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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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besondere, welche nur zwischen einer größern oder geringern
Anzahl von kleinern Staaten zu Stande gekommen sind. Die
Zahl der ersteren ist nicht so bedeutend 3); desto größer, ja
völlig unzählbar, ist dagegen die Menge der besonderen Ver-
träge. Ihre Bedeutung für ein allgemeines europäisches
Völkerrecht beruht hauptsächlich auf dem Umstande, daß sie,
obgleich völlig unabhängig von einander zu Stande gekommen,
doch über viele Punkte wesentlich Gleichartiges festzustellen,
welche Uebereinstimmung denn auf eine gemeinschaftliche, durch
die Thatsache nachweisbare Grundansicht vom Völkerrechte
hinweist.

2. Gewohnheitsrecht. Auch abgesehen von den in
ausdrücklichen Verträgen schriftlich festgestellten Sätzen ist eine
ganz bedeutende Anzahl von Rechtssätzen unter den europäischen
Staaten in Uebung, und zwar nicht blos als freiwillige gegen-
seitige Einräumungen und internationale Höflichkeit, sondern
anerkannt als förmliche Rechtspflicht eines jeden gesitt gten
Staats. Das Dasein eines Gewohnheitsrechtes ist natürlich in
jedem einzelnen Falle zu erweisen, was denn geschehen mag
theils durch Aufzeigung einer thatsächlich beständigen Befolgung,
theils aber auch durch den Nachweis ausdrücklicher Behauptung
ihrer Gültigkeit von Seiten maßgebender Staaten. Ihre Ver-
bindung unter einander und mit den vertragsmäßig festgestell-
ten Sätzen zu einem Ganzen ist eine schwierige, aber keine
unmögliche Aufgabe.

1) Das Bestehen eines positiven europäischen Völkerrechtes ist allerdings
schon häufig in Zweifel gezogen worden; allein die Gründe sind in der That
sehr schwach. Wenn nämlich der Mangel an ausreichenden schriftlichen Be-
stimmungen als Grund der Abläugnung dienen soll, so beruht dieses auf
einem handgreiflichen Verkennen der Natur des Rechtes überhaupt. Daß
nicht blos geschriebenes Gesetz Rechtsquelle ist, braucht doch nicht erst er-
wiesen zu werden. Nicht schlagender ist die Einwendung, daß die vorhan-
denen Quellen zur Bildung eines vollständigen Systemes nicht ausreichen.

beſondere, welche nur zwiſchen einer größern oder geringern
Anzahl von kleinern Staaten zu Stande gekommen ſind. Die
Zahl der erſteren iſt nicht ſo bedeutend 3); deſto größer, ja
völlig unzählbar, iſt dagegen die Menge der beſonderen Ver-
träge. Ihre Bedeutung für ein allgemeines europäiſches
Völkerrecht beruht hauptſächlich auf dem Umſtande, daß ſie,
obgleich völlig unabhängig von einander zu Stande gekommen,
doch über viele Punkte weſentlich Gleichartiges feſtzuſtellen,
welche Uebereinſtimmung denn auf eine gemeinſchaftliche, durch
die Thatſache nachweisbare Grundanſicht vom Völkerrechte
hinweiſt.

2. Gewohnheitsrecht. Auch abgeſehen von den in
ausdrücklichen Verträgen ſchriftlich feſtgeſtellten Sätzen iſt eine
ganz bedeutende Anzahl von Rechtsſätzen unter den europäiſchen
Staaten in Uebung, und zwar nicht blos als freiwillige gegen-
ſeitige Einräumungen und internationale Höflichkeit, ſondern
anerkannt als förmliche Rechtspflicht eines jeden geſitt gten
Staats. Das Daſein eines Gewohnheitsrechtes iſt natürlich in
jedem einzelnen Falle zu erweiſen, was denn geſchehen mag
theils durch Aufzeigung einer thatſächlich beſtändigen Befolgung,
theils aber auch durch den Nachweis ausdrücklicher Behauptung
ihrer Gültigkeit von Seiten maßgebender Staaten. Ihre Ver-
bindung unter einander und mit den vertragsmäßig feſtgeſtell-
ten Sätzen zu einem Ganzen iſt eine ſchwierige, aber keine
unmögliche Aufgabe.

1) Das Beſtehen eines poſitiven europäiſchen Völkerrechtes iſt allerdings
ſchon häufig in Zweifel gezogen worden; allein die Gründe ſind in der That
ſehr ſchwach. Wenn nämlich der Mangel an ausreichenden ſchriftlichen Be-
ſtimmungen als Grund der Abläugnung dienen ſoll, ſo beruht dieſes auf
einem handgreiflichen Verkennen der Natur des Rechtes überhaupt. Daß
nicht blos geſchriebenes Geſetz Rechtsquelle iſt, braucht doch nicht erſt er-
wieſen zu werden. Nicht ſchlagender iſt die Einwendung, daß die vorhan-
denen Quellen zur Bildung eines vollſtändigen Syſtemes nicht ausreichen.
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[463/0477] beſondere, welche nur zwiſchen einer größern oder geringern Anzahl von kleinern Staaten zu Stande gekommen ſind. Die Zahl der erſteren iſt nicht ſo bedeutend 3); deſto größer, ja völlig unzählbar, iſt dagegen die Menge der beſonderen Ver- träge. Ihre Bedeutung für ein allgemeines europäiſches Völkerrecht beruht hauptſächlich auf dem Umſtande, daß ſie, obgleich völlig unabhängig von einander zu Stande gekommen, doch über viele Punkte weſentlich Gleichartiges feſtzuſtellen, welche Uebereinſtimmung denn auf eine gemeinſchaftliche, durch die Thatſache nachweisbare Grundanſicht vom Völkerrechte hinweiſt. 2. Gewohnheitsrecht. Auch abgeſehen von den in ausdrücklichen Verträgen ſchriftlich feſtgeſtellten Sätzen iſt eine ganz bedeutende Anzahl von Rechtsſätzen unter den europäiſchen Staaten in Uebung, und zwar nicht blos als freiwillige gegen- ſeitige Einräumungen und internationale Höflichkeit, ſondern anerkannt als förmliche Rechtspflicht eines jeden geſitt gten Staats. Das Daſein eines Gewohnheitsrechtes iſt natürlich in jedem einzelnen Falle zu erweiſen, was denn geſchehen mag theils durch Aufzeigung einer thatſächlich beſtändigen Befolgung, theils aber auch durch den Nachweis ausdrücklicher Behauptung ihrer Gültigkeit von Seiten maßgebender Staaten. Ihre Ver- bindung unter einander und mit den vertragsmäßig feſtgeſtell- ten Sätzen zu einem Ganzen iſt eine ſchwierige, aber keine unmögliche Aufgabe. ¹⁾ Das Beſtehen eines poſitiven europäiſchen Völkerrechtes iſt allerdings ſchon häufig in Zweifel gezogen worden; allein die Gründe ſind in der That ſehr ſchwach. Wenn nämlich der Mangel an ausreichenden ſchriftlichen Be- ſtimmungen als Grund der Abläugnung dienen ſoll, ſo beruht dieſes auf einem handgreiflichen Verkennen der Natur des Rechtes überhaupt. Daß nicht blos geſchriebenes Geſetz Rechtsquelle iſt, braucht doch nicht erſt er- wieſen zu werden. Nicht ſchlagender iſt die Einwendung, daß die vorhan- denen Quellen zur Bildung eines vollſtändigen Syſtemes nicht ausreichen.

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/477>, abgerufen am 21.11.2024.