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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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müssen dispositionsfähig sein; es darf kein wesentlicher Irr-
thum über Sachen oder Personen stattfinden; kein Betrug des
einen Vertragenden gegen den andern; keine unmittelbare
Nöthigung zum Eingehen, welche einen freien Entschluß un-
möglich machte. An einen Vertrag, welchem die nöthigen Be-
dingungen der Gültigkeit fehlen, sind natürlich beide Partheien
nicht gebunden; es bleiben aber die früheren Ansprüche in
ihrer vollen Gültigkeit, und überdieß steht dem durch fremde
Schuld bei der Nichtzustandebringung Verletzten ein Anspruch
auf Schadenersatz zu. -- Im Einzelnen mag noch Folgendes
bemerkt sein:

Eine die rechtliche Gültigkeit des Vertrages anfechtende
Nöthigung ist da nicht vorhanden, wo die Nichteingehung
zwar wohl voraussichtlich einen Nachtheil zur Folge hätte, die
Zustimmung jedoch nicht physisch erzwungen, sondern zwischen
ihr und dem Nachtheile die freie Wahl gelassen wird 3).

Der Gegenstand eines Staatsvertrages kann jeder
beliebige Punkt des öffentlichen Lebens sein, also sowohl die
Ordnung von Rechten als die von Interessen, und mag eben-
sogut das ganze Verhältniß zweier Staaten zu einander, als
nur ganz einzelne Punkte betreffen. Ferner ist jede Art von
Vertrag, durch welche überhaupt von einer moralischen Person
ein Recht eingeräumt und erworben werden kann, völkerrechtlich
zulässig. Also z. B. Kauf-, Schenkungs-, Leihe-, Tausch-,
Darlehensverträge u. s. w. Auch hindert nichts, einem Vertrage
zwischen zwei Staaten aufschiebende oder wiederaufhebende Be-
dingungen, ferner Nebenverabredungen zur Verstärkung der
Vollziehungsverpflichtung beizufügen; etwa die Leistung feier-
licher Versprechen, Uebergabe von Pfändern, Verabredung von
Conventionalstrafen.

Die durch einen Vertrag verabredete Leistung muß an sich
rechtlich möglich sein; und es erhält ein Staatsoberhaupt

müſſen dispoſitionsfähig ſein; es darf kein weſentlicher Irr-
thum über Sachen oder Perſonen ſtattfinden; kein Betrug des
einen Vertragenden gegen den andern; keine unmittelbare
Nöthigung zum Eingehen, welche einen freien Entſchluß un-
möglich machte. An einen Vertrag, welchem die nöthigen Be-
dingungen der Gültigkeit fehlen, ſind natürlich beide Partheien
nicht gebunden; es bleiben aber die früheren Anſprüche in
ihrer vollen Gültigkeit, und überdieß ſteht dem durch fremde
Schuld bei der Nichtzuſtandebringung Verletzten ein Anſpruch
auf Schadenerſatz zu. — Im Einzelnen mag noch Folgendes
bemerkt ſein:

Eine die rechtliche Gültigkeit des Vertrages anfechtende
Nöthigung iſt da nicht vorhanden, wo die Nichteingehung
zwar wohl vorausſichtlich einen Nachtheil zur Folge hätte, die
Zuſtimmung jedoch nicht phyſiſch erzwungen, ſondern zwiſchen
ihr und dem Nachtheile die freie Wahl gelaſſen wird 3).

Der Gegenſtand eines Staatsvertrages kann jeder
beliebige Punkt des öffentlichen Lebens ſein, alſo ſowohl die
Ordnung von Rechten als die von Intereſſen, und mag eben-
ſogut das ganze Verhältniß zweier Staaten zu einander, als
nur ganz einzelne Punkte betreffen. Ferner iſt jede Art von
Vertrag, durch welche überhaupt von einer moraliſchen Perſon
ein Recht eingeräumt und erworben werden kann, völkerrechtlich
zuläſſig. Alſo z. B. Kauf-, Schenkungs-, Leihe-, Tauſch-,
Darlehensverträge u. ſ. w. Auch hindert nichts, einem Vertrage
zwiſchen zwei Staaten aufſchiebende oder wiederaufhebende Be-
dingungen, ferner Nebenverabredungen zur Verſtärkung der
Vollziehungsverpflichtung beizufügen; etwa die Leiſtung feier-
licher Verſprechen, Uebergabe von Pfändern, Verabredung von
Conventionalſtrafen.

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rechtlich möglich ſein; und es erhält ein Staatsoberhaupt

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[440/0454] müſſen dispoſitionsfähig ſein; es darf kein weſentlicher Irr- thum über Sachen oder Perſonen ſtattfinden; kein Betrug des einen Vertragenden gegen den andern; keine unmittelbare Nöthigung zum Eingehen, welche einen freien Entſchluß un- möglich machte. An einen Vertrag, welchem die nöthigen Be- dingungen der Gültigkeit fehlen, ſind natürlich beide Partheien nicht gebunden; es bleiben aber die früheren Anſprüche in ihrer vollen Gültigkeit, und überdieß ſteht dem durch fremde Schuld bei der Nichtzuſtandebringung Verletzten ein Anſpruch auf Schadenerſatz zu. — Im Einzelnen mag noch Folgendes bemerkt ſein: Eine die rechtliche Gültigkeit des Vertrages anfechtende Nöthigung iſt da nicht vorhanden, wo die Nichteingehung zwar wohl vorausſichtlich einen Nachtheil zur Folge hätte, die Zuſtimmung jedoch nicht phyſiſch erzwungen, ſondern zwiſchen ihr und dem Nachtheile die freie Wahl gelaſſen wird 3). Der Gegenſtand eines Staatsvertrages kann jeder beliebige Punkt des öffentlichen Lebens ſein, alſo ſowohl die Ordnung von Rechten als die von Intereſſen, und mag eben- ſogut das ganze Verhältniß zweier Staaten zu einander, als nur ganz einzelne Punkte betreffen. Ferner iſt jede Art von Vertrag, durch welche überhaupt von einer moraliſchen Perſon ein Recht eingeräumt und erworben werden kann, völkerrechtlich zuläſſig. Alſo z. B. Kauf-, Schenkungs-, Leihe-, Tauſch-, Darlehensverträge u. ſ. w. Auch hindert nichts, einem Vertrage zwiſchen zwei Staaten aufſchiebende oder wiederaufhebende Be- dingungen, ferner Nebenverabredungen zur Verſtärkung der Vollziehungsverpflichtung beizufügen; etwa die Leiſtung feier- licher Verſprechen, Uebergabe von Pfändern, Verabredung von Conventionalſtrafen. Die durch einen Vertrag verabredete Leiſtung muß an ſich rechtlich möglich ſein; und es erhält ein Staatsoberhaupt

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/454>, abgerufen am 23.11.2024.