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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Mittel erst einzeln geprüft und unter den verschiedenen Voraus-
setzungen, welche die Gattung und Art des concreten Staates,
der größere oder kleinere Reichthum, die Zahl und die Eigen-
thümlichkeit des Volkes, oder welche der allgemeine Zustand
von Krieg und Frieden mit sich bringt, erörtert sind. Mit
Einem Worte, eine allgemeine Zweckmäßigkeit und Klugheits-
lehre reicht nicht aus; es bedarf noch einer besondern staat-
lichen 1). -- Die Bearbeitung einer solchen ist aber auch nicht
leicht, theils wegen der großen Menge von Aufgaben, welche
ein Staat (namentlich ein Rechtsstaat) zu erreichen hat, wegen
der mannchfachen Hindernisse, die sich theils durch Fehler der
menschlichen Natur, theils durch die große Kostspieligkeit oder
den sonstigen Kraftaufwand mancher Staatsanstalten aufthürmen;
theils wegen der Nothwendigkeit, die neben einander bestehenden
Anstalten vor gegenseitiger Beeinträchtigung und Durchkreuzung
zu bewahren. Die Schwierigkeit steigt sogar mit der Gesittigung
eines Volkes, insoferne ein solches um so größere und um so
vielseitigere Forderungen an den Staat stellt, als seine eigene
geistige Natur sich freier entfaltet und seine Verhältnisse zu der
Außenwelt vielseitiger und beherrschender werden.

Wird nun diese Lehre von den Staatsmitteln wissenschaftlich
bearbeitet, d. h. in ihren obersten Grundsätzen erkannt und in
ihren Folgerungen systematisch entwickelt, so tritt sie als Staats-
kunst
oder Politik in die Reihe der dogmatischen Disciplinen
ein, und mag dann als die Wissenschaft von den
Mitteln, durch welche die Zwecke der Staaten so
vollständig als möglich in der Wirklichkeit erreicht
werden
, bezeichnet sein 2).

Da der Staat in keiner seiner Beziehungen ohne Mittel
bestehen und wirken kann, so erstreckt sich auch die Wissenschaft
von diesen Mitteln über das ganze Gebiet des einheitlichen Zu-
sammenlebens. Es gibt somit eine Verfassungs- und eine Ver-

Mittel erſt einzeln geprüft und unter den verſchiedenen Voraus-
ſetzungen, welche die Gattung und Art des concreten Staates,
der größere oder kleinere Reichthum, die Zahl und die Eigen-
thümlichkeit des Volkes, oder welche der allgemeine Zuſtand
von Krieg und Frieden mit ſich bringt, erörtert ſind. Mit
Einem Worte, eine allgemeine Zweckmäßigkeit und Klugheits-
lehre reicht nicht aus; es bedarf noch einer beſondern ſtaat-
lichen 1). — Die Bearbeitung einer ſolchen iſt aber auch nicht
leicht, theils wegen der großen Menge von Aufgaben, welche
ein Staat (namentlich ein Rechtsſtaat) zu erreichen hat, wegen
der mannchfachen Hinderniſſe, die ſich theils durch Fehler der
menſchlichen Natur, theils durch die große Koſtſpieligkeit oder
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theils wegen der Nothwendigkeit, die neben einander beſtehenden
Anſtalten vor gegenſeitiger Beeinträchtigung und Durchkreuzung
zu bewahren. Die Schwierigkeit ſteigt ſogar mit der Geſittigung
eines Volkes, inſoferne ein ſolches um ſo größere und um ſo
vielſeitigere Forderungen an den Staat ſtellt, als ſeine eigene
geiſtige Natur ſich freier entfaltet und ſeine Verhältniſſe zu der
Außenwelt vielſeitiger und beherrſchender werden.

Wird nun dieſe Lehre von den Staatsmitteln wiſſenſchaftlich
bearbeitet, d. h. in ihren oberſten Grundſätzen erkannt und in
ihren Folgerungen ſyſtematiſch entwickelt, ſo tritt ſie als Staats-
kunſt
oder Politik in die Reihe der dogmatiſchen Disciplinen
ein, und mag dann als die Wiſſenſchaft von den
Mitteln, durch welche die Zwecke der Staaten ſo
vollſtändig als möglich in der Wirklichkeit erreicht
werden
, bezeichnet ſein 2).

Da der Staat in keiner ſeiner Beziehungen ohne Mittel
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von dieſen Mitteln über das ganze Gebiet des einheitlichen Zu-
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[541/0555] Mittel erſt einzeln geprüft und unter den verſchiedenen Voraus- ſetzungen, welche die Gattung und Art des concreten Staates, der größere oder kleinere Reichthum, die Zahl und die Eigen- thümlichkeit des Volkes, oder welche der allgemeine Zuſtand von Krieg und Frieden mit ſich bringt, erörtert ſind. Mit Einem Worte, eine allgemeine Zweckmäßigkeit und Klugheits- lehre reicht nicht aus; es bedarf noch einer beſondern ſtaat- lichen 1). — Die Bearbeitung einer ſolchen iſt aber auch nicht leicht, theils wegen der großen Menge von Aufgaben, welche ein Staat (namentlich ein Rechtsſtaat) zu erreichen hat, wegen der mannchfachen Hinderniſſe, die ſich theils durch Fehler der menſchlichen Natur, theils durch die große Koſtſpieligkeit oder den ſonſtigen Kraftaufwand mancher Staatsanſtalten aufthürmen; theils wegen der Nothwendigkeit, die neben einander beſtehenden Anſtalten vor gegenſeitiger Beeinträchtigung und Durchkreuzung zu bewahren. Die Schwierigkeit ſteigt ſogar mit der Geſittigung eines Volkes, inſoferne ein ſolches um ſo größere und um ſo vielſeitigere Forderungen an den Staat ſtellt, als ſeine eigene geiſtige Natur ſich freier entfaltet und ſeine Verhältniſſe zu der Außenwelt vielſeitiger und beherrſchender werden. Wird nun dieſe Lehre von den Staatsmitteln wiſſenſchaftlich bearbeitet, d. h. in ihren oberſten Grundſätzen erkannt und in ihren Folgerungen ſyſtematiſch entwickelt, ſo tritt ſie als Staats- kunſt oder Politik in die Reihe der dogmatiſchen Disciplinen ein, und mag dann als die Wiſſenſchaft von den Mitteln, durch welche die Zwecke der Staaten ſo vollſtändig als möglich in der Wirklichkeit erreicht werden, bezeichnet ſein 2). Da der Staat in keiner ſeiner Beziehungen ohne Mittel beſtehen und wirken kann, ſo erſtreckt ſich auch die Wiſſenſchaft von dieſen Mitteln über das ganze Gebiet des einheitlichen Zu- ſammenlebens. Es gibt ſomit eine Verfaſſungs- und eine Ver-

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/555>, abgerufen am 24.11.2024.