar, die
uns Europaͤern eher durch das Gegentheil von Herrlichkeit
und Pracht auffaͤllt, die aber hier hundert Stunden im
Umkreis ihres Gleichen nicht hat.

Kein Volk vielleicht hat Charakter, Sitte, Gebraͤuche
und Sprache ſo unveraͤndert durch Jahrtauſende und durch
die allerverſchiedenſten Weltverhaͤltniſſe bewahrt, wie die
Araber. Als unſtaͤte Hirten und Jaͤger ſtreiften ſie in we-
nig gekannten Einoͤden umher, waͤhrend Aegypten und Aſſy-
rien, Griechenland und Perſien, Rom und Byzanz entſtan-
den und verfielen. Aber durch einen Gedanken begeiſtert
ſchwangen ſich eben dieſe Hirten ploͤtzlich empor und mach-
ten ſich auf lange Zeit zu Beherrſchern des ſchoͤnſten Theils
der alten Welt und zu Traͤgern der damaligen Geſittung
und Wiſſenſchaft. Hundert Jahre nach dem Tode des Pro-
pheten geboten ſeine erſten Anhaͤnger, die Saracenen, vom
Himalaja bis zu den Pyrenaͤen, vom Jndus bis zum at-
lantiſchen Meere. Aber das Chriſtenthum, die hoͤhere gei-
ſtige und materielle Vervollkommnung, welche es hervorrief,
und die Unduldſamkeit ſelbſt, die ſeine erhabene Moral
haͤtte ausſchließen ſollen, trieben die Araber aus Europa;
die rohe Gewalt der Tuͤrken verdraͤngte ihre Herrſchaft im
Orient, und die Kinder Jsmaels ſahen ſich zum zweiten-
mal hinausgewieſen in die Wuͤſte.

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[243/0253] Dicht außerhalb der Mauern von Moſſul befindet ſich ein eigenes Baſar fuͤr die Araber, damit man nicht genoͤ- thigt iſt, dieſe zweifelhaften Gaͤſte in die Stadt ſelbſt ein- zulaſſen. Ueber das Gewirr von kleinen Lehmhuͤtten erheben ſich ſchlank und hoch einige Palmen, die letzten der Wuͤſte; dieſe Palmen gleichen einem zum Baum herangewachſenen Schilfrohre, ſie ſind der rechte Typus des Suͤdens und ſcheinen die Araber zutraulich und glauben zu machen, daß ſie ſich zwar hoch im Norden, aber doch noch im Lande des Weihrauchs befinden. Dorthin kommen die Kinder der Wuͤſte, ſie ſtoßen ihre langen Bambuslanzen mit der Spitze in die Erde und kauern nieder, um die Pracht und Herr- lichkeit einer Stadt zu bewundern, einer Stadt zwar, die uns Europaͤern eher durch das Gegentheil von Herrlichkeit und Pracht auffaͤllt, die aber hier hundert Stunden im Umkreis ihres Gleichen nicht hat. Kein Volk vielleicht hat Charakter, Sitte, Gebraͤuche und Sprache ſo unveraͤndert durch Jahrtauſende und durch die allerverſchiedenſten Weltverhaͤltniſſe bewahrt, wie die Araber. Als unſtaͤte Hirten und Jaͤger ſtreiften ſie in we- nig gekannten Einoͤden umher, waͤhrend Aegypten und Aſſy- rien, Griechenland und Perſien, Rom und Byzanz entſtan- den und verfielen. Aber durch einen Gedanken begeiſtert ſchwangen ſich eben dieſe Hirten ploͤtzlich empor und mach- ten ſich auf lange Zeit zu Beherrſchern des ſchoͤnſten Theils der alten Welt und zu Traͤgern der damaligen Geſittung und Wiſſenſchaft. Hundert Jahre nach dem Tode des Pro- pheten geboten ſeine erſten Anhaͤnger, die Saracenen, vom Himalaja bis zu den Pyrenaͤen, vom Jndus bis zum at- lantiſchen Meere. Aber das Chriſtenthum, die hoͤhere gei- ſtige und materielle Vervollkommnung, welche es hervorrief, und die Unduldſamkeit ſelbſt, die ſeine erhabene Moral haͤtte ausſchließen ſollen, trieben die Araber aus Europa; die rohe Gewalt der Tuͤrken verdraͤngte ihre Herrſchaft im Orient, und die Kinder Jsmaels ſahen ſich zum zweiten- mal hinausgewieſen in die Wuͤſte.

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/253>, abgerufen am 24.11.2024.