malen Rechten bezeichnet. -- Streitigkeiten über die Präcedenz haben den Frieden von Europa schon sehr ernstlich bedroht, und wenn auch in neuerer Zeit dieselben möglichst umgangen wer- den, so sind doch die Ansprüche keineswegs rechtlich aufgegeben, sondern es wird nur von ihnen durch gemeinsame Uebereinkunft und ohne rechtliche Folgerung Umgang genommen 3). -- Eine Folge dieser Rangverhältnisse ist denn auch, daß es einem Staate zwar wohl freisteht, in seinen innern Beziehungen und amtlichen Formen sich nach Belieben Titel und Cäremoniell- ansprüche beizulegen, eine Aenderung des Herkömmlichen aber im Verkehre mit dem Auslande nur mit dessen Zustimmung stattfindet 4).
Die Grundsätze über das Einmischungsrecht eines Staates in die inneren Angelegenheiten eines anderen, nament- lich in seine Verfassung, haben im europäischen Staatenleben die größten Schwankungen erlitten, und sind keineswegs als schließlich festgestellt zu betrachten. Am weitesten in den Ein- mischungsansprüchen ging die heilige Allianz. Daß aber auch auf anderer Grundlage und in anderer Richtung sehr weitgehende Ansprüche an eine bestimmte Gestaltung eines Staates erhoben werden können, beweisen die gemeinschaftlichen Forderungen der großen christlichen Mächte auf eine völlige Umgestaltung der Verfassung des türkischen Reiches (im Jahr 1856). -- Eingriffe in die bloße Verwaltung eines fremden Staates wer- den unbedingt als rechtswidrig betrachtet; und es mag nur im einzelnen Falle wegen einer vermeintlichen Rechtsverletzung durch die Behörden eines andern Staates Abhülfe und vielleicht Ent- schädigung verlangt werden.
1) Nur die Vereinigten Staaten von Nordamerika halten sich hinsichtlich der Anerkennung neuer Staaten unbedingt an die Thatsache des selbststän- digen Bestehens und verzichten ausdrücklich auf jede Untersuchung des Rechtsgrundes.
malen Rechten bezeichnet. — Streitigkeiten über die Präcedenz haben den Frieden von Europa ſchon ſehr ernſtlich bedroht, und wenn auch in neuerer Zeit dieſelben möglichſt umgangen wer- den, ſo ſind doch die Anſprüche keineswegs rechtlich aufgegeben, ſondern es wird nur von ihnen durch gemeinſame Uebereinkunft und ohne rechtliche Folgerung Umgang genommen 3). — Eine Folge dieſer Rangverhältniſſe iſt denn auch, daß es einem Staate zwar wohl freiſteht, in ſeinen innern Beziehungen und amtlichen Formen ſich nach Belieben Titel und Cäremoniell- anſprüche beizulegen, eine Aenderung des Herkömmlichen aber im Verkehre mit dem Auslande nur mit deſſen Zuſtimmung ſtattfindet 4).
Die Grundſätze über das Einmiſchungsrecht eines Staates in die inneren Angelegenheiten eines anderen, nament- lich in ſeine Verfaſſung, haben im europäiſchen Staatenleben die größten Schwankungen erlitten, und ſind keineswegs als ſchließlich feſtgeſtellt zu betrachten. Am weiteſten in den Ein- miſchungsanſprüchen ging die heilige Allianz. Daß aber auch auf anderer Grundlage und in anderer Richtung ſehr weitgehende Anſprüche an eine beſtimmte Geſtaltung eines Staates erhoben werden können, beweiſen die gemeinſchaftlichen Forderungen der großen chriſtlichen Mächte auf eine völlige Umgeſtaltung der Verfaſſung des türkiſchen Reiches (im Jahr 1856). — Eingriffe in die bloße Verwaltung eines fremden Staates wer- den unbedingt als rechtswidrig betrachtet; und es mag nur im einzelnen Falle wegen einer vermeintlichen Rechtsverletzung durch die Behörden eines andern Staates Abhülfe und vielleicht Ent- ſchädigung verlangt werden.
1) Nur die Vereinigten Staaten von Nordamerika halten ſich hinſichtlich der Anerkennung neuer Staaten unbedingt an die Thatſache des ſelbſtſtän- digen Beſtehens und verzichten ausdrücklich auf jede Unterſuchung des Rechtsgrundes.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0490"n="476"/>
malen Rechten bezeichnet. — Streitigkeiten über die Präcedenz<lb/>
haben den Frieden von Europa ſchon ſehr ernſtlich bedroht, und<lb/>
wenn auch in neuerer Zeit dieſelben möglichſt umgangen wer-<lb/>
den, ſo ſind doch die Anſprüche keineswegs rechtlich aufgegeben,<lb/>ſondern es wird nur von ihnen durch gemeinſame Uebereinkunft<lb/>
und ohne rechtliche Folgerung Umgang genommen <hirendition="#sup">3</hi>). — Eine<lb/>
Folge dieſer Rangverhältniſſe iſt denn auch, daß es einem<lb/>
Staate zwar wohl freiſteht, in ſeinen innern Beziehungen und<lb/>
amtlichen Formen ſich nach Belieben Titel und Cäremoniell-<lb/>
anſprüche beizulegen, eine Aenderung des Herkömmlichen aber<lb/>
im Verkehre mit dem Auslande nur mit deſſen Zuſtimmung<lb/>ſtattfindet <hirendition="#sup">4</hi>).</p><lb/><p>Die Grundſätze über das <hirendition="#g">Einmiſchungsrecht</hi> eines<lb/>
Staates in die inneren Angelegenheiten eines anderen, nament-<lb/>
lich in ſeine Verfaſſung, haben im europäiſchen Staatenleben<lb/>
die größten Schwankungen erlitten, und ſind keineswegs als<lb/>ſchließlich feſtgeſtellt zu betrachten. Am weiteſten in den Ein-<lb/>
miſchungsanſprüchen ging die heilige Allianz. Daß aber auch<lb/>
auf anderer Grundlage und in anderer Richtung ſehr weitgehende<lb/>
Anſprüche an eine beſtimmte Geſtaltung eines Staates erhoben<lb/>
werden können, beweiſen die gemeinſchaftlichen Forderungen<lb/>
der großen chriſtlichen Mächte auf eine völlige Umgeſtaltung<lb/>
der Verfaſſung des türkiſchen Reiches (im Jahr 1856). —<lb/>
Eingriffe in die bloße Verwaltung eines fremden Staates wer-<lb/>
den unbedingt als rechtswidrig betrachtet; und es mag nur im<lb/>
einzelnen Falle wegen einer vermeintlichen Rechtsverletzung durch<lb/>
die Behörden eines andern Staates Abhülfe und vielleicht Ent-<lb/>ſchädigung verlangt werden.</p><lb/><noteplace="end"n="1)">Nur die Vereinigten Staaten von Nordamerika halten ſich hinſichtlich<lb/>
der Anerkennung neuer Staaten unbedingt an die Thatſache des ſelbſtſtän-<lb/>
digen Beſtehens und verzichten ausdrücklich auf jede Unterſuchung des<lb/>
Rechtsgrundes.</note><lb/></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[476/0490]
malen Rechten bezeichnet. — Streitigkeiten über die Präcedenz
haben den Frieden von Europa ſchon ſehr ernſtlich bedroht, und
wenn auch in neuerer Zeit dieſelben möglichſt umgangen wer-
den, ſo ſind doch die Anſprüche keineswegs rechtlich aufgegeben,
ſondern es wird nur von ihnen durch gemeinſame Uebereinkunft
und ohne rechtliche Folgerung Umgang genommen 3). — Eine
Folge dieſer Rangverhältniſſe iſt denn auch, daß es einem
Staate zwar wohl freiſteht, in ſeinen innern Beziehungen und
amtlichen Formen ſich nach Belieben Titel und Cäremoniell-
anſprüche beizulegen, eine Aenderung des Herkömmlichen aber
im Verkehre mit dem Auslande nur mit deſſen Zuſtimmung
ſtattfindet 4).
Die Grundſätze über das Einmiſchungsrecht eines
Staates in die inneren Angelegenheiten eines anderen, nament-
lich in ſeine Verfaſſung, haben im europäiſchen Staatenleben
die größten Schwankungen erlitten, und ſind keineswegs als
ſchließlich feſtgeſtellt zu betrachten. Am weiteſten in den Ein-
miſchungsanſprüchen ging die heilige Allianz. Daß aber auch
auf anderer Grundlage und in anderer Richtung ſehr weitgehende
Anſprüche an eine beſtimmte Geſtaltung eines Staates erhoben
werden können, beweiſen die gemeinſchaftlichen Forderungen
der großen chriſtlichen Mächte auf eine völlige Umgeſtaltung
der Verfaſſung des türkiſchen Reiches (im Jahr 1856). —
Eingriffe in die bloße Verwaltung eines fremden Staates wer-
den unbedingt als rechtswidrig betrachtet; und es mag nur im
einzelnen Falle wegen einer vermeintlichen Rechtsverletzung durch
die Behörden eines andern Staates Abhülfe und vielleicht Ent-
ſchädigung verlangt werden.
¹⁾ Nur die Vereinigten Staaten von Nordamerika halten ſich hinſichtlich
der Anerkennung neuer Staaten unbedingt an die Thatſache des ſelbſtſtän-
digen Beſtehens und verzichten ausdrücklich auf jede Unterſuchung des
Rechtsgrundes.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/490>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.