Wie im innern Staatsleben eine blos philosophische Ent- wickelung von Rechtssätzen nicht genügt, so ist sie auch, und zwar ganz aus denselben Gründen, für die sichere Ordnung des Rechtes zwischen Staat und Staat nicht ausreichend. Auch hier bedarf es allgemein anerkannter und von einer zuständigen Auctorität ausgehender und aufrecht erhaltener Sätze 1). Doch ist allerdings insoferne ein wesentlicher Unterschied zwischen diesen beiden Arten von positivem öffentlichen Recht, als das Staats- recht von einer unzweifelhaft zuständigen, genau umgrenzten und mit den nothwendigen Ausführungsmitteln genügend ver- sehenen höheren Gewalt ausgeht; das positive Völkerrecht dagegen, in Ermangelung einer über den unabhängigen Staaten stehenden gesetzgebenden Gewalt, nur auf der freiwilligen Anerkennung der Staaten beruhen kann, und auch eine genügende Macht zur Durchführung im Falle einer Verletzung keineswegs immer vorhanden ist.
Eine Folge hiervon ist denn, daß, namentlich im Falle blos stillschweigender Zustimmung, das thatsächliche Vorhanden- sein oder mindestens der Umfang der Gültigkeit eines positiven völkerrechtlichen Satzes zweifelhaft sein mag. Auch ist erklärlich, daß sich die positiven Entscheidungen nicht gleichmäßig über alle Theile der äußeren Staatenverhältnisse erstrecken, son- dern offenbare und empfindliche Lücken bestehen, deren Aus-
2. Poſitives europäiſches Völkerrecht.
§ 68. 1. Beſtand und Quellen deſſelben.
Wie im innern Staatsleben eine blos philoſophiſche Ent- wickelung von Rechtsſätzen nicht genügt, ſo iſt ſie auch, und zwar ganz aus denſelben Gründen, für die ſichere Ordnung des Rechtes zwiſchen Staat und Staat nicht ausreichend. Auch hier bedarf es allgemein anerkannter und von einer zuſtändigen Auctorität ausgehender und aufrecht erhaltener Sätze 1). Doch iſt allerdings inſoferne ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen dieſen beiden Arten von poſitivem öffentlichen Recht, als das Staats- recht von einer unzweifelhaft zuſtändigen, genau umgrenzten und mit den nothwendigen Ausführungsmitteln genügend ver- ſehenen höheren Gewalt ausgeht; das poſitive Völkerrecht dagegen, in Ermangelung einer über den unabhängigen Staaten ſtehenden geſetzgebenden Gewalt, nur auf der freiwilligen Anerkennung der Staaten beruhen kann, und auch eine genügende Macht zur Durchführung im Falle einer Verletzung keineswegs immer vorhanden iſt.
Eine Folge hiervon iſt denn, daß, namentlich im Falle blos ſtillſchweigender Zuſtimmung, das thatſächliche Vorhanden- ſein oder mindeſtens der Umfang der Gültigkeit eines poſitiven völkerrechtlichen Satzes zweifelhaft ſein mag. Auch iſt erklärlich, daß ſich die poſitiven Entſcheidungen nicht gleichmäßig über alle Theile der äußeren Staatenverhältniſſe erſtrecken, ſon- dern offenbare und empfindliche Lücken beſtehen, deren Aus-
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2. Poſitives europäiſches Völkerrecht.
§ 68.
1. Beſtand und Quellen deſſelben.
Wie im innern Staatsleben eine blos philoſophiſche Ent-
wickelung von Rechtsſätzen nicht genügt, ſo iſt ſie auch, und
zwar ganz aus denſelben Gründen, für die ſichere Ordnung
des Rechtes zwiſchen Staat und Staat nicht ausreichend. Auch
hier bedarf es allgemein anerkannter und von einer zuſtändigen
Auctorität ausgehender und aufrecht erhaltener Sätze 1). Doch
iſt allerdings inſoferne ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen dieſen
beiden Arten von poſitivem öffentlichen Recht, als das Staats-
recht von einer unzweifelhaft zuſtändigen, genau umgrenzten
und mit den nothwendigen Ausführungsmitteln genügend ver-
ſehenen höheren Gewalt ausgeht; das poſitive Völkerrecht dagegen,
in Ermangelung einer über den unabhängigen Staaten ſtehenden
geſetzgebenden Gewalt, nur auf der freiwilligen Anerkennung
der Staaten beruhen kann, und auch eine genügende Macht
zur Durchführung im Falle einer Verletzung keineswegs immer
vorhanden iſt.
Eine Folge hiervon iſt denn, daß, namentlich im Falle
blos ſtillſchweigender Zuſtimmung, das thatſächliche Vorhanden-
ſein oder mindeſtens der Umfang der Gültigkeit eines poſitiven
völkerrechtlichen Satzes zweifelhaft ſein mag. Auch iſt erklärlich,
daß ſich die poſitiven Entſcheidungen nicht gleichmäßig über
alle Theile der äußeren Staatenverhältniſſe erſtrecken, ſon-
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. [461]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/475>, abgerufen am 22.11.2024.
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