Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

noch ist es wünschenswerth, daß Einrichtungen getroffen
werden, welche eine möglichste Sicherung gegen unverdiente
Ausübung der Begnadigung geben. Es sind hierbei je nach
der Verschiedenheit der Staaten drei Fälle zu unterscheiden.
Wenn die Staatsgewalt von einer größeren, aristokratischen
oder demokratischen, Versammlung ausgeübt wird, ist eine vor-
läufige Untersuchung und ein Antrag von einer engeren Be-
hörde nothwendig, zu vorläufiger Feststellung der Thatsachen
und zu überlegterer Abwägung der Gründe. Wenn dagegen
das Begnadigungsrecht einem gewählten Haupte der ausübenden
Gewalt zusteht, wie namentlich in repräsentativen Demokratieen,
so erscheint die Mitwirkung eines Staatsrathes oder einer
ähnlichen Behörde sehr an der Stelle, theils damit das Vor-
recht nicht zu persönlichen und Partei-Zwecken mißbraucht
werde, theils um den Regierungsvorstand vor Zudringlichkeit
und vielleicht selbst Gewalt zu schützen. In Fürstenthümern
endlich ist es räthlich, daß eine Ausübung des Begnadigungs-
rechtes wie jede andere Regierungshandlung betrachtet werde,
daher auch nur unter der Verantwortlichkeit eines für Recht
und Zweckmäßigkeit haftenden Rathes der Krone vor sich gehe.
-- Die Ertheilung von massenhaften und ohne Untersuchung
des einzelnen Falles eintretenden Begnadigungen, Amnestieen,
ist nur ganz ausnahmsweise vereinbar mit einer kräftigen
Rechtspflege und dem Ansehen der Regierung; vor Allem darf
sie nie in Beziehung gesetzt werden mit persönlichen Schicksalen
des Staatsoberhauptes 4). Am meisten ist zu einer solchen
ausgedehnten Begnadigung zu rathen, wenn dadurch nach glück-
licher Beendigung innerer Unruhen eine Versöhnung der Par-
teien zuwege gebracht werden kann. Nur ist auch dann als
unerläßliche Bedingung vorauszusetzen, daß die Gegner voll-
ständig besiegt und zur bedingungslosen Unterwerfung geneigt
sind. Eine Begnadigung noch trotziger Feinde wird entweder

noch iſt es wünſchenswerth, daß Einrichtungen getroffen
werden, welche eine möglichſte Sicherung gegen unverdiente
Ausübung der Begnadigung geben. Es ſind hierbei je nach
der Verſchiedenheit der Staaten drei Fälle zu unterſcheiden.
Wenn die Staatsgewalt von einer größeren, ariſtokratiſchen
oder demokratiſchen, Verſammlung ausgeübt wird, iſt eine vor-
läufige Unterſuchung und ein Antrag von einer engeren Be-
hörde nothwendig, zu vorläufiger Feſtſtellung der Thatſachen
und zu überlegterer Abwägung der Gründe. Wenn dagegen
das Begnadigungsrecht einem gewählten Haupte der ausübenden
Gewalt zuſteht, wie namentlich in repräſentativen Demokratieen,
ſo erſcheint die Mitwirkung eines Staatsrathes oder einer
ähnlichen Behörde ſehr an der Stelle, theils damit das Vor-
recht nicht zu perſönlichen und Partei-Zwecken mißbraucht
werde, theils um den Regierungsvorſtand vor Zudringlichkeit
und vielleicht ſelbſt Gewalt zu ſchützen. In Fürſtenthümern
endlich iſt es räthlich, daß eine Ausübung des Begnadigungs-
rechtes wie jede andere Regierungshandlung betrachtet werde,
daher auch nur unter der Verantwortlichkeit eines für Recht
und Zweckmäßigkeit haftenden Rathes der Krone vor ſich gehe.
— Die Ertheilung von maſſenhaften und ohne Unterſuchung
des einzelnen Falles eintretenden Begnadigungen, Amneſtieen,
iſt nur ganz ausnahmsweiſe vereinbar mit einer kräftigen
Rechtspflege und dem Anſehen der Regierung; vor Allem darf
ſie nie in Beziehung geſetzt werden mit perſönlichen Schickſalen
des Staatsoberhauptes 4). Am meiſten iſt zu einer ſolchen
ausgedehnten Begnadigung zu rathen, wenn dadurch nach glück-
licher Beendigung innerer Unruhen eine Verſöhnung der Par-
teien zuwege gebracht werden kann. Nur iſt auch dann als
unerläßliche Bedingung vorauszuſetzen, daß die Gegner voll-
ſtändig beſiegt und zur bedingungsloſen Unterwerfung geneigt
ſind. Eine Begnadigung noch trotziger Feinde wird entweder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0644" n="630"/>
noch i&#x017F;t es wün&#x017F;chenswerth, daß Einrichtungen getroffen<lb/>
werden, welche eine möglich&#x017F;te Sicherung gegen unverdiente<lb/>
Ausübung der Begnadigung geben. Es &#x017F;ind hierbei je nach<lb/>
der Ver&#x017F;chiedenheit der Staaten drei Fälle zu unter&#x017F;cheiden.<lb/>
Wenn die Staatsgewalt von einer größeren, ari&#x017F;tokrati&#x017F;chen<lb/>
oder demokrati&#x017F;chen, Ver&#x017F;ammlung ausgeübt wird, i&#x017F;t eine vor-<lb/>
läufige Unter&#x017F;uchung und ein Antrag von einer engeren Be-<lb/>
hörde nothwendig, zu vorläufiger Fe&#x017F;t&#x017F;tellung der That&#x017F;achen<lb/>
und zu überlegterer Abwägung der Gründe. Wenn dagegen<lb/>
das Begnadigungsrecht einem gewählten Haupte der ausübenden<lb/>
Gewalt zu&#x017F;teht, wie namentlich in reprä&#x017F;entativen Demokratieen,<lb/>
&#x017F;o er&#x017F;cheint die Mitwirkung eines Staatsrathes oder einer<lb/>
ähnlichen Behörde &#x017F;ehr an der Stelle, theils damit das Vor-<lb/>
recht nicht zu per&#x017F;önlichen und Partei-Zwecken mißbraucht<lb/>
werde, theils um den Regierungsvor&#x017F;tand vor Zudringlichkeit<lb/>
und vielleicht &#x017F;elb&#x017F;t Gewalt zu &#x017F;chützen. In Für&#x017F;tenthümern<lb/>
endlich i&#x017F;t es räthlich, daß eine Ausübung des Begnadigungs-<lb/>
rechtes wie jede andere Regierungshandlung betrachtet werde,<lb/>
daher auch nur unter der Verantwortlichkeit eines für Recht<lb/>
und Zweckmäßigkeit haftenden Rathes der Krone vor &#x017F;ich gehe.<lb/>
&#x2014; Die Ertheilung von ma&#x017F;&#x017F;enhaften und ohne Unter&#x017F;uchung<lb/>
des einzelnen Falles eintretenden Begnadigungen, Amne&#x017F;tieen,<lb/>
i&#x017F;t nur ganz ausnahmswei&#x017F;e vereinbar mit einer kräftigen<lb/>
Rechtspflege und dem An&#x017F;ehen der Regierung; vor Allem darf<lb/>
&#x017F;ie nie in Beziehung ge&#x017F;etzt werden mit per&#x017F;önlichen Schick&#x017F;alen<lb/>
des Staatsoberhauptes <hi rendition="#sup">4</hi>). Am mei&#x017F;ten i&#x017F;t zu einer &#x017F;olchen<lb/>
ausgedehnten Begnadigung zu rathen, wenn dadurch nach glück-<lb/>
licher Beendigung innerer Unruhen eine Ver&#x017F;öhnung der Par-<lb/>
teien zuwege gebracht werden kann. Nur i&#x017F;t auch dann als<lb/>
unerläßliche Bedingung vorauszu&#x017F;etzen, daß die Gegner voll-<lb/>
&#x017F;tändig be&#x017F;iegt und zur bedingungslo&#x017F;en Unterwerfung geneigt<lb/>
&#x017F;ind. Eine Begnadigung noch trotziger Feinde wird entweder<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[630/0644] noch iſt es wünſchenswerth, daß Einrichtungen getroffen werden, welche eine möglichſte Sicherung gegen unverdiente Ausübung der Begnadigung geben. Es ſind hierbei je nach der Verſchiedenheit der Staaten drei Fälle zu unterſcheiden. Wenn die Staatsgewalt von einer größeren, ariſtokratiſchen oder demokratiſchen, Verſammlung ausgeübt wird, iſt eine vor- läufige Unterſuchung und ein Antrag von einer engeren Be- hörde nothwendig, zu vorläufiger Feſtſtellung der Thatſachen und zu überlegterer Abwägung der Gründe. Wenn dagegen das Begnadigungsrecht einem gewählten Haupte der ausübenden Gewalt zuſteht, wie namentlich in repräſentativen Demokratieen, ſo erſcheint die Mitwirkung eines Staatsrathes oder einer ähnlichen Behörde ſehr an der Stelle, theils damit das Vor- recht nicht zu perſönlichen und Partei-Zwecken mißbraucht werde, theils um den Regierungsvorſtand vor Zudringlichkeit und vielleicht ſelbſt Gewalt zu ſchützen. In Fürſtenthümern endlich iſt es räthlich, daß eine Ausübung des Begnadigungs- rechtes wie jede andere Regierungshandlung betrachtet werde, daher auch nur unter der Verantwortlichkeit eines für Recht und Zweckmäßigkeit haftenden Rathes der Krone vor ſich gehe. — Die Ertheilung von maſſenhaften und ohne Unterſuchung des einzelnen Falles eintretenden Begnadigungen, Amneſtieen, iſt nur ganz ausnahmsweiſe vereinbar mit einer kräftigen Rechtspflege und dem Anſehen der Regierung; vor Allem darf ſie nie in Beziehung geſetzt werden mit perſönlichen Schickſalen des Staatsoberhauptes 4). Am meiſten iſt zu einer ſolchen ausgedehnten Begnadigung zu rathen, wenn dadurch nach glück- licher Beendigung innerer Unruhen eine Verſöhnung der Par- teien zuwege gebracht werden kann. Nur iſt auch dann als unerläßliche Bedingung vorauszuſetzen, daß die Gegner voll- ſtändig beſiegt und zur bedingungsloſen Unterwerfung geneigt ſind. Eine Begnadigung noch trotziger Feinde wird entweder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/644
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 630. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/644>, abgerufen am 23.11.2024.