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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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großen Granatbaum, bedeckt mit zahllosen Purpurblüthen;
ein Weinstock rankte von demselben auf einen Oelbaum hin-
über, welcher, in diesem Winkel versteckt, der Zerstörung
der Menschen entgangen war.

Man kann nicht bequemer reisen, als wir es thaten;
auf weiche Polster hingestreckt, mit Lebensmitteln, Wein,
Thee und einem Kohlenbecken versehen, glitten wir schnell
und ohne Anstrengung mit der Schnelligkeit einer Extra-
post vorwärts. Aber das Element, welches uns beförderte,
verfolgte uns in anderer Gestalt; der Regen strömte seit
unserer Abreise von Diarbekir unaufhörlich vom Himmel,
unsere Schirme schützten uns nicht mehr, und Kleider,
Mäntel und Teppiche waren durchweicht. Am Osterfeier-
tag, als wir Dschesireh wieder verließen, war die Sonne
hervorgebrochen und durchwärmte unsere erstarrten Glie-
der; nun liegen aber eine halbe Stunde unterhalb der
Stadt die Trümmer einer zweiten Brücke über den Tigris,
und ein Pfeiler derselben verursacht bei hohem Wasserstand
einen gewaltigen Strudel; alle Anstrengung der Ruderer
half nichts, unwiderstehlich zog diese Charybdis unsere kleine
Arche an sich, wie ein Pfeil schoß sie in den tiefen Schlund
hinab und eine hohe Welle ging über unsere Köpfe fort.
Das Wasser war eisig kalt, und als das Fahrzeug im
nächsten Augenblick ohne umzuschlagen schon harmlos wei-
ter tanzte, konnten wir das Lachen über die trübselige Ge-
stalt nicht zurückhalten, welche Jeder von uns zur Schau
trug. Das Kohlenbecken war über Bord gegangen, ein
Stiefel schwamm neben uns her, und Jeder fischte noch
eine Kleinigkeit im Strom. Wir landeten auf einem Ei-
land, und da unsere Mantelsäcke eben so durchnäßt waren,
wie wir selbst, so blieb nichts übrig, als uns auszuziehen
und die gesammte Toilette, so gut es gehen wollte, an der
Sonne zu trocknen. Jn geringer Entfernung, auf einer
andern Sandbank, saß ein Schwarm Pelikane, die, als
wollten sie uns verhöhnen, ebenfalls ihr weißes Gewand
sonnten; plötzlich merkten wir, daß unser Floß sich losge-

großen Granatbaum, bedeckt mit zahlloſen Purpurbluͤthen;
ein Weinſtock rankte von demſelben auf einen Oelbaum hin-
uͤber, welcher, in dieſem Winkel verſteckt, der Zerſtoͤrung
der Menſchen entgangen war.

Man kann nicht bequemer reiſen, als wir es thaten;
auf weiche Polſter hingeſtreckt, mit Lebensmitteln, Wein,
Thee und einem Kohlenbecken verſehen, glitten wir ſchnell
und ohne Anſtrengung mit der Schnelligkeit einer Extra-
poſt vorwaͤrts. Aber das Element, welches uns befoͤrderte,
verfolgte uns in anderer Geſtalt; der Regen ſtroͤmte ſeit
unſerer Abreiſe von Diarbekir unaufhoͤrlich vom Himmel,
unſere Schirme ſchuͤtzten uns nicht mehr, und Kleider,
Maͤntel und Teppiche waren durchweicht. Am Oſterfeier-
tag, als wir Dſcheſireh wieder verließen, war die Sonne
hervorgebrochen und durchwaͤrmte unſere erſtarrten Glie-
der; nun liegen aber eine halbe Stunde unterhalb der
Stadt die Truͤmmer einer zweiten Bruͤcke uͤber den Tigris,
und ein Pfeiler derſelben verurſacht bei hohem Waſſerſtand
einen gewaltigen Strudel; alle Anſtrengung der Ruderer
half nichts, unwiderſtehlich zog dieſe Charybdis unſere kleine
Arche an ſich, wie ein Pfeil ſchoß ſie in den tiefen Schlund
hinab und eine hohe Welle ging uͤber unſere Koͤpfe fort.
Das Waſſer war eiſig kalt, und als das Fahrzeug im
naͤchſten Augenblick ohne umzuſchlagen ſchon harmlos wei-
ter tanzte, konnten wir das Lachen uͤber die truͤbſelige Ge-
ſtalt nicht zuruͤckhalten, welche Jeder von uns zur Schau
trug. Das Kohlenbecken war uͤber Bord gegangen, ein
Stiefel ſchwamm neben uns her, und Jeder fiſchte noch
eine Kleinigkeit im Strom. Wir landeten auf einem Ei-
land, und da unſere Mantelſaͤcke eben ſo durchnaͤßt waren,
wie wir ſelbſt, ſo blieb nichts uͤbrig, als uns auszuziehen
und die geſammte Toilette, ſo gut es gehen wollte, an der
Sonne zu trocknen. Jn geringer Entfernung, auf einer
andern Sandbank, ſaß ein Schwarm Pelikane, die, als
wollten ſie uns verhoͤhnen, ebenfalls ihr weißes Gewand
ſonnten; ploͤtzlich merkten wir, daß unſer Floß ſich losge-

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[238/0248] großen Granatbaum, bedeckt mit zahlloſen Purpurbluͤthen; ein Weinſtock rankte von demſelben auf einen Oelbaum hin- uͤber, welcher, in dieſem Winkel verſteckt, der Zerſtoͤrung der Menſchen entgangen war. Man kann nicht bequemer reiſen, als wir es thaten; auf weiche Polſter hingeſtreckt, mit Lebensmitteln, Wein, Thee und einem Kohlenbecken verſehen, glitten wir ſchnell und ohne Anſtrengung mit der Schnelligkeit einer Extra- poſt vorwaͤrts. Aber das Element, welches uns befoͤrderte, verfolgte uns in anderer Geſtalt; der Regen ſtroͤmte ſeit unſerer Abreiſe von Diarbekir unaufhoͤrlich vom Himmel, unſere Schirme ſchuͤtzten uns nicht mehr, und Kleider, Maͤntel und Teppiche waren durchweicht. Am Oſterfeier- tag, als wir Dſcheſireh wieder verließen, war die Sonne hervorgebrochen und durchwaͤrmte unſere erſtarrten Glie- der; nun liegen aber eine halbe Stunde unterhalb der Stadt die Truͤmmer einer zweiten Bruͤcke uͤber den Tigris, und ein Pfeiler derſelben verurſacht bei hohem Waſſerſtand einen gewaltigen Strudel; alle Anſtrengung der Ruderer half nichts, unwiderſtehlich zog dieſe Charybdis unſere kleine Arche an ſich, wie ein Pfeil ſchoß ſie in den tiefen Schlund hinab und eine hohe Welle ging uͤber unſere Koͤpfe fort. Das Waſſer war eiſig kalt, und als das Fahrzeug im naͤchſten Augenblick ohne umzuſchlagen ſchon harmlos wei- ter tanzte, konnten wir das Lachen uͤber die truͤbſelige Ge- ſtalt nicht zuruͤckhalten, welche Jeder von uns zur Schau trug. Das Kohlenbecken war uͤber Bord gegangen, ein Stiefel ſchwamm neben uns her, und Jeder fiſchte noch eine Kleinigkeit im Strom. Wir landeten auf einem Ei- land, und da unſere Mantelſaͤcke eben ſo durchnaͤßt waren, wie wir ſelbſt, ſo blieb nichts uͤbrig, als uns auszuziehen und die geſammte Toilette, ſo gut es gehen wollte, an der Sonne zu trocknen. Jn geringer Entfernung, auf einer andern Sandbank, ſaß ein Schwarm Pelikane, die, als wollten ſie uns verhoͤhnen, ebenfalls ihr weißes Gewand ſonnten; ploͤtzlich merkten wir, daß unſer Floß ſich losge-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/248>, abgerufen am 24.11.2024.