Uebel. Hieran ist nun allerdings richtig, daß die folgewidrige Verbindung der neuen Freiheitsforderungen mit den Ueberresten früherer Bevorrechtungen ein Gewirre von sich selbst wider- sprechenden Uebeln erzeugt; allein die Freunde der freien Gestaltung der Dinge fehlen in dreifacher Beziehung. Einmal, daß sie die ursprünglichen Vortheile einer unbedingten Ver- äußerlichkeit und Theilbarkeit des Grundeigenthums für nach- haltig erachten, während diese nun während einiger Generationen ungetrübt erscheinen, dann aber in eine schädliche Zersplitterung des Bodens übergehen können. Zweitens ist das leichte Weg- gehen über die durch Mitwirkung Erdrückten eine harte Gedan- kenlosigkeit und der den Verunglückten zugeworfene Tadel wegen angeblich starrsinnigen Festhaltens an Ueberlebtem häufig sehr ungerecht. Endlich ist es eine kurzsichtige oder absichtliche Selbst- verblendung, wenn die in dem Systeme der freien Mitwerbung sich vielfach geltend machende Herzlosigkeit und Unsittlichkeit unbeachtet bleibt. Die daraus entstehende Uebermacht des Kapitals schafft allerdings Güter in Menge; allein sie hat auch, menschlich betrachtet, unselige Folgen. Der Mensch wird nur als Maschine betrachtet, nicht aber als ein Wesen mit Gefühl, mit geistigen und sittlichen Bedürfnissen, mit Genußfähigkeit. Geringe Kraft oder geistige Anlage ist ein Verbrechen, oder hat wenigstens die Folgen eines solchen; und das ganze Glück eines Volkes wird lediglich gemessen nach der Summe der von ihm erzeugten Güter. Völlig verkehrt ist daher der Gedanke, den Uebeln des bestehenden Systemes entgegenzutreten durch eine noch freiere Entwickelung desselben. -- Eine andere Auf- fassung von den Uebeln und von den Hülfsmitteln haben die sogenannten Humanitarier. Diese erkennen die schlimmen Folgen des Concurrenzsystemes wohl an und beklagen die aus demselben entstehenden Leiden; allein sie erachten die Lehren der Volkswirthschaft als unangreifbar im Gebiete der Güterwelt,
Uebel. Hieran iſt nun allerdings richtig, daß die folgewidrige Verbindung der neuen Freiheitsforderungen mit den Ueberreſten früherer Bevorrechtungen ein Gewirre von ſich ſelbſt wider- ſprechenden Uebeln erzeugt; allein die Freunde der freien Geſtaltung der Dinge fehlen in dreifacher Beziehung. Einmal, daß ſie die urſprünglichen Vortheile einer unbedingten Ver- äußerlichkeit und Theilbarkeit des Grundeigenthums für nach- haltig erachten, während dieſe nun während einiger Generationen ungetrübt erſcheinen, dann aber in eine ſchädliche Zerſplitterung des Bodens übergehen können. Zweitens iſt das leichte Weg- gehen über die durch Mitwirkung Erdrückten eine harte Gedan- kenloſigkeit und der den Verunglückten zugeworfene Tadel wegen angeblich ſtarrſinnigen Feſthaltens an Ueberlebtem häufig ſehr ungerecht. Endlich iſt es eine kurzſichtige oder abſichtliche Selbſt- verblendung, wenn die in dem Syſteme der freien Mitwerbung ſich vielfach geltend machende Herzloſigkeit und Unſittlichkeit unbeachtet bleibt. Die daraus entſtehende Uebermacht des Kapitals ſchafft allerdings Güter in Menge; allein ſie hat auch, menſchlich betrachtet, unſelige Folgen. Der Menſch wird nur als Maſchine betrachtet, nicht aber als ein Weſen mit Gefühl, mit geiſtigen und ſittlichen Bedürfniſſen, mit Genußfähigkeit. Geringe Kraft oder geiſtige Anlage iſt ein Verbrechen, oder hat wenigſtens die Folgen eines ſolchen; und das ganze Glück eines Volkes wird lediglich gemeſſen nach der Summe der von ihm erzeugten Güter. Völlig verkehrt iſt daher der Gedanke, den Uebeln des beſtehenden Syſtemes entgegenzutreten durch eine noch freiere Entwickelung deſſelben. — Eine andere Auf- faſſung von den Uebeln und von den Hülfsmitteln haben die ſogenannten Humanitarier. Dieſe erkennen die ſchlimmen Folgen des Concurrenzſyſtemes wohl an und beklagen die aus demſelben entſtehenden Leiden; allein ſie erachten die Lehren der Volkswirthſchaft als unangreifbar im Gebiete der Güterwelt,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0603"n="589"/>
Uebel. Hieran iſt nun allerdings richtig, daß die folgewidrige<lb/>
Verbindung der neuen Freiheitsforderungen mit den Ueberreſten<lb/>
früherer Bevorrechtungen ein Gewirre von ſich ſelbſt wider-<lb/>ſprechenden Uebeln erzeugt; allein die Freunde der freien<lb/>
Geſtaltung der Dinge fehlen in dreifacher Beziehung. Einmal,<lb/>
daß ſie die urſprünglichen Vortheile einer unbedingten Ver-<lb/>
äußerlichkeit und Theilbarkeit des Grundeigenthums für nach-<lb/>
haltig erachten, während dieſe nun während einiger Generationen<lb/>
ungetrübt erſcheinen, dann aber in eine ſchädliche Zerſplitterung<lb/>
des Bodens übergehen können. Zweitens iſt das leichte Weg-<lb/>
gehen über die durch Mitwirkung Erdrückten eine harte Gedan-<lb/>
kenloſigkeit und der den Verunglückten zugeworfene Tadel wegen<lb/>
angeblich ſtarrſinnigen Feſthaltens an Ueberlebtem häufig ſehr<lb/>
ungerecht. Endlich iſt es eine kurzſichtige oder abſichtliche Selbſt-<lb/>
verblendung, wenn die in dem Syſteme der freien Mitwerbung<lb/>ſich vielfach geltend machende Herzloſigkeit und Unſittlichkeit<lb/>
unbeachtet bleibt. Die daraus entſtehende Uebermacht des<lb/>
Kapitals ſchafft allerdings Güter in Menge; allein ſie hat auch,<lb/>
menſchlich betrachtet, unſelige Folgen. Der Menſch wird nur<lb/>
als Maſchine betrachtet, nicht aber als ein Weſen mit Gefühl,<lb/>
mit geiſtigen und ſittlichen Bedürfniſſen, mit Genußfähigkeit.<lb/>
Geringe Kraft oder geiſtige Anlage iſt ein Verbrechen, oder<lb/>
hat wenigſtens die Folgen eines ſolchen; und das ganze Glück<lb/>
eines Volkes wird lediglich gemeſſen nach der Summe der von<lb/>
ihm erzeugten Güter. Völlig verkehrt iſt daher der Gedanke,<lb/>
den Uebeln des beſtehenden Syſtemes entgegenzutreten durch<lb/>
eine noch freiere Entwickelung deſſelben. — Eine andere Auf-<lb/>
faſſung von den Uebeln und von den Hülfsmitteln haben die<lb/>ſogenannten <hirendition="#g">Humanitarier</hi>. Dieſe erkennen die ſchlimmen<lb/>
Folgen des Concurrenzſyſtemes wohl an und beklagen die aus<lb/>
demſelben entſtehenden Leiden; allein ſie erachten die Lehren der<lb/>
Volkswirthſchaft als unangreifbar im Gebiete der Güterwelt,<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[589/0603]
Uebel. Hieran iſt nun allerdings richtig, daß die folgewidrige
Verbindung der neuen Freiheitsforderungen mit den Ueberreſten
früherer Bevorrechtungen ein Gewirre von ſich ſelbſt wider-
ſprechenden Uebeln erzeugt; allein die Freunde der freien
Geſtaltung der Dinge fehlen in dreifacher Beziehung. Einmal,
daß ſie die urſprünglichen Vortheile einer unbedingten Ver-
äußerlichkeit und Theilbarkeit des Grundeigenthums für nach-
haltig erachten, während dieſe nun während einiger Generationen
ungetrübt erſcheinen, dann aber in eine ſchädliche Zerſplitterung
des Bodens übergehen können. Zweitens iſt das leichte Weg-
gehen über die durch Mitwirkung Erdrückten eine harte Gedan-
kenloſigkeit und der den Verunglückten zugeworfene Tadel wegen
angeblich ſtarrſinnigen Feſthaltens an Ueberlebtem häufig ſehr
ungerecht. Endlich iſt es eine kurzſichtige oder abſichtliche Selbſt-
verblendung, wenn die in dem Syſteme der freien Mitwerbung
ſich vielfach geltend machende Herzloſigkeit und Unſittlichkeit
unbeachtet bleibt. Die daraus entſtehende Uebermacht des
Kapitals ſchafft allerdings Güter in Menge; allein ſie hat auch,
menſchlich betrachtet, unſelige Folgen. Der Menſch wird nur
als Maſchine betrachtet, nicht aber als ein Weſen mit Gefühl,
mit geiſtigen und ſittlichen Bedürfniſſen, mit Genußfähigkeit.
Geringe Kraft oder geiſtige Anlage iſt ein Verbrechen, oder
hat wenigſtens die Folgen eines ſolchen; und das ganze Glück
eines Volkes wird lediglich gemeſſen nach der Summe der von
ihm erzeugten Güter. Völlig verkehrt iſt daher der Gedanke,
den Uebeln des beſtehenden Syſtemes entgegenzutreten durch
eine noch freiere Entwickelung deſſelben. — Eine andere Auf-
faſſung von den Uebeln und von den Hülfsmitteln haben die
ſogenannten Humanitarier. Dieſe erkennen die ſchlimmen
Folgen des Concurrenzſyſtemes wohl an und beklagen die aus
demſelben entſtehenden Leiden; allein ſie erachten die Lehren der
Volkswirthſchaft als unangreifbar im Gebiete der Güterwelt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/603>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.