3) Nichts kann thörichter, weil unausführbarer, sein, als die Vorschriften der französischen Verfassung von 1791, der Cortes-Verfassung von 1812 u. s. w., welche die Erziehung des Thronerben in die Hände der Volksver- treter legen wollten. Welchen Erfolg würde eine solche von verhaßter Seite ausgehende Bezeichnung von Lehrern und Lehrgegenständen gegenüber von heimlichen Einwirkungen der Familie und der Umgebung haben können? Auch ist handgreiflich, daß mit einer verfassungsmäßigen Erziehung des vermuthlichen Thronfolgers allein noch sehr wenig gewonnen wäre, da niemals mit Be- stimmtheit zum Voraus angegeben werden kann, wer wirklich zur Regie- rung gelangen wird.
4) Wenn früher darüber zu klagen war, daß Prinzen so gut wie gar nichts lernten: so wird jetzt wohl zuweilen der entgegengesetzte Fehler gemacht und durch Uebertreibung einer mechanischen Ordnung und durch Ueberhäu- fung mit Unterrichtsgegenständen froher Muth, freie Selbstbestimmung und Freude an Bildung gebrochen. Die Folgen sind in beiden Fällen ganz dieselben.
§ 96. g. Zweckmäßige Ausübung der Regierungsrechte.
Leichter kommt das Staatsrecht darüber ins Reine, welche Regierungsbefugnisse einem Staatsoberhaupte zustehen, als von der Staatskunst die Mittel zur zweckmäßigen Anwendung aus- findig gemacht werden. Nur von letzteren ist im Nachstehenden die Rede.
1. Die Oberaufsicht. -- Eine fleißige und genaue Unterrichtung über das thatsächliche Verhalten aller staatlichen Zustände und Geschäfte ist von der höchsten Bedeutung. Sie gewährt Kenntniß von den geistigen und sachlichen Verhältnissen und Bedürfnissen des Landes, von dem Gange der Verwaltung, von der Persönlichkeit der Beamten, endlich ist sie Aufmunte- rung zur Pflichterfüllung für Viele. Mehr oder weniger kann eine solche Aufsicht in jeder Staatsform stattfinden; doch ist allerdings die Regierung Einzelner geschickter zur Ausübung, theils wegen des geringeren Zeitaufwandes für die Prüfung und Erledigung der einzelnen Geschäfte, theils wegen der leich-
v. Mohl, Encyclopädie. 40
3) Nichts kann thörichter, weil unausführbarer, ſein, als die Vorſchriften der franzöſiſchen Verfaſſung von 1791, der Cortes-Verfaſſung von 1812 u. ſ. w., welche die Erziehung des Thronerben in die Hände der Volksver- treter legen wollten. Welchen Erfolg würde eine ſolche von verhaßter Seite ausgehende Bezeichnung von Lehrern und Lehrgegenſtänden gegenüber von heimlichen Einwirkungen der Familie und der Umgebung haben können? Auch iſt handgreiflich, daß mit einer verfaſſungsmäßigen Erziehung des vermuthlichen Thronfolgers allein noch ſehr wenig gewonnen wäre, da niemals mit Be- ſtimmtheit zum Voraus angegeben werden kann, wer wirklich zur Regie- rung gelangen wird.
4) Wenn früher darüber zu klagen war, daß Prinzen ſo gut wie gar nichts lernten: ſo wird jetzt wohl zuweilen der entgegengeſetzte Fehler gemacht und durch Uebertreibung einer mechaniſchen Ordnung und durch Ueberhäu- fung mit Unterrichtsgegenſtänden froher Muth, freie Selbſtbeſtimmung und Freude an Bildung gebrochen. Die Folgen ſind in beiden Fällen ganz dieſelben.
§ 96. γ. Zweckmäßige Ausübung der Regierungsrechte.
Leichter kommt das Staatsrecht darüber ins Reine, welche Regierungsbefugniſſe einem Staatsoberhaupte zuſtehen, als von der Staatskunſt die Mittel zur zweckmäßigen Anwendung aus- findig gemacht werden. Nur von letzteren iſt im Nachſtehenden die Rede.
1. Die Oberaufſicht. — Eine fleißige und genaue Unterrichtung über das thatſächliche Verhalten aller ſtaatlichen Zuſtände und Geſchäfte iſt von der höchſten Bedeutung. Sie gewährt Kenntniß von den geiſtigen und ſachlichen Verhältniſſen und Bedürfniſſen des Landes, von dem Gange der Verwaltung, von der Perſönlichkeit der Beamten, endlich iſt ſie Aufmunte- rung zur Pflichterfüllung für Viele. Mehr oder weniger kann eine ſolche Aufſicht in jeder Staatsform ſtattfinden; doch iſt allerdings die Regierung Einzelner geſchickter zur Ausübung, theils wegen des geringeren Zeitaufwandes für die Prüfung und Erledigung der einzelnen Geſchäfte, theils wegen der leich-
v. Mohl, Encyclopädie. 40
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³⁾ Nichts kann thörichter, weil unausführbarer, ſein, als die Vorſchriften
der franzöſiſchen Verfaſſung von 1791, der Cortes-Verfaſſung von 1812
u. ſ. w., welche die Erziehung des Thronerben in die Hände der Volksver-
treter legen wollten. Welchen Erfolg würde eine ſolche von verhaßter Seite
ausgehende Bezeichnung von Lehrern und Lehrgegenſtänden gegenüber von
heimlichen Einwirkungen der Familie und der Umgebung haben können? Auch
iſt handgreiflich, daß mit einer verfaſſungsmäßigen Erziehung des vermuthlichen
Thronfolgers allein noch ſehr wenig gewonnen wäre, da niemals mit Be-
ſtimmtheit zum Voraus angegeben werden kann, wer wirklich zur Regie-
rung gelangen wird.
⁴⁾ Wenn früher darüber zu klagen war, daß Prinzen ſo gut wie gar
nichts lernten: ſo wird jetzt wohl zuweilen der entgegengeſetzte Fehler gemacht
und durch Uebertreibung einer mechaniſchen Ordnung und durch Ueberhäu-
fung mit Unterrichtsgegenſtänden froher Muth, freie Selbſtbeſtimmung und
Freude an Bildung gebrochen. Die Folgen ſind in beiden Fällen ganz
dieſelben.
§ 96.
γ. Zweckmäßige Ausübung der Regierungsrechte.
Leichter kommt das Staatsrecht darüber ins Reine, welche
Regierungsbefugniſſe einem Staatsoberhaupte zuſtehen, als von
der Staatskunſt die Mittel zur zweckmäßigen Anwendung aus-
findig gemacht werden. Nur von letzteren iſt im Nachſtehenden
die Rede.
1. Die Oberaufſicht. — Eine fleißige und genaue
Unterrichtung über das thatſächliche Verhalten aller ſtaatlichen
Zuſtände und Geſchäfte iſt von der höchſten Bedeutung. Sie
gewährt Kenntniß von den geiſtigen und ſachlichen Verhältniſſen
und Bedürfniſſen des Landes, von dem Gange der Verwaltung,
von der Perſönlichkeit der Beamten, endlich iſt ſie Aufmunte-
rung zur Pflichterfüllung für Viele. Mehr oder weniger kann
eine ſolche Aufſicht in jeder Staatsform ſtattfinden; doch iſt
allerdings die Regierung Einzelner geſchickter zur Ausübung,
theils wegen des geringeren Zeitaufwandes für die Prüfung
und Erledigung der einzelnen Geſchäfte, theils wegen der leich-
v. Mohl, Encyclopädie. 40
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/639>, abgerufen am 28.11.2024.
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