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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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wechselnden Auffassung. Daher denn Zweifel, Streit, mög-
licherweise Zerrüttung.

2. Es besteht in den bisher besprochenen Lebenskreisen
keineswegs überall eine genügende, immer bereit stehende, jeder
unberechtigten Störung überlegene Gewalt. Damit aber ist
die Erreichung der gerechten Forderungen der Genossen und
die Erhaltung des betreffenden Organismus in Frage gestellt.

3. Im Begriffe der Gesellschaft liegt, wie bereits bemerkt,
das Merkmal einer bestimmten räumlichen Begränzung nicht;
und ebensowenig die Nothwendigkeit einer gleichmäßigen Aus-
dehnung aller gesellschaftlichen Kreise derselben Art über dasselbe
Volk. Nun ist aber doch eine scharfe Abscheidung der ver-
schiedenen Abtheilungen des Menschengeschlechtes durchaus noth-
wendig zur Ordnung des Zusammenlebens, weil nur auf diese
Weise ein bestimmter Plan für eine Organisation, eine Be-
rechnung der Maßregeln, eine sichere Bezeichnung der Be-
rechtigten und Verpflichteten, die Bildung und Anerkennung
einer ausreichenden gemeinschaftlichen Gewalt denkbar ist 1).

4. Endlich und hauptsächlich aber hat die Gesellschaft
nur ein theilweises, bruchstückliches und zufälliges Zusammen-
leben. Nicht aus innerer, für Alle gleicher Nothwendigkeit,
sondern je nach den thatsächlichen Verhältnissen bilden sich die
einzelnen gesellschaftlichen Kreise; in andern, vielleicht eben so
wichtigen, Beziehungen kommt eine geordnete und wirksame Ge-
nossenschaft gar nicht zu Stande, weil das Interesse dafür
nicht dauernd, verbreitet oder stark genug ist. Oft finden
ganz analoge Zustände eine ganz verschiedenartige gesellschaftliche
Organisation. Selbst Widersprüche unter den gesellschaftlichen
Gestaltungen und entschieden falsche Richtungen derselben sind
nicht unmöglich.

Soll also die Gesammtheit aller menschlichen Lebenszwecke
genügend, unter sich übereinstimmend und unbestritten verfolgt

wechſelnden Auffaſſung. Daher denn Zweifel, Streit, mög-
licherweiſe Zerrüttung.

2. Es beſteht in den bisher beſprochenen Lebenskreiſen
keineswegs überall eine genügende, immer bereit ſtehende, jeder
unberechtigten Störung überlegene Gewalt. Damit aber iſt
die Erreichung der gerechten Forderungen der Genoſſen und
die Erhaltung des betreffenden Organismus in Frage geſtellt.

3. Im Begriffe der Geſellſchaft liegt, wie bereits bemerkt,
das Merkmal einer beſtimmten räumlichen Begränzung nicht;
und ebenſowenig die Nothwendigkeit einer gleichmäßigen Aus-
dehnung aller geſellſchaftlichen Kreiſe derſelben Art über daſſelbe
Volk. Nun iſt aber doch eine ſcharfe Abſcheidung der ver-
ſchiedenen Abtheilungen des Menſchengeſchlechtes durchaus noth-
wendig zur Ordnung des Zuſammenlebens, weil nur auf dieſe
Weiſe ein beſtimmter Plan für eine Organiſation, eine Be-
rechnung der Maßregeln, eine ſichere Bezeichnung der Be-
rechtigten und Verpflichteten, die Bildung und Anerkennung
einer ausreichenden gemeinſchaftlichen Gewalt denkbar iſt 1).

4. Endlich und hauptſächlich aber hat die Geſellſchaft
nur ein theilweiſes, bruchſtückliches und zufälliges Zuſammen-
leben. Nicht aus innerer, für Alle gleicher Nothwendigkeit,
ſondern je nach den thatſächlichen Verhältniſſen bilden ſich die
einzelnen geſellſchaftlichen Kreiſe; in andern, vielleicht eben ſo
wichtigen, Beziehungen kommt eine geordnete und wirkſame Ge-
noſſenſchaft gar nicht zu Stande, weil das Intereſſe dafür
nicht dauernd, verbreitet oder ſtark genug iſt. Oft finden
ganz analoge Zuſtände eine ganz verſchiedenartige geſellſchaftliche
Organiſation. Selbſt Widerſprüche unter den geſellſchaftlichen
Geſtaltungen und entſchieden falſche Richtungen derſelben ſind
nicht unmöglich.

Soll alſo die Geſammtheit aller menſchlichen Lebenszwecke
genügend, unter ſich übereinſtimmend und unbeſtritten verfolgt

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[31/0045] wechſelnden Auffaſſung. Daher denn Zweifel, Streit, mög- licherweiſe Zerrüttung. 2. Es beſteht in den bisher beſprochenen Lebenskreiſen keineswegs überall eine genügende, immer bereit ſtehende, jeder unberechtigten Störung überlegene Gewalt. Damit aber iſt die Erreichung der gerechten Forderungen der Genoſſen und die Erhaltung des betreffenden Organismus in Frage geſtellt. 3. Im Begriffe der Geſellſchaft liegt, wie bereits bemerkt, das Merkmal einer beſtimmten räumlichen Begränzung nicht; und ebenſowenig die Nothwendigkeit einer gleichmäßigen Aus- dehnung aller geſellſchaftlichen Kreiſe derſelben Art über daſſelbe Volk. Nun iſt aber doch eine ſcharfe Abſcheidung der ver- ſchiedenen Abtheilungen des Menſchengeſchlechtes durchaus noth- wendig zur Ordnung des Zuſammenlebens, weil nur auf dieſe Weiſe ein beſtimmter Plan für eine Organiſation, eine Be- rechnung der Maßregeln, eine ſichere Bezeichnung der Be- rechtigten und Verpflichteten, die Bildung und Anerkennung einer ausreichenden gemeinſchaftlichen Gewalt denkbar iſt 1). 4. Endlich und hauptſächlich aber hat die Geſellſchaft nur ein theilweiſes, bruchſtückliches und zufälliges Zuſammen- leben. Nicht aus innerer, für Alle gleicher Nothwendigkeit, ſondern je nach den thatſächlichen Verhältniſſen bilden ſich die einzelnen geſellſchaftlichen Kreiſe; in andern, vielleicht eben ſo wichtigen, Beziehungen kommt eine geordnete und wirkſame Ge- noſſenſchaft gar nicht zu Stande, weil das Intereſſe dafür nicht dauernd, verbreitet oder ſtark genug iſt. Oft finden ganz analoge Zuſtände eine ganz verſchiedenartige geſellſchaftliche Organiſation. Selbſt Widerſprüche unter den geſellſchaftlichen Geſtaltungen und entſchieden falſche Richtungen derſelben ſind nicht unmöglich. Soll alſo die Geſammtheit aller menſchlichen Lebenszwecke genügend, unter ſich übereinſtimmend und unbeſtritten verfolgt

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/45>, abgerufen am 28.03.2024.