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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Elende der Stadt, welche sie umschließt; etwa 15,000 Lehm-
hütten sind um einige steinerne Moscheen und Caravanse-
rajs in enge Straßen zusammengedrängt. Am Tigris ist
das Jtsch-Kaleh mit prachtvollen Ruinen, gewaltigen Bo-
gen und schönen Kuppeln durch hohe Mauern von der Stadt
abgetrennt, und in demselben befindet sich noch wieder einer
jener künstlichen Erdberge, welche überall in dieser Gegend
die Akropolis trugen.

Das Gebirgsland, in welchem der Tigris oder Schatt
entspringt, ist von dem obern Euphrat von drei Seiten um-
schlossen, und seine Quellen liegen zum Theil nur zweitau-
send Schritte von dem Ufer dieses Stroms entfernt, mit
welchem sie sich erst 200 Meilen weiter wieder vermischen.
Der große See, welcher hoch über der Ebene von Karput
dicht am Ursprunge des Tigris liegt, steht jedoch in gar
keiner Verbindung mit diesem Strome; bei Argana-Maa-
den tritt er aus dem Gebirge, fließt an den Mauern von
Diarbekir vorbei, wo er im Sommer leicht durchfuhrtet
wird, und in einer weiten fruchtbaren Ebene fort, bis der
Battman-Strom sich mit ihm verbindet, der vom hohen
Karsan-Gebirge südlich herabkommt und eine größere Was-
sermasse dem Tigris zuführt, als dieser selbst besaß. Un-
mittelbar hinter jener Einmündung tritt der Schatt wieder
in ein hohes Sandsteingebirg; die sanft gekrümmten Win-
dungen des breiten seichten Stromes verwandeln sich in die
scharfen Zickzacks einer engen Felsschlucht; steil, oft senk-
recht steigen die Steinwände zu beiden Seiten empor, und
hoch oben an der Berglehne unter dunkelgrünen Palamut-
bäumen erblickt man einzelne Dorfschaften von Kurden, die
hier meist Höhlen-Bewohner sind.

Einen seltsamen Anblick gewährt die Stadt Hassn-Kejfa
auf einem hohen Felsen, in dessen senkrechter Wand eine
Stiege vom Fluß hinauf führt. Die alte Stadt unten ist
zerstört, nur einzelne Minarehs ragen noch empor und zei-
gen an, daß hier Moscheen und Häuser gestanden; die Be-
wohner waren genöthigt, sich auf die hohe Klippe zu flüch-

Elende der Stadt, welche ſie umſchließt; etwa 15,000 Lehm-
huͤtten ſind um einige ſteinerne Moſcheen und Caravanſe-
rajs in enge Straßen zuſammengedraͤngt. Am Tigris iſt
das Jtſch-Kaleh mit prachtvollen Ruinen, gewaltigen Bo-
gen und ſchoͤnen Kuppeln durch hohe Mauern von der Stadt
abgetrennt, und in demſelben befindet ſich noch wieder einer
jener kuͤnſtlichen Erdberge, welche uͤberall in dieſer Gegend
die Akropolis trugen.

Das Gebirgsland, in welchem der Tigris oder Schatt
entſpringt, iſt von dem obern Euphrat von drei Seiten um-
ſchloſſen, und ſeine Quellen liegen zum Theil nur zweitau-
ſend Schritte von dem Ufer dieſes Stroms entfernt, mit
welchem ſie ſich erſt 200 Meilen weiter wieder vermiſchen.
Der große See, welcher hoch uͤber der Ebene von Karput
dicht am Urſprunge des Tigris liegt, ſteht jedoch in gar
keiner Verbindung mit dieſem Strome; bei Argana-Maa-
den tritt er aus dem Gebirge, fließt an den Mauern von
Diarbekir vorbei, wo er im Sommer leicht durchfuhrtet
wird, und in einer weiten fruchtbaren Ebene fort, bis der
Battman-Strom ſich mit ihm verbindet, der vom hohen
Karſan-Gebirge ſuͤdlich herabkommt und eine groͤßere Waſ-
ſermaſſe dem Tigris zufuͤhrt, als dieſer ſelbſt beſaß. Un-
mittelbar hinter jener Einmuͤndung tritt der Schatt wieder
in ein hohes Sandſteingebirg; die ſanft gekruͤmmten Win-
dungen des breiten ſeichten Stromes verwandeln ſich in die
ſcharfen Zickzacks einer engen Felsſchlucht; ſteil, oft ſenk-
recht ſteigen die Steinwaͤnde zu beiden Seiten empor, und
hoch oben an der Berglehne unter dunkelgruͤnen Palamut-
baͤumen erblickt man einzelne Dorfſchaften von Kurden, die
hier meiſt Hoͤhlen-Bewohner ſind.

Einen ſeltſamen Anblick gewaͤhrt die Stadt Haſſn-Kejfa
auf einem hohen Felſen, in deſſen ſenkrechter Wand eine
Stiege vom Fluß hinauf fuͤhrt. Die alte Stadt unten iſt
zerſtoͤrt, nur einzelne Minarehs ragen noch empor und zei-
gen an, daß hier Moſcheen und Haͤuſer geſtanden; die Be-
wohner waren genoͤthigt, ſich auf die hohe Klippe zu fluͤch-

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[236/0246] Elende der Stadt, welche ſie umſchließt; etwa 15,000 Lehm- huͤtten ſind um einige ſteinerne Moſcheen und Caravanſe- rajs in enge Straßen zuſammengedraͤngt. Am Tigris iſt das Jtſch-Kaleh mit prachtvollen Ruinen, gewaltigen Bo- gen und ſchoͤnen Kuppeln durch hohe Mauern von der Stadt abgetrennt, und in demſelben befindet ſich noch wieder einer jener kuͤnſtlichen Erdberge, welche uͤberall in dieſer Gegend die Akropolis trugen. Das Gebirgsland, in welchem der Tigris oder Schatt entſpringt, iſt von dem obern Euphrat von drei Seiten um- ſchloſſen, und ſeine Quellen liegen zum Theil nur zweitau- ſend Schritte von dem Ufer dieſes Stroms entfernt, mit welchem ſie ſich erſt 200 Meilen weiter wieder vermiſchen. Der große See, welcher hoch uͤber der Ebene von Karput dicht am Urſprunge des Tigris liegt, ſteht jedoch in gar keiner Verbindung mit dieſem Strome; bei Argana-Maa- den tritt er aus dem Gebirge, fließt an den Mauern von Diarbekir vorbei, wo er im Sommer leicht durchfuhrtet wird, und in einer weiten fruchtbaren Ebene fort, bis der Battman-Strom ſich mit ihm verbindet, der vom hohen Karſan-Gebirge ſuͤdlich herabkommt und eine groͤßere Waſ- ſermaſſe dem Tigris zufuͤhrt, als dieſer ſelbſt beſaß. Un- mittelbar hinter jener Einmuͤndung tritt der Schatt wieder in ein hohes Sandſteingebirg; die ſanft gekruͤmmten Win- dungen des breiten ſeichten Stromes verwandeln ſich in die ſcharfen Zickzacks einer engen Felsſchlucht; ſteil, oft ſenk- recht ſteigen die Steinwaͤnde zu beiden Seiten empor, und hoch oben an der Berglehne unter dunkelgruͤnen Palamut- baͤumen erblickt man einzelne Dorfſchaften von Kurden, die hier meiſt Hoͤhlen-Bewohner ſind. Einen ſeltſamen Anblick gewaͤhrt die Stadt Haſſn-Kejfa auf einem hohen Felſen, in deſſen ſenkrechter Wand eine Stiege vom Fluß hinauf fuͤhrt. Die alte Stadt unten iſt zerſtoͤrt, nur einzelne Minarehs ragen noch empor und zei- gen an, daß hier Moſcheen und Haͤuſer geſtanden; die Be- wohner waren genoͤthigt, ſich auf die hohe Klippe zu fluͤch-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/246>, abgerufen am 24.11.2024.