Milosch Obrenowitsch war während seiner Anwe- senheit zu Konstantinopel mit seltener Auszeichnung em- pfangen worden, und ist der Pforte noch wahrhaft erge- ben, denn er ist klug genug, einzusehen, daß nur durch sie sein Fürstenthum bestehe. Jm Jnnern seines Landes herrscht er durch das Andenken an große Verdienste, durch die Ver- einigung aller materiellen Gewalt in seinen Händen und durch den Einfluß eines ungeheuern Reichthums. Nach Außen ist er stark durch den kriegerischen, tüchtigen Charakter des serbischen Volkes, denn obwohl seine Miliz nicht zahlreich, so weiß doch jeder Serbe die Waffen zu führen, für deren Besitz er so lange gekämpft hat.
3. Wallachische Schlitten. -- Gjurgew. -- Rustschuk. -- Reise mit dem Tartaren. -- Schumla. -- Türkische Bäder. -- Der Balkan. -- Adrianopel. -- Ankunft in Konstantinopel.
Konstantinopel, den 29. November 1835.
Nach achttägigem Aufenthalt zu Bukarest setzten wir unsere Reise zu Schlitten fort, wenn man diese schmeichel- hafte Benennung für ein Fuhrwerk brauchen will, das ei- gentlich nichts war als eine mit vier Pferden bespannte Schleife, und diese noch dazu so eng und kurz, daß die Beine über den Rand hervorragten, und man bei der schnel- len Bewegung sich nur mit der äußersten Anstrengung im Sitz erhielt. Auch hatten wir die erste Post noch nicht erreicht, als unser Postillon gestürzt und ich zweimal aus dem Schlitten gefallen war. Der Führer des Miniatur- Fahrzeugs nahm davon nicht die mindeste Kenntniß; er jagte mit seinen kleinen Pferden weiter, und man hatte die äußerste Mühe, ihn durch Rufen darauf aufmerksam zu machen, daß er ein wesentliches Stück seiner Fracht ver- loren habe. Die Bäche waren in den Thälern über die
Miloſch Obrenowitſch war waͤhrend ſeiner Anwe- ſenheit zu Konſtantinopel mit ſeltener Auszeichnung em- pfangen worden, und iſt der Pforte noch wahrhaft erge- ben, denn er iſt klug genug, einzuſehen, daß nur durch ſie ſein Fuͤrſtenthum beſtehe. Jm Jnnern ſeines Landes herrſcht er durch das Andenken an große Verdienſte, durch die Ver- einigung aller materiellen Gewalt in ſeinen Haͤnden und durch den Einfluß eines ungeheuern Reichthums. Nach Außen iſt er ſtark durch den kriegeriſchen, tuͤchtigen Charakter des ſerbiſchen Volkes, denn obwohl ſeine Miliz nicht zahlreich, ſo weiß doch jeder Serbe die Waffen zu fuͤhren, fuͤr deren Beſitz er ſo lange gekaͤmpft hat.
3. Wallachiſche Schlitten. — Gjurgew. — Ruſtſchuk. — Reiſe mit dem Tartaren. — Schumla. — Tuͤrkiſche Baͤder. — Der Balkan. — Adrianopel. — Ankunft in Konſtantinopel.
Konſtantinopel, den 29. November 1835.
Nach achttaͤgigem Aufenthalt zu Bukareſt ſetzten wir unſere Reiſe zu Schlitten fort, wenn man dieſe ſchmeichel- hafte Benennung fuͤr ein Fuhrwerk brauchen will, das ei- gentlich nichts war als eine mit vier Pferden beſpannte Schleife, und dieſe noch dazu ſo eng und kurz, daß die Beine uͤber den Rand hervorragten, und man bei der ſchnel- len Bewegung ſich nur mit der aͤußerſten Anſtrengung im Sitz erhielt. Auch hatten wir die erſte Poſt noch nicht erreicht, als unſer Poſtillon geſtuͤrzt und ich zweimal aus dem Schlitten gefallen war. Der Fuͤhrer des Miniatur- Fahrzeugs nahm davon nicht die mindeſte Kenntniß; er jagte mit ſeinen kleinen Pferden weiter, und man hatte die aͤußerſte Muͤhe, ihn durch Rufen darauf aufmerkſam zu machen, daß er ein weſentliches Stuͤck ſeiner Fracht ver- loren habe. Die Baͤche waren in den Thaͤlern uͤber die
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Miloſch Obrenowitſch war waͤhrend ſeiner Anwe-
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ben, denn er iſt klug genug, einzuſehen, daß nur durch ſie
ſein Fuͤrſtenthum beſtehe. Jm Jnnern ſeines Landes herrſcht
er durch das Andenken an große Verdienſte, durch die Ver-
einigung aller materiellen Gewalt in ſeinen Haͤnden und durch
den Einfluß eines ungeheuern Reichthums. Nach Außen
iſt er ſtark durch den kriegeriſchen, tuͤchtigen Charakter des
ſerbiſchen Volkes, denn obwohl ſeine Miliz nicht zahlreich,
ſo weiß doch jeder Serbe die Waffen zu fuͤhren, fuͤr deren
Beſitz er ſo lange gekaͤmpft hat.
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Wallachiſche Schlitten. — Gjurgew. — Ruſtſchuk. —
Reiſe mit dem Tartaren. — Schumla. — Tuͤrkiſche
Baͤder. — Der Balkan. — Adrianopel. —
Ankunft in Konſtantinopel.
Konſtantinopel, den 29. November 1835.
Nach achttaͤgigem Aufenthalt zu Bukareſt ſetzten wir
unſere Reiſe zu Schlitten fort, wenn man dieſe ſchmeichel-
hafte Benennung fuͤr ein Fuhrwerk brauchen will, das ei-
gentlich nichts war als eine mit vier Pferden beſpannte
Schleife, und dieſe noch dazu ſo eng und kurz, daß die
Beine uͤber den Rand hervorragten, und man bei der ſchnel-
len Bewegung ſich nur mit der aͤußerſten Anſtrengung im
Sitz erhielt. Auch hatten wir die erſte Poſt noch nicht
erreicht, als unſer Poſtillon geſtuͤrzt und ich zweimal aus
dem Schlitten gefallen war. Der Fuͤhrer des Miniatur-
Fahrzeugs nahm davon nicht die mindeſte Kenntniß; er
jagte mit ſeinen kleinen Pferden weiter, und man hatte die
aͤußerſte Muͤhe, ihn durch Rufen darauf aufmerkſam zu
machen, daß er ein weſentliches Stuͤck ſeiner Fracht ver-
loren habe. Die Baͤche waren in den Thaͤlern uͤber die
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/20>, abgerufen am 21.11.2024.
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