Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
2) Der Keim eines amerikanischen Gleichgewichts- und Ausschließungs-
systemes ist die sogenannte Monroe doctrine. Es unterliegt wohl keinem
Zweifel, daß bei steigender Macht des Staatenbundes der Anspruch auf
Beschränkung der europäischen Mächte sich nicht begnügen wird mit
Verhinderung neuer Erwerbungen, sondern daß auch das Aufhören des
Besitzes von Kolonieen in Amerika und in dessen nächsten Umgebungen als
ein mit Gewalt aufrecht zu erhaltender Grundsatz wird ausgesprochen werden.
America for the Americans.
3) Die große Wichtigkeit, welche in früherer Zeit den Rangverhältnissen
unter den europäischen Staaten und dem ganzen damit zusammenhängenden
Cäremonialwesen beigelegt wurde, ist psychologisch sehr merkwürdig. Eine
höchst zahlreiche und in die größten Einzelnheiten und Feinheiten eingehende
Literatur beweist die Ausdehnung der Beschäftigung mit dem Gegenstande
und die Bedeutung, welche man demselben im Leben zuschrieb. S. dieselbe
bei Ompteda und Kamptz. Eine Uebersicht über die wesentlichen Fragen
gibt Günther, Völkerrecht in Friedenszeiten. Altenb., 1787, Bd. I,
S. 199 u. fg. Den neuesten Zustand enthält Mosheim, F. A., Ueber
den Rang der europäischen Mächte. Sulzbach, 1819.
4) So gebraucht z. B. England vielfach in seinem inneren amtlichen
Sprachgebrauche die Bezeichnung "imperial", ohne daß es die Kaiserwürde
gegenüber von dem Auslande in Anspruch nähme oder von diesem frei-
willig erhielte.
§ 72.
c. Das Gesandtschaftsrecht.

Das positive Völkerrecht hat die Verhältnisse und Ansprüche
der Gesandten in großer Ausführlichkeit ausgearbeitet und
Mancherlei bestimmt, was aus allgemeinen Vernunftgrund-
sätzen nicht abzuleiten ist 1).

Vor Allem sind drei wesentlich verschiedene Gattungen
diplomatischer Agenten zu unterscheiden.

1. Gesandte, d. h. Beamte, welche zur Besorgung
der politischen und der rechtlichen Angelegenheiten zwischen
Staat und Staat an eine auswärtige Regierung gesendet wer-
den, sei es zur Erledigung einer bestimmten einzelnen Ange-
legenheit sei es für sämmtliche zwischen beiden Regierungen
zu verhandelnden Geschäfte. Dieselben zerfallen wieder in

2) Der Keim eines amerikaniſchen Gleichgewichts- und Ausſchließungs-
ſyſtemes iſt die ſogenannte Monroe doctrine. Es unterliegt wohl keinem
Zweifel, daß bei ſteigender Macht des Staatenbundes der Anſpruch auf
Beſchränkung der europäiſchen Mächte ſich nicht begnügen wird mit
Verhinderung neuer Erwerbungen, ſondern daß auch das Aufhören des
Beſitzes von Kolonieen in Amerika und in deſſen nächſten Umgebungen als
ein mit Gewalt aufrecht zu erhaltender Grundſatz wird ausgeſprochen werden.
America for the Americans.
3) Die große Wichtigkeit, welche in früherer Zeit den Rangverhältniſſen
unter den europäiſchen Staaten und dem ganzen damit zuſammenhängenden
Cäremonialweſen beigelegt wurde, iſt pſychologiſch ſehr merkwürdig. Eine
höchſt zahlreiche und in die größten Einzelnheiten und Feinheiten eingehende
Literatur beweiſt die Ausdehnung der Beſchäftigung mit dem Gegenſtande
und die Bedeutung, welche man demſelben im Leben zuſchrieb. S. dieſelbe
bei Ompteda und Kamptz. Eine Ueberſicht über die weſentlichen Fragen
gibt Günther, Völkerrecht in Friedenszeiten. Altenb., 1787, Bd. I,
S. 199 u. fg. Den neueſten Zuſtand enthält Mosheim, F. A., Ueber
den Rang der europäiſchen Mächte. Sulzbach, 1819.
4) So gebraucht z. B. England vielfach in ſeinem inneren amtlichen
Sprachgebrauche die Bezeichnung »imperial«, ohne daß es die Kaiſerwürde
gegenüber von dem Auslande in Anſpruch nähme oder von dieſem frei-
willig erhielte.
§ 72.
c. Das Geſandtſchaftsrecht.

Das poſitive Völkerrecht hat die Verhältniſſe und Anſprüche
der Geſandten in großer Ausführlichkeit ausgearbeitet und
Mancherlei beſtimmt, was aus allgemeinen Vernunftgrund-
ſätzen nicht abzuleiten iſt 1).

Vor Allem ſind drei weſentlich verſchiedene Gattungen
diplomatiſcher Agenten zu unterſcheiden.

1. Geſandte, d. h. Beamte, welche zur Beſorgung
der politiſchen und der rechtlichen Angelegenheiten zwiſchen
Staat und Staat an eine auswärtige Regierung geſendet wer-
den, ſei es zur Erledigung einer beſtimmten einzelnen Ange-
legenheit ſei es für ſämmtliche zwiſchen beiden Regierungen
zu verhandelnden Geſchäfte. Dieſelben zerfallen wieder in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <pb facs="#f0491" n="477"/>
                  <note place="end" n="2)">Der Keim eines amerikani&#x017F;chen Gleichgewichts- und Aus&#x017F;chließungs-<lb/>
&#x017F;y&#x017F;temes i&#x017F;t die &#x017F;ogenannte <hi rendition="#aq">Monroe doctrine.</hi> Es unterliegt wohl keinem<lb/>
Zweifel, daß bei &#x017F;teigender Macht des Staatenbundes der An&#x017F;pruch auf<lb/>
Be&#x017F;chränkung der europäi&#x017F;chen Mächte &#x017F;ich nicht begnügen wird mit<lb/>
Verhinderung neuer Erwerbungen, &#x017F;ondern daß auch das Aufhören des<lb/>
Be&#x017F;itzes von Kolonieen in Amerika und in de&#x017F;&#x017F;en näch&#x017F;ten Umgebungen als<lb/>
ein mit Gewalt aufrecht zu erhaltender Grund&#x017F;atz wird ausge&#x017F;prochen werden.<lb/><hi rendition="#aq">America for the Americans.</hi></note><lb/>
                  <note place="end" n="3)">Die große Wichtigkeit, welche in früherer Zeit den Rangverhältni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
unter den europäi&#x017F;chen Staaten und dem ganzen damit zu&#x017F;ammenhängenden<lb/>
Cäremonialwe&#x017F;en beigelegt wurde, i&#x017F;t p&#x017F;ychologi&#x017F;ch &#x017F;ehr merkwürdig. Eine<lb/>
höch&#x017F;t zahlreiche und in die größten Einzelnheiten und Feinheiten eingehende<lb/>
Literatur bewei&#x017F;t die Ausdehnung der Be&#x017F;chäftigung mit dem Gegen&#x017F;tande<lb/>
und die Bedeutung, welche man dem&#x017F;elben im Leben zu&#x017F;chrieb. S. die&#x017F;elbe<lb/>
bei <hi rendition="#g">Ompteda</hi> und <hi rendition="#g">Kamptz</hi>. Eine Ueber&#x017F;icht über die we&#x017F;entlichen Fragen<lb/>
gibt <hi rendition="#g">Günther</hi>, Völkerrecht in Friedenszeiten. Altenb., 1787, Bd. <hi rendition="#aq">I,</hi><lb/>
S. 199 u. fg. Den neue&#x017F;ten Zu&#x017F;tand enthält <hi rendition="#g">Mosheim</hi>, F. A., Ueber<lb/>
den Rang der europäi&#x017F;chen Mächte. Sulzbach, 1819.</note><lb/>
                  <note place="end" n="4)">So gebraucht z. B. England vielfach in &#x017F;einem inneren amtlichen<lb/>
Sprachgebrauche die Bezeichnung »<hi rendition="#aq">imperial</hi>«, ohne daß es die Kai&#x017F;erwürde<lb/>
gegenüber von dem Auslande in An&#x017F;pruch nähme oder von die&#x017F;em frei-<lb/>
willig erhielte.</note>
                </div><lb/>
                <div n="6">
                  <head>§ 72.<lb/><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">c.</hi> Das Ge&#x017F;andt&#x017F;chaftsrecht.</hi></head><lb/>
                  <p>Das po&#x017F;itive Völkerrecht hat die Verhältni&#x017F;&#x017F;e und An&#x017F;prüche<lb/>
der <hi rendition="#g">Ge&#x017F;andten</hi> in großer Ausführlichkeit ausgearbeitet und<lb/>
Mancherlei be&#x017F;timmt, was aus allgemeinen Vernunftgrund-<lb/>
&#x017F;ätzen nicht abzuleiten i&#x017F;t <hi rendition="#sup">1</hi>).</p><lb/>
                  <p>Vor Allem &#x017F;ind <hi rendition="#g">drei</hi> we&#x017F;entlich ver&#x017F;chiedene <hi rendition="#g">Gattungen</hi><lb/>
diplomati&#x017F;cher Agenten zu unter&#x017F;cheiden.</p><lb/>
                  <p>1. <hi rendition="#g">Ge&#x017F;andte</hi>, d. h. Beamte, welche zur Be&#x017F;orgung<lb/>
der politi&#x017F;chen und der rechtlichen Angelegenheiten zwi&#x017F;chen<lb/>
Staat und Staat an eine auswärtige Regierung ge&#x017F;endet wer-<lb/>
den, &#x017F;ei es zur Erledigung einer be&#x017F;timmten einzelnen Ange-<lb/>
legenheit &#x017F;ei es für &#x017F;ämmtliche zwi&#x017F;chen beiden Regierungen<lb/>
zu verhandelnden Ge&#x017F;chäfte. Die&#x017F;elben zerfallen wieder in<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[477/0491] ²⁾ Der Keim eines amerikaniſchen Gleichgewichts- und Ausſchließungs- ſyſtemes iſt die ſogenannte Monroe doctrine. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß bei ſteigender Macht des Staatenbundes der Anſpruch auf Beſchränkung der europäiſchen Mächte ſich nicht begnügen wird mit Verhinderung neuer Erwerbungen, ſondern daß auch das Aufhören des Beſitzes von Kolonieen in Amerika und in deſſen nächſten Umgebungen als ein mit Gewalt aufrecht zu erhaltender Grundſatz wird ausgeſprochen werden. America for the Americans. ³⁾ Die große Wichtigkeit, welche in früherer Zeit den Rangverhältniſſen unter den europäiſchen Staaten und dem ganzen damit zuſammenhängenden Cäremonialweſen beigelegt wurde, iſt pſychologiſch ſehr merkwürdig. Eine höchſt zahlreiche und in die größten Einzelnheiten und Feinheiten eingehende Literatur beweiſt die Ausdehnung der Beſchäftigung mit dem Gegenſtande und die Bedeutung, welche man demſelben im Leben zuſchrieb. S. dieſelbe bei Ompteda und Kamptz. Eine Ueberſicht über die weſentlichen Fragen gibt Günther, Völkerrecht in Friedenszeiten. Altenb., 1787, Bd. I, S. 199 u. fg. Den neueſten Zuſtand enthält Mosheim, F. A., Ueber den Rang der europäiſchen Mächte. Sulzbach, 1819. ⁴⁾ So gebraucht z. B. England vielfach in ſeinem inneren amtlichen Sprachgebrauche die Bezeichnung »imperial«, ohne daß es die Kaiſerwürde gegenüber von dem Auslande in Anſpruch nähme oder von dieſem frei- willig erhielte. § 72. c. Das Geſandtſchaftsrecht. Das poſitive Völkerrecht hat die Verhältniſſe und Anſprüche der Geſandten in großer Ausführlichkeit ausgearbeitet und Mancherlei beſtimmt, was aus allgemeinen Vernunftgrund- ſätzen nicht abzuleiten iſt 1). Vor Allem ſind drei weſentlich verſchiedene Gattungen diplomatiſcher Agenten zu unterſcheiden. 1. Geſandte, d. h. Beamte, welche zur Beſorgung der politiſchen und der rechtlichen Angelegenheiten zwiſchen Staat und Staat an eine auswärtige Regierung geſendet wer- den, ſei es zur Erledigung einer beſtimmten einzelnen Ange- legenheit ſei es für ſämmtliche zwiſchen beiden Regierungen zu verhandelnden Geſchäfte. Dieſelben zerfallen wieder in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/491
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/491>, abgerufen am 18.12.2024.