werden; soll es ferner an den entsprechenden Mitteln zur Zweck- erreichung und an dem Gehorsame gegen die Leitung nicht fehlen: so muß für jeden thatsächlich zusammengehörenden, von anderen getrennten, und innerhalb eines bestimmten Theiles der Erdoberfläche lebenden Theil des Menschengeschlechtes ein einheit- licher und kräftig ausgestatteter Organismus bestehen, welcher die einzelnen Persönlichkeiten, die Familien, die Stämme und die gesellschaftlichen Kreise dieses Volkes zusammenfaßt. -- Dieser Organismus aber ist der Staat2).
Auch er also ist lediglich ein Mittel zur Erreichung menschlicher Zwecke, somit von den übrigen Lebenskreisen wohl nach Umfang, Ordnung, Macht und sachlicher Aufgabe ver- schieden, nicht aber in seinem letzten Zwecke 3). Er verhält sich zu den Verschiedenheiten der übrigen Gestaltungen als aus- gleichende Einheit; zu Widerspruch und Unvernunft als über- wältigende Nöthigung; zu Unvollständigkeit und maßloser Aus- dehnung als Ausfüllung und Begränzung. -- Damit soll aber nicht etwa gesagt sein, daß er nur als eine geschichtlich später eintretende Bildungsform betrachtet werden könne. Die Ent- stehung eines Staates kann zwar mit dem Vorhandensein ein- zelner Persönlichkeiten und weniger Familien nicht zusammen- fallen, weil er zahlreiche Theilnehmer und Verhältnisse, eine räumliche Ausdehnung und die geistigen und stofflichen Bestand- theile einer Macht voraussetzt, er auch zur Ordnung so ein- facher und weniger Verhältnisse gar nicht nöthig wäre; dage- gen ist seine Entstehung und Entwickelung an und mit dem Stamme und mit der Gesellschaft gar wohl denkbar, und müssen diese keineswegs in ihrer Entfaltung ihm vorangegan- gen sein. Eben so wenig hören die sonstigen naturwüchsige- ren Formen des menschlichen Zusammenlebens mit der vollen Wirksamkeit des Staates auf; vielmehr können alle übrigen Lebenskreise, namentlich auch die Gesellschaft, sich in dem
werden; ſoll es ferner an den entſprechenden Mitteln zur Zweck- erreichung und an dem Gehorſame gegen die Leitung nicht fehlen: ſo muß für jeden thatſächlich zuſammengehörenden, von anderen getrennten, und innerhalb eines beſtimmten Theiles der Erdoberfläche lebenden Theil des Menſchengeſchlechtes ein einheit- licher und kräftig ausgeſtatteter Organismus beſtehen, welcher die einzelnen Perſönlichkeiten, die Familien, die Stämme und die geſellſchaftlichen Kreiſe dieſes Volkes zuſammenfaßt. — Dieſer Organismus aber iſt der Staat2).
Auch er alſo iſt lediglich ein Mittel zur Erreichung menſchlicher Zwecke, ſomit von den übrigen Lebenskreiſen wohl nach Umfang, Ordnung, Macht und ſachlicher Aufgabe ver- ſchieden, nicht aber in ſeinem letzten Zwecke 3). Er verhält ſich zu den Verſchiedenheiten der übrigen Geſtaltungen als aus- gleichende Einheit; zu Widerſpruch und Unvernunft als über- wältigende Nöthigung; zu Unvollſtändigkeit und maßloſer Aus- dehnung als Ausfüllung und Begränzung. — Damit ſoll aber nicht etwa geſagt ſein, daß er nur als eine geſchichtlich ſpäter eintretende Bildungsform betrachtet werden könne. Die Ent- ſtehung eines Staates kann zwar mit dem Vorhandenſein ein- zelner Perſönlichkeiten und weniger Familien nicht zuſammen- fallen, weil er zahlreiche Theilnehmer und Verhältniſſe, eine räumliche Ausdehnung und die geiſtigen und ſtofflichen Beſtand- theile einer Macht vorausſetzt, er auch zur Ordnung ſo ein- facher und weniger Verhältniſſe gar nicht nöthig wäre; dage- gen iſt ſeine Entſtehung und Entwickelung an und mit dem Stamme und mit der Geſellſchaft gar wohl denkbar, und müſſen dieſe keineswegs in ihrer Entfaltung ihm vorangegan- gen ſein. Eben ſo wenig hören die ſonſtigen naturwüchſige- ren Formen des menſchlichen Zuſammenlebens mit der vollen Wirkſamkeit des Staates auf; vielmehr können alle übrigen Lebenskreiſe, namentlich auch die Geſellſchaft, ſich in dem
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werden; ſoll es ferner an den entſprechenden Mitteln zur Zweck-
erreichung und an dem Gehorſame gegen die Leitung nicht
fehlen: ſo muß für jeden thatſächlich zuſammengehörenden, von
anderen getrennten, und innerhalb eines beſtimmten Theiles der
Erdoberfläche lebenden Theil des Menſchengeſchlechtes ein einheit-
licher und kräftig ausgeſtatteter Organismus beſtehen, welcher
die einzelnen Perſönlichkeiten, die Familien, die Stämme und
die geſellſchaftlichen Kreiſe dieſes Volkes zuſammenfaßt. —
Dieſer Organismus aber iſt der Staat 2).
Auch er alſo iſt lediglich ein Mittel zur Erreichung
menſchlicher Zwecke, ſomit von den übrigen Lebenskreiſen wohl
nach Umfang, Ordnung, Macht und ſachlicher Aufgabe ver-
ſchieden, nicht aber in ſeinem letzten Zwecke 3). Er verhält ſich
zu den Verſchiedenheiten der übrigen Geſtaltungen als aus-
gleichende Einheit; zu Widerſpruch und Unvernunft als über-
wältigende Nöthigung; zu Unvollſtändigkeit und maßloſer Aus-
dehnung als Ausfüllung und Begränzung. — Damit ſoll aber
nicht etwa geſagt ſein, daß er nur als eine geſchichtlich ſpäter
eintretende Bildungsform betrachtet werden könne. Die Ent-
ſtehung eines Staates kann zwar mit dem Vorhandenſein ein-
zelner Perſönlichkeiten und weniger Familien nicht zuſammen-
fallen, weil er zahlreiche Theilnehmer und Verhältniſſe, eine
räumliche Ausdehnung und die geiſtigen und ſtofflichen Beſtand-
theile einer Macht vorausſetzt, er auch zur Ordnung ſo ein-
facher und weniger Verhältniſſe gar nicht nöthig wäre; dage-
gen iſt ſeine Entſtehung und Entwickelung an und mit dem
Stamme und mit der Geſellſchaft gar wohl denkbar, und
müſſen dieſe keineswegs in ihrer Entfaltung ihm vorangegan-
gen ſein. Eben ſo wenig hören die ſonſtigen naturwüchſige-
ren Formen des menſchlichen Zuſammenlebens mit der vollen
Wirkſamkeit des Staates auf; vielmehr können alle übrigen
Lebenskreiſe, namentlich auch die Geſellſchaft, ſich in dem
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/46>, abgerufen am 24.11.2024.
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