Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

allen der unzweifelhafteste nach der Beschreibung, welche
Homer von seiner Lage giebt, "am vorlaufenden Strand
";des breiten Hellesponts, daß es fernsichtbar aus der Mee-
";resfluth wäre den Männern allen, die jetzt mit leben und
";die sein werden in Zukunft."

So wie der Pelide auf dem rechten, so befehligte Ajax,
der Telamonier, auf dem linken Flügel des Lagers oder der
Flotte, denn die hell umschienten Achäer hatten ihre krumm-
geschnäbelten Schiffe (denen vielleicht nicht ungleich, die
noch heute den Hellespont durchschneiden) auf den Sand
gezogen und sich davor verschanzt. Dies nun konnte nir-
gend anders geschehen als auf dem flachen Ufer von Kum-
kaleh, von Achills Grab am Cap Sigäum, bis zum rhäti-
schen Vorgebirge; hier erhebt sich ein anderer Hünenhügel,
den man mit großer Wahrscheinlichkeit den des Ajax ge-
nannt hat.

Auch dieser Hügel ist erbrochen worden, die eine Hälfte
ist hinabgestürzt, und der Aufriß deckt ein viereckiges ge-
mauertes Gemach auf, dessen Seiten etwa zehn Schritte
messen. Unter der einen Ecke befindet sich ein Gewölbe von
etwa 4 Fuß Höhe, in welches man 10 bis 12 Schritt weit
hineinkriechen kann; der Mörtel dieses Mauerwerks mit
grünlichen Kieseln vermischt ist überaus zäh und scheint sehr
alt zu sein. Aber eben dieser Mörtel zeugt, daß jenes Ge-
wölbe bei weitem bis zur Homerischen Zeit nicht hinaufreichen
kann, denn damals senkte man die Todten "hinab in die
hohle Gruft und darüber häufte man mächtige Steine in
dicht geschlossener Ordnung."

Nun ist aber sehr wohl möglich, daß irgend ein spä-
terer Mächtiger, der wie Alexander und Caracalla sein Ge-
dächtniß an den unverwischlichen Namen Troja's knüpfen
wollte, sein Grab in den wahren Grabhügel der Telamo-
niden hineingebettet hat. Aber es fehlte ihm der Homer,
um ihm die Taufe der Unsterblichkeit zu geben; sein An-

allen der unzweifelhafteſte nach der Beſchreibung, welche
Homer von ſeiner Lage giebt, „am vorlaufenden Strand
„;des breiten Helleſponts, daß es fernſichtbar aus der Mee-
„;resfluth waͤre den Maͤnnern allen, die jetzt mit leben und
„;die ſein werden in Zukunft.“

So wie der Pelide auf dem rechten, ſo befehligte Ajax,
der Telamonier, auf dem linken Fluͤgel des Lagers oder der
Flotte, denn die hell umſchienten Achaͤer hatten ihre krumm-
geſchnaͤbelten Schiffe (denen vielleicht nicht ungleich, die
noch heute den Helleſpont durchſchneiden) auf den Sand
gezogen und ſich davor verſchanzt. Dies nun konnte nir-
gend anders geſchehen als auf dem flachen Ufer von Kum-
kaleh, von Achills Grab am Cap Sigaͤum, bis zum rhaͤti-
ſchen Vorgebirge; hier erhebt ſich ein anderer Huͤnenhuͤgel,
den man mit großer Wahrſcheinlichkeit den des Ajax ge-
nannt hat.

Auch dieſer Huͤgel iſt erbrochen worden, die eine Haͤlfte
iſt hinabgeſtuͤrzt, und der Aufriß deckt ein viereckiges ge-
mauertes Gemach auf, deſſen Seiten etwa zehn Schritte
meſſen. Unter der einen Ecke befindet ſich ein Gewoͤlbe von
etwa 4 Fuß Hoͤhe, in welches man 10 bis 12 Schritt weit
hineinkriechen kann; der Moͤrtel dieſes Mauerwerks mit
gruͤnlichen Kieſeln vermiſcht iſt uͤberaus zaͤh und ſcheint ſehr
alt zu ſein. Aber eben dieſer Moͤrtel zeugt, daß jenes Ge-
woͤlbe bei weitem bis zur Homeriſchen Zeit nicht hinaufreichen
kann, denn damals ſenkte man die Todten „hinab in die
hohle Gruft und daruͤber haͤufte man maͤchtige Steine in
dicht geſchloſſener Ordnung.“

Nun iſt aber ſehr wohl moͤglich, daß irgend ein ſpaͤ-
terer Maͤchtiger, der wie Alexander und Caracalla ſein Ge-
daͤchtniß an den unverwiſchlichen Namen Troja's knuͤpfen
wollte, ſein Grab in den wahren Grabhuͤgel der Telamo-
niden hineingebettet hat. Aber es fehlte ihm der Homer,
um ihm die Taufe der Unſterblichkeit zu geben; ſein An-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0181" n="171"/>
allen der unzweifelhafte&#x017F;te nach der Be&#x017F;chreibung, welche<lb/>
Homer von &#x017F;einer Lage giebt, &#x201E;am vorlaufenden Strand<lb/>
&#x201E;;des breiten Helle&#x017F;ponts, daß es fern&#x017F;ichtbar aus der Mee-<lb/>
&#x201E;;resfluth wa&#x0364;re den Ma&#x0364;nnern allen, die jetzt mit leben und<lb/>
&#x201E;;die &#x017F;ein werden in Zukunft.&#x201C;</p><lb/>
        <p>So wie der Pelide auf dem rechten, &#x017F;o befehligte Ajax,<lb/>
der Telamonier, auf dem linken Flu&#x0364;gel des Lagers oder der<lb/>
Flotte, denn die hell um&#x017F;chienten Acha&#x0364;er hatten ihre krumm-<lb/>
ge&#x017F;chna&#x0364;belten Schiffe (denen vielleicht nicht ungleich, die<lb/>
noch heute den Helle&#x017F;pont durch&#x017F;chneiden) auf den Sand<lb/>
gezogen und &#x017F;ich davor ver&#x017F;chanzt. Dies nun konnte nir-<lb/>
gend anders ge&#x017F;chehen als auf dem flachen Ufer von Kum-<lb/>
kaleh, von Achills Grab am Cap Siga&#x0364;um, bis zum rha&#x0364;ti-<lb/>
&#x017F;chen Vorgebirge; hier erhebt &#x017F;ich ein anderer Hu&#x0364;nenhu&#x0364;gel,<lb/>
den man mit großer Wahr&#x017F;cheinlichkeit den des Ajax ge-<lb/>
nannt hat.</p><lb/>
        <p>Auch die&#x017F;er Hu&#x0364;gel i&#x017F;t erbrochen worden, die eine Ha&#x0364;lfte<lb/>
i&#x017F;t hinabge&#x017F;tu&#x0364;rzt, und der Aufriß deckt ein viereckiges ge-<lb/>
mauertes Gemach auf, de&#x017F;&#x017F;en Seiten etwa zehn Schritte<lb/>
me&#x017F;&#x017F;en. Unter der einen Ecke befindet &#x017F;ich ein Gewo&#x0364;lbe von<lb/>
etwa 4 Fuß Ho&#x0364;he, in welches man 10 bis 12 Schritt weit<lb/>
hineinkriechen kann; der Mo&#x0364;rtel die&#x017F;es Mauerwerks mit<lb/>
gru&#x0364;nlichen Kie&#x017F;eln vermi&#x017F;cht i&#x017F;t u&#x0364;beraus za&#x0364;h und &#x017F;cheint &#x017F;ehr<lb/>
alt zu &#x017F;ein. Aber eben die&#x017F;er Mo&#x0364;rtel zeugt, daß jenes Ge-<lb/>
wo&#x0364;lbe bei weitem bis zur Homeri&#x017F;chen Zeit nicht hinaufreichen<lb/>
kann, denn damals &#x017F;enkte man die Todten &#x201E;hinab in die<lb/>
hohle Gruft und daru&#x0364;ber ha&#x0364;ufte man ma&#x0364;chtige Steine in<lb/>
dicht ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener Ordnung.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nun i&#x017F;t aber &#x017F;ehr wohl mo&#x0364;glich, daß irgend ein &#x017F;pa&#x0364;-<lb/>
terer Ma&#x0364;chtiger, der wie Alexander und Caracalla &#x017F;ein Ge-<lb/>
da&#x0364;chtniß an den unverwi&#x017F;chlichen Namen Troja's knu&#x0364;pfen<lb/>
wollte, &#x017F;ein Grab in den wahren Grabhu&#x0364;gel der Telamo-<lb/>
niden hineingebettet hat. Aber es fehlte ihm der Homer,<lb/>
um ihm die Taufe der Un&#x017F;terblichkeit zu geben; &#x017F;ein An-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0181] allen der unzweifelhafteſte nach der Beſchreibung, welche Homer von ſeiner Lage giebt, „am vorlaufenden Strand „;des breiten Helleſponts, daß es fernſichtbar aus der Mee- „;resfluth waͤre den Maͤnnern allen, die jetzt mit leben und „;die ſein werden in Zukunft.“ So wie der Pelide auf dem rechten, ſo befehligte Ajax, der Telamonier, auf dem linken Fluͤgel des Lagers oder der Flotte, denn die hell umſchienten Achaͤer hatten ihre krumm- geſchnaͤbelten Schiffe (denen vielleicht nicht ungleich, die noch heute den Helleſpont durchſchneiden) auf den Sand gezogen und ſich davor verſchanzt. Dies nun konnte nir- gend anders geſchehen als auf dem flachen Ufer von Kum- kaleh, von Achills Grab am Cap Sigaͤum, bis zum rhaͤti- ſchen Vorgebirge; hier erhebt ſich ein anderer Huͤnenhuͤgel, den man mit großer Wahrſcheinlichkeit den des Ajax ge- nannt hat. Auch dieſer Huͤgel iſt erbrochen worden, die eine Haͤlfte iſt hinabgeſtuͤrzt, und der Aufriß deckt ein viereckiges ge- mauertes Gemach auf, deſſen Seiten etwa zehn Schritte meſſen. Unter der einen Ecke befindet ſich ein Gewoͤlbe von etwa 4 Fuß Hoͤhe, in welches man 10 bis 12 Schritt weit hineinkriechen kann; der Moͤrtel dieſes Mauerwerks mit gruͤnlichen Kieſeln vermiſcht iſt uͤberaus zaͤh und ſcheint ſehr alt zu ſein. Aber eben dieſer Moͤrtel zeugt, daß jenes Ge- woͤlbe bei weitem bis zur Homeriſchen Zeit nicht hinaufreichen kann, denn damals ſenkte man die Todten „hinab in die hohle Gruft und daruͤber haͤufte man maͤchtige Steine in dicht geſchloſſener Ordnung.“ Nun iſt aber ſehr wohl moͤglich, daß irgend ein ſpaͤ- terer Maͤchtiger, der wie Alexander und Caracalla ſein Ge- daͤchtniß an den unverwiſchlichen Namen Troja's knuͤpfen wollte, ſein Grab in den wahren Grabhuͤgel der Telamo- niden hineingebettet hat. Aber es fehlte ihm der Homer, um ihm die Taufe der Unſterblichkeit zu geben; ſein An-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/181
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/181>, abgerufen am 27.11.2024.