Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Zustand der Gesittigung und der Volkswirthschaft muß hier in
jedem Lande das Nähere an die Hand geben. Unter allen
Umständen können freilich directe Steuern ohne unvermeidlichen
Ruin der Pflichtigen das reine Einkommen aus dem Besteue-
rungsgegenstande dauernd nicht überschreiten; und wenn auch
bei indirecten Steuern die höchste mögliche Grenze weniger be-
stimmt nach einem allgemeinen Satze festgestellt werden kann,
so ist doch durchweg einleuchtend, daß eine große Steigerung
derselben entweder eine dem ganzen Dasein des Staates zu-
widerlaufende Beeinträchtigung der Lebenszwecke der Bürger zur
Folge hat, oder sie aber ihre eigene Absicht verfehlt, insoferne
natürlich die steuerpflichtigen Handlungen möglichst unterlassen
werden. Nicht selten wird sogar beides zu gleicher Zeit ein-
treten. Im Uebrigen sind noch bei allen Arten von Abgaben
folgende einzelne Zweckmäßigkeits-Regeln zu beachten:

a. Eine Steuer darf in keiner andern Weise und zu keiner
andern Zeit erhoben werden, als durch ein Gesetz an-
geordnet ist, damit Jeder seine Vorkehrungen treffen
kann.
b. Eine Abgabe soll nicht früher erhoben werden, als die
Regierung ihrer bedürftig ist, damit nicht das Geld unbe-
nützt in den Kassen liegt.
c. Jede Steuer muß in kleine Raten zerschlagen und darf
nur zu solcher Zeit eingezogen werden, in welcher den
Pflichtigen die Bezahlung möglich ist.
d. Unter den möglichen Erhebungsarten hat, bei gleicher
Sicherheit, die wohlfeilere den Vorzug, da nur der
reine Ertrag der Steuern für die Staatsausgaben verfüg-
bar ist.
e. Auch bei dem Steuersysteme ist Alles zu vermeiden, was
das Rechts- oder Sittlichkeitsgefühl des Volkes zerstören
könnte; ebenso Quälereien und Eindringen in die Privat-

Zuſtand der Geſittigung und der Volkswirthſchaft muß hier in
jedem Lande das Nähere an die Hand geben. Unter allen
Umſtänden können freilich directe Steuern ohne unvermeidlichen
Ruin der Pflichtigen das reine Einkommen aus dem Beſteue-
rungsgegenſtande dauernd nicht überſchreiten; und wenn auch
bei indirecten Steuern die höchſte mögliche Grenze weniger be-
ſtimmt nach einem allgemeinen Satze feſtgeſtellt werden kann,
ſo iſt doch durchweg einleuchtend, daß eine große Steigerung
derſelben entweder eine dem ganzen Daſein des Staates zu-
widerlaufende Beeinträchtigung der Lebenszwecke der Bürger zur
Folge hat, oder ſie aber ihre eigene Abſicht verfehlt, inſoferne
natürlich die ſteuerpflichtigen Handlungen möglichſt unterlaſſen
werden. Nicht ſelten wird ſogar beides zu gleicher Zeit ein-
treten. Im Uebrigen ſind noch bei allen Arten von Abgaben
folgende einzelne Zweckmäßigkeits-Regeln zu beachten:

a. Eine Steuer darf in keiner andern Weiſe und zu keiner
andern Zeit erhoben werden, als durch ein Geſetz an-
geordnet iſt, damit Jeder ſeine Vorkehrungen treffen
kann.
b. Eine Abgabe ſoll nicht früher erhoben werden, als die
Regierung ihrer bedürftig iſt, damit nicht das Geld unbe-
nützt in den Kaſſen liegt.
c. Jede Steuer muß in kleine Raten zerſchlagen und darf
nur zu ſolcher Zeit eingezogen werden, in welcher den
Pflichtigen die Bezahlung möglich iſt.
d. Unter den möglichen Erhebungsarten hat, bei gleicher
Sicherheit, die wohlfeilere den Vorzug, da nur der
reine Ertrag der Steuern für die Staatsausgaben verfüg-
bar iſt.
e. Auch bei dem Steuerſyſteme iſt Alles zu vermeiden, was
das Rechts- oder Sittlichkeitsgefühl des Volkes zerſtören
könnte; ebenſo Quälereien und Eindringen in die Privat-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0694" n="680"/>
Zu&#x017F;tand der Ge&#x017F;ittigung und der Volkswirth&#x017F;chaft muß hier in<lb/>
jedem Lande das Nähere an die Hand geben. Unter allen<lb/>
Um&#x017F;tänden können freilich directe Steuern ohne unvermeidlichen<lb/>
Ruin der Pflichtigen das reine Einkommen aus dem Be&#x017F;teue-<lb/>
rungsgegen&#x017F;tande dauernd nicht über&#x017F;chreiten; und wenn auch<lb/>
bei indirecten Steuern die höch&#x017F;te mögliche Grenze weniger be-<lb/>
&#x017F;timmt nach einem allgemeinen Satze fe&#x017F;tge&#x017F;tellt werden kann,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t doch durchweg einleuchtend, daß eine große Steigerung<lb/>
der&#x017F;elben entweder eine dem ganzen Da&#x017F;ein des Staates zu-<lb/>
widerlaufende Beeinträchtigung der Lebenszwecke der Bürger zur<lb/>
Folge hat, oder &#x017F;ie aber ihre eigene Ab&#x017F;icht verfehlt, in&#x017F;oferne<lb/>
natürlich die &#x017F;teuerpflichtigen Handlungen möglich&#x017F;t unterla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
werden. Nicht &#x017F;elten wird &#x017F;ogar beides zu gleicher Zeit ein-<lb/>
treten. Im Uebrigen &#x017F;ind noch bei allen Arten von Abgaben<lb/>
folgende einzelne Zweckmäßigkeits-Regeln zu beachten:</p><lb/>
                <list>
                  <item><hi rendition="#aq">a.</hi> Eine Steuer darf in keiner andern Wei&#x017F;e und zu keiner<lb/>
andern Zeit erhoben werden, als durch ein Ge&#x017F;etz an-<lb/>
geordnet i&#x017F;t, damit Jeder &#x017F;eine Vorkehrungen treffen<lb/>
kann.</item><lb/>
                  <item><hi rendition="#aq">b.</hi> Eine Abgabe &#x017F;oll nicht früher erhoben werden, als die<lb/>
Regierung ihrer bedürftig i&#x017F;t, damit nicht das Geld unbe-<lb/>
nützt in den Ka&#x017F;&#x017F;en liegt.</item><lb/>
                  <item><hi rendition="#aq">c.</hi> Jede Steuer muß in kleine Raten zer&#x017F;chlagen und darf<lb/>
nur zu &#x017F;olcher Zeit eingezogen werden, in welcher den<lb/>
Pflichtigen die Bezahlung möglich i&#x017F;t.</item><lb/>
                  <item><hi rendition="#aq">d.</hi> Unter den möglichen Erhebungsarten hat, bei gleicher<lb/>
Sicherheit, die wohlfeilere den Vorzug, da nur der<lb/>
reine Ertrag der Steuern für die Staatsausgaben verfüg-<lb/>
bar i&#x017F;t.</item><lb/>
                  <item><hi rendition="#aq">e.</hi> Auch bei dem Steuer&#x017F;y&#x017F;teme i&#x017F;t Alles zu vermeiden, was<lb/>
das Rechts- oder Sittlichkeitsgefühl des Volkes zer&#x017F;tören<lb/>
könnte; eben&#x017F;o Quälereien und Eindringen in die Privat-<lb/></item>
                </list>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[680/0694] Zuſtand der Geſittigung und der Volkswirthſchaft muß hier in jedem Lande das Nähere an die Hand geben. Unter allen Umſtänden können freilich directe Steuern ohne unvermeidlichen Ruin der Pflichtigen das reine Einkommen aus dem Beſteue- rungsgegenſtande dauernd nicht überſchreiten; und wenn auch bei indirecten Steuern die höchſte mögliche Grenze weniger be- ſtimmt nach einem allgemeinen Satze feſtgeſtellt werden kann, ſo iſt doch durchweg einleuchtend, daß eine große Steigerung derſelben entweder eine dem ganzen Daſein des Staates zu- widerlaufende Beeinträchtigung der Lebenszwecke der Bürger zur Folge hat, oder ſie aber ihre eigene Abſicht verfehlt, inſoferne natürlich die ſteuerpflichtigen Handlungen möglichſt unterlaſſen werden. Nicht ſelten wird ſogar beides zu gleicher Zeit ein- treten. Im Uebrigen ſind noch bei allen Arten von Abgaben folgende einzelne Zweckmäßigkeits-Regeln zu beachten: a. Eine Steuer darf in keiner andern Weiſe und zu keiner andern Zeit erhoben werden, als durch ein Geſetz an- geordnet iſt, damit Jeder ſeine Vorkehrungen treffen kann. b. Eine Abgabe ſoll nicht früher erhoben werden, als die Regierung ihrer bedürftig iſt, damit nicht das Geld unbe- nützt in den Kaſſen liegt. c. Jede Steuer muß in kleine Raten zerſchlagen und darf nur zu ſolcher Zeit eingezogen werden, in welcher den Pflichtigen die Bezahlung möglich iſt. d. Unter den möglichen Erhebungsarten hat, bei gleicher Sicherheit, die wohlfeilere den Vorzug, da nur der reine Ertrag der Steuern für die Staatsausgaben verfüg- bar iſt. e. Auch bei dem Steuerſyſteme iſt Alles zu vermeiden, was das Rechts- oder Sittlichkeitsgefühl des Volkes zerſtören könnte; ebenſo Quälereien und Eindringen in die Privat-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/694
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 680. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/694>, abgerufen am 17.05.2024.