Auch die im positiven Staatsrechte zu behandelnden Rechts- sätze betreffen sämmtlich das innere Leben der Staaten. In- soferne sie die Verhältnisse von Staat zu Staat regeln, sind sie Gegenstand des Völkerrechtes. Nur wenn eine Norm auf der Grenze zwischen beiden Gebieten liegt, also zwar das Ver- hältniß zu fremden Staaten betrifft, aber innerhalb der eigenen Grenzen ihre Ausführung findet und somit einen Theil des eigenen Staatsorganismus ausmacht, (z. B. eine Bestimmung über die bei Ratificationen von völkerrechtlichen Verträgen ein- zuhaltenden Formen, oder eine Feststellung über das sogenannte internationale Privatrecht:) mag sie, je nach dem Bedürfnisse, auch in den Kreis des Staatsrechtes gezogen werden.
Die zuständige Auctorität, welche Rechtssätze für das innere Staatsleben aufstellen darf, ist nach der Gattung des einzelnen Staates sehr verschieden; die entscheidende Frage ist, ob sie im bestimmten einzelnen Falle als Quelle der Rechts- bildung und Gesetzgebung anerkannt ist. Es mag also mit gleicher Gültigkeit für das positive Recht und als gleich sichere Grundlage für eine wissenschaftliche Bearbeitung desselben der Befehl ausgehen von Gott selbst oder einem von ihm gesetzten Statthalter; von dem gesammten Volke; von einem aus eigenem Rechte und mit selbstständiger Macht regierenden Fürsten u. s. w. Je nach der Verfassung ist vielleicht die Zustimmung mehrerer Factoren nothwendig. Keinem Zweifel unterliegt dabei, daß auch im Staatsrechte Gewohnheitsrecht gültig sein kann, sobald nur die in der betreffenden Staatsart zur Bildung eines Rechts- satzes regelmäßige beauftragte Autorität die allgemeine Ueber- zeugung von der Nothwendigkeit eines Satzes ausdrücklich oder stillschweigend theilt.
Zweck der wissenschafttichen Bearbeitung eines positiven Staatsrechtes ist die Auffindung und Begründung derjenigen Maßregeln, durch welche die allgemeine Aufgabe des concreten
Auch die im poſitiven Staatsrechte zu behandelnden Rechts- ſätze betreffen ſämmtlich das innere Leben der Staaten. In- ſoferne ſie die Verhältniſſe von Staat zu Staat regeln, ſind ſie Gegenſtand des Völkerrechtes. Nur wenn eine Norm auf der Grenze zwiſchen beiden Gebieten liegt, alſo zwar das Ver- hältniß zu fremden Staaten betrifft, aber innerhalb der eigenen Grenzen ihre Ausführung findet und ſomit einen Theil des eigenen Staatsorganismus ausmacht, (z. B. eine Beſtimmung über die bei Ratificationen von völkerrechtlichen Verträgen ein- zuhaltenden Formen, oder eine Feſtſtellung über das ſogenannte internationale Privatrecht:) mag ſie, je nach dem Bedürfniſſe, auch in den Kreis des Staatsrechtes gezogen werden.
Die zuſtändige Auctorität, welche Rechtsſätze für das innere Staatsleben aufſtellen darf, iſt nach der Gattung des einzelnen Staates ſehr verſchieden; die entſcheidende Frage iſt, ob ſie im beſtimmten einzelnen Falle als Quelle der Rechts- bildung und Geſetzgebung anerkannt iſt. Es mag alſo mit gleicher Gültigkeit für das poſitive Recht und als gleich ſichere Grundlage für eine wiſſenſchaftliche Bearbeitung deſſelben der Befehl ausgehen von Gott ſelbſt oder einem von ihm geſetzten Statthalter; von dem geſammten Volke; von einem aus eigenem Rechte und mit ſelbſtſtändiger Macht regierenden Fürſten u. ſ. w. Je nach der Verfaſſung iſt vielleicht die Zuſtimmung mehrerer Factoren nothwendig. Keinem Zweifel unterliegt dabei, daß auch im Staatsrechte Gewohnheitsrecht gültig ſein kann, ſobald nur die in der betreffenden Staatsart zur Bildung eines Rechts- ſatzes regelmäßige beauftragte Autorität die allgemeine Ueber- zeugung von der Nothwendigkeit eines Satzes ausdrücklich oder ſtillſchweigend theilt.
Zweck der wiſſenſchafttichen Bearbeitung eines poſitiven Staatsrechtes iſt die Auffindung und Begründung derjenigen Maßregeln, durch welche die allgemeine Aufgabe des concreten
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Auch die im poſitiven Staatsrechte zu behandelnden Rechts-
ſätze betreffen ſämmtlich das innere Leben der Staaten. In-
ſoferne ſie die Verhältniſſe von Staat zu Staat regeln, ſind
ſie Gegenſtand des Völkerrechtes. Nur wenn eine Norm auf
der Grenze zwiſchen beiden Gebieten liegt, alſo zwar das Ver-
hältniß zu fremden Staaten betrifft, aber innerhalb der eigenen
Grenzen ihre Ausführung findet und ſomit einen Theil des
eigenen Staatsorganismus ausmacht, (z. B. eine Beſtimmung
über die bei Ratificationen von völkerrechtlichen Verträgen ein-
zuhaltenden Formen, oder eine Feſtſtellung über das ſogenannte
internationale Privatrecht:) mag ſie, je nach dem Bedürfniſſe,
auch in den Kreis des Staatsrechtes gezogen werden.
Die zuſtändige Auctorität, welche Rechtsſätze für
das innere Staatsleben aufſtellen darf, iſt nach der Gattung
des einzelnen Staates ſehr verſchieden; die entſcheidende Frage
iſt, ob ſie im beſtimmten einzelnen Falle als Quelle der Rechts-
bildung und Geſetzgebung anerkannt iſt. Es mag alſo mit
gleicher Gültigkeit für das poſitive Recht und als gleich ſichere
Grundlage für eine wiſſenſchaftliche Bearbeitung deſſelben der
Befehl ausgehen von Gott ſelbſt oder einem von ihm geſetzten
Statthalter; von dem geſammten Volke; von einem aus eigenem
Rechte und mit ſelbſtſtändiger Macht regierenden Fürſten u. ſ. w.
Je nach der Verfaſſung iſt vielleicht die Zuſtimmung mehrerer
Factoren nothwendig. Keinem Zweifel unterliegt dabei, daß
auch im Staatsrechte Gewohnheitsrecht gültig ſein kann, ſobald
nur die in der betreffenden Staatsart zur Bildung eines Rechts-
ſatzes regelmäßige beauftragte Autorität die allgemeine Ueber-
zeugung von der Nothwendigkeit eines Satzes ausdrücklich oder
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Staatsrechtes iſt die Auffindung und Begründung derjenigen
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/393>, abgerufen am 24.11.2024.
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