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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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selbst unerlaubt. Was aber erlaubt sei, läßt sich freilich nicht
im Allgemeinen, sondern nur im einzelnen Staate und Falle
angeben. Hierbei wird denn allerdings von der Ansicht aus-
gegangen, daß mehrere und verschiedene Lebens-
zwecke
denkbar seien; zu dieser Annahme ist denn aber auch
alle Berechtigung. Die menschliche Natur ist so reich mit
geistigen und körperlichen Kräften ausgestattet, und deren be-
sondere Geltendmachung und Ausfüllung ist so sehr in den
Willen des Einzelnen gestellt, oder hängt vielmehr so bestimmt
von der gesammten Entwickelungsstufe des Volkes ab, daß kei-
neswegs nur ein einzelner bestimmter Lebenszweck für alle Zei-
ten und Völker gesetzt werden darf. Es kann also auch nicht
blos Einer in den Begriff des Staates aufgenommen werden.
Hiermit soll natürlich nicht gesagt sein, daß alle diese verschie-
denen Lebenszwecke gleichbedeutend seien und gleich hoch stehen.
Vielmehr ist zuzugeben, daß einzelne nur für Menschen auf nie-
deren Bildungsstufen genügen, andere aber sich entwickeln
und verstärken mit der allgemeinen geistigen Ausbildung. Es
ist also die Ansicht, daß Alles, was sich folgerichtig aus
der menschlichen Natur entwickelt, auch berechtigt ist. Aller-
dings wird mannchfach angenommen, daß die Förderung
einer harmonischen Ausbildung der allein richtige Staats-
zweck sei; dies ist jedoch ein Irrthum. Eine harmonische
Entwickelung des ganzen Wesens ist allerdings das höchste
Lebensziel und Ideal menschlicher Beschaffenheit; allein es ist nicht
nur die Erreichung dieses Zustandes, sondern selbst schon seine
Begreifung, nur unter der Bedingung höherer Gesittigung möglich.
Minder organisirte Menschen und weniger entwickelte ganze
Völker müssen sich mit der Auslebung einzelner Kräfte begnügen.
Zu Weiterem sind sie gar nicht fähig; also kann es auch ihre
Aufgabe und Pflicht nicht sein. Die Handhabung einer größern
oder kleinern Anzahl einzelner und untergeordneter Kräfte ist

ſelbſt unerlaubt. Was aber erlaubt ſei, läßt ſich freilich nicht
im Allgemeinen, ſondern nur im einzelnen Staate und Falle
angeben. Hierbei wird denn allerdings von der Anſicht aus-
gegangen, daß mehrere und verſchiedene Lebens-
zwecke
denkbar ſeien; zu dieſer Annahme iſt denn aber auch
alle Berechtigung. Die menſchliche Natur iſt ſo reich mit
geiſtigen und körperlichen Kräften ausgeſtattet, und deren be-
ſondere Geltendmachung und Ausfüllung iſt ſo ſehr in den
Willen des Einzelnen geſtellt, oder hängt vielmehr ſo beſtimmt
von der geſammten Entwickelungsſtufe des Volkes ab, daß kei-
neswegs nur ein einzelner beſtimmter Lebenszweck für alle Zei-
ten und Völker geſetzt werden darf. Es kann alſo auch nicht
blos Einer in den Begriff des Staates aufgenommen werden.
Hiermit ſoll natürlich nicht geſagt ſein, daß alle dieſe verſchie-
denen Lebenszwecke gleichbedeutend ſeien und gleich hoch ſtehen.
Vielmehr iſt zuzugeben, daß einzelne nur für Menſchen auf nie-
deren Bildungsſtufen genügen, andere aber ſich entwickeln
und verſtärken mit der allgemeinen geiſtigen Ausbildung. Es
iſt alſo die Anſicht, daß Alles, was ſich folgerichtig aus
der menſchlichen Natur entwickelt, auch berechtigt iſt. Aller-
dings wird mannchfach angenommen, daß die Förderung
einer harmoniſchen Ausbildung der allein richtige Staats-
zweck ſei; dies iſt jedoch ein Irrthum. Eine harmoniſche
Entwickelung des ganzen Weſens iſt allerdings das höchſte
Lebensziel und Ideal menſchlicher Beſchaffenheit; allein es iſt nicht
nur die Erreichung dieſes Zuſtandes, ſondern ſelbſt ſchon ſeine
Begreifung, nur unter der Bedingung höherer Geſittigung möglich.
Minder organiſirte Menſchen und weniger entwickelte ganze
Völker müſſen ſich mit der Auslebung einzelner Kräfte begnügen.
Zu Weiterem ſind ſie gar nicht fähig; alſo kann es auch ihre
Aufgabe und Pflicht nicht ſein. Die Handhabung einer größern
oder kleinern Anzahl einzelner und untergeordneter Kräfte iſt

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[68/0082] ſelbſt unerlaubt. Was aber erlaubt ſei, läßt ſich freilich nicht im Allgemeinen, ſondern nur im einzelnen Staate und Falle angeben. Hierbei wird denn allerdings von der Anſicht aus- gegangen, daß mehrere und verſchiedene Lebens- zwecke denkbar ſeien; zu dieſer Annahme iſt denn aber auch alle Berechtigung. Die menſchliche Natur iſt ſo reich mit geiſtigen und körperlichen Kräften ausgeſtattet, und deren be- ſondere Geltendmachung und Ausfüllung iſt ſo ſehr in den Willen des Einzelnen geſtellt, oder hängt vielmehr ſo beſtimmt von der geſammten Entwickelungsſtufe des Volkes ab, daß kei- neswegs nur ein einzelner beſtimmter Lebenszweck für alle Zei- ten und Völker geſetzt werden darf. Es kann alſo auch nicht blos Einer in den Begriff des Staates aufgenommen werden. Hiermit ſoll natürlich nicht geſagt ſein, daß alle dieſe verſchie- denen Lebenszwecke gleichbedeutend ſeien und gleich hoch ſtehen. Vielmehr iſt zuzugeben, daß einzelne nur für Menſchen auf nie- deren Bildungsſtufen genügen, andere aber ſich entwickeln und verſtärken mit der allgemeinen geiſtigen Ausbildung. Es iſt alſo die Anſicht, daß Alles, was ſich folgerichtig aus der menſchlichen Natur entwickelt, auch berechtigt iſt. Aller- dings wird mannchfach angenommen, daß die Förderung einer harmoniſchen Ausbildung der allein richtige Staats- zweck ſei; dies iſt jedoch ein Irrthum. Eine harmoniſche Entwickelung des ganzen Weſens iſt allerdings das höchſte Lebensziel und Ideal menſchlicher Beſchaffenheit; allein es iſt nicht nur die Erreichung dieſes Zuſtandes, ſondern ſelbſt ſchon ſeine Begreifung, nur unter der Bedingung höherer Geſittigung möglich. Minder organiſirte Menſchen und weniger entwickelte ganze Völker müſſen ſich mit der Auslebung einzelner Kräfte begnügen. Zu Weiterem ſind ſie gar nicht fähig; alſo kann es auch ihre Aufgabe und Pflicht nicht ſein. Die Handhabung einer größern oder kleinern Anzahl einzelner und untergeordneter Kräfte iſt

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/82>, abgerufen am 23.11.2024.