Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

thanen vollkommen. Allein die Einhaltung jener Aufgabe ist
nur dem eigenen Rechtsgefühle und dem Gewissen des Fürsten
übertragen; und für die sichere und ruhige Anwendung des den
Unterthanen zustehenden Widerstandsrechtes ist keine Form
gegeben. Diese Regierungsform sichert somit im vollsten Maße
die freie Verwendung der Gesammtkraft zu den dem Staats-
oberhaupte als nützlich und nothwendig erscheinenden Zwecken;
allein sie gibt keinerlei Gewährleistung dafür, daß nur öffent-
liche Zwecke von ihm verfolgt werden, und sie läßt die
Möglichkeit offen, daß einer Seits die gerechten Forderungen
der Bürger nicht erfüllt, anderer Seits diese aber mit Lasten
überbürdet oder in ihren Rechten gekränkt werden.

Die Frage, ob in der unbeschränkten Einherrschaft eine
Verfassungs-Urkunde oder eine Anzahl von Grundgesetzen mög-
lich oder nützlich sei, ist eine ziemlich müßige. Nichts hindert
allerdings die Bezeichnung einzelner Gesetze mit solchen Namen;
auch ist es mit dem Wesen der Staatsform vereinbar, denselben
eine besondere Bedeutung beizulegen, eine vorzugsweise strenge
Einhaltung derselben auch von Seiten des Staatsoberhauptes
zu verlangen, und sie von ihm, etwa bei der Krönung, ver-
sprechen zu lassen: allein ein besonderer Nutzen wird dadurch
kaum erreicht. Weder ist durch die Verstärkung der sittlichen
Pflicht die wirkliche Beachtung gesichert, noch auch nur der
unbeschränkte Gesetzgeber gehindert, Aenderungen, Zusätze oder
auch völlige Zurücknahmen anzuordnen.

In ähnlicher Weise verhält es sich denn auch mit der
gewöhnlichen Gesetzgebung. Unzweifelhaft ist es Pflicht des
Staatsoberhauptes, dahin zu wirken, daß dieselbe genügend
dem Umfange nach und möglichst gut in Form und Inhalt sei.
Auch ist es wohl möglich, Einrichtungen zu treffen, welche eine
gute Vorbereitung und Ausarbeitung herbeizuführen geeignet
sind, etwa vorgängige Anhörung eines Rathes und dergl.

thanen vollkommen. Allein die Einhaltung jener Aufgabe iſt
nur dem eigenen Rechtsgefühle und dem Gewiſſen des Fürſten
übertragen; und für die ſichere und ruhige Anwendung des den
Unterthanen zuſtehenden Widerſtandsrechtes iſt keine Form
gegeben. Dieſe Regierungsform ſichert ſomit im vollſten Maße
die freie Verwendung der Geſammtkraft zu den dem Staats-
oberhaupte als nützlich und nothwendig erſcheinenden Zwecken;
allein ſie gibt keinerlei Gewährleiſtung dafür, daß nur öffent-
liche Zwecke von ihm verfolgt werden, und ſie läßt die
Möglichkeit offen, daß einer Seits die gerechten Forderungen
der Bürger nicht erfüllt, anderer Seits dieſe aber mit Laſten
überbürdet oder in ihren Rechten gekränkt werden.

Die Frage, ob in der unbeſchränkten Einherrſchaft eine
Verfaſſungs-Urkunde oder eine Anzahl von Grundgeſetzen mög-
lich oder nützlich ſei, iſt eine ziemlich müßige. Nichts hindert
allerdings die Bezeichnung einzelner Geſetze mit ſolchen Namen;
auch iſt es mit dem Weſen der Staatsform vereinbar, denſelben
eine beſondere Bedeutung beizulegen, eine vorzugsweiſe ſtrenge
Einhaltung derſelben auch von Seiten des Staatsoberhauptes
zu verlangen, und ſie von ihm, etwa bei der Krönung, ver-
ſprechen zu laſſen: allein ein beſonderer Nutzen wird dadurch
kaum erreicht. Weder iſt durch die Verſtärkung der ſittlichen
Pflicht die wirkliche Beachtung geſichert, noch auch nur der
unbeſchränkte Geſetzgeber gehindert, Aenderungen, Zuſätze oder
auch völlige Zurücknahmen anzuordnen.

In ähnlicher Weiſe verhält es ſich denn auch mit der
gewöhnlichen Geſetzgebung. Unzweifelhaft iſt es Pflicht des
Staatsoberhauptes, dahin zu wirken, daß dieſelbe genügend
dem Umfange nach und möglichſt gut in Form und Inhalt ſei.
Auch iſt es wohl möglich, Einrichtungen zu treffen, welche eine
gute Vorbereitung und Ausarbeitung herbeizuführen geeignet
ſind, etwa vorgängige Anhörung eines Rathes und dergl.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0373" n="359"/>
thanen vollkommen. Allein die Einhaltung jener Aufgabe i&#x017F;t<lb/>
nur dem eigenen Rechtsgefühle und dem Gewi&#x017F;&#x017F;en des Für&#x017F;ten<lb/>
übertragen; und für die &#x017F;ichere und ruhige Anwendung des den<lb/>
Unterthanen zu&#x017F;tehenden Wider&#x017F;tandsrechtes i&#x017F;t keine Form<lb/>
gegeben. Die&#x017F;e Regierungsform &#x017F;ichert &#x017F;omit im voll&#x017F;ten Maße<lb/>
die freie Verwendung der Ge&#x017F;ammtkraft zu den dem Staats-<lb/>
oberhaupte als nützlich und nothwendig er&#x017F;cheinenden Zwecken;<lb/>
allein &#x017F;ie gibt keinerlei Gewährlei&#x017F;tung dafür, daß nur öffent-<lb/>
liche Zwecke von ihm verfolgt werden, und &#x017F;ie läßt die<lb/>
Möglichkeit offen, daß einer Seits die gerechten Forderungen<lb/>
der Bürger nicht erfüllt, anderer Seits die&#x017F;e aber mit La&#x017F;ten<lb/>
überbürdet oder in ihren Rechten gekränkt werden.</p><lb/>
                      <p>Die Frage, ob in der unbe&#x017F;chränkten Einherr&#x017F;chaft eine<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ungs-Urkunde oder eine Anzahl von Grundge&#x017F;etzen mög-<lb/>
lich oder nützlich &#x017F;ei, i&#x017F;t eine ziemlich müßige. Nichts hindert<lb/>
allerdings die Bezeichnung einzelner Ge&#x017F;etze mit &#x017F;olchen Namen;<lb/>
auch i&#x017F;t es mit dem We&#x017F;en der Staatsform vereinbar, den&#x017F;elben<lb/>
eine be&#x017F;ondere Bedeutung beizulegen, eine vorzugswei&#x017F;e &#x017F;trenge<lb/>
Einhaltung der&#x017F;elben auch von Seiten des Staatsoberhauptes<lb/>
zu verlangen, und &#x017F;ie von ihm, etwa bei der Krönung, ver-<lb/>
&#x017F;prechen zu la&#x017F;&#x017F;en: allein ein be&#x017F;onderer Nutzen wird dadurch<lb/>
kaum erreicht. Weder i&#x017F;t durch die Ver&#x017F;tärkung der &#x017F;ittlichen<lb/>
Pflicht die wirkliche Beachtung ge&#x017F;ichert, noch auch nur der<lb/>
unbe&#x017F;chränkte Ge&#x017F;etzgeber gehindert, Aenderungen, Zu&#x017F;ätze oder<lb/>
auch völlige Zurücknahmen anzuordnen.</p><lb/>
                      <p>In ähnlicher Wei&#x017F;e verhält es &#x017F;ich denn auch mit der<lb/>
gewöhnlichen Ge&#x017F;etzgebung. Unzweifelhaft i&#x017F;t es Pflicht des<lb/>
Staatsoberhauptes, dahin zu wirken, daß die&#x017F;elbe genügend<lb/>
dem Umfange nach und möglich&#x017F;t gut in Form und Inhalt &#x017F;ei.<lb/>
Auch i&#x017F;t es wohl möglich, Einrichtungen zu treffen, welche eine<lb/>
gute Vorbereitung und Ausarbeitung herbeizuführen geeignet<lb/>
&#x017F;ind, etwa vorgängige Anhörung eines Rathes und dergl.<lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[359/0373] thanen vollkommen. Allein die Einhaltung jener Aufgabe iſt nur dem eigenen Rechtsgefühle und dem Gewiſſen des Fürſten übertragen; und für die ſichere und ruhige Anwendung des den Unterthanen zuſtehenden Widerſtandsrechtes iſt keine Form gegeben. Dieſe Regierungsform ſichert ſomit im vollſten Maße die freie Verwendung der Geſammtkraft zu den dem Staats- oberhaupte als nützlich und nothwendig erſcheinenden Zwecken; allein ſie gibt keinerlei Gewährleiſtung dafür, daß nur öffent- liche Zwecke von ihm verfolgt werden, und ſie läßt die Möglichkeit offen, daß einer Seits die gerechten Forderungen der Bürger nicht erfüllt, anderer Seits dieſe aber mit Laſten überbürdet oder in ihren Rechten gekränkt werden. Die Frage, ob in der unbeſchränkten Einherrſchaft eine Verfaſſungs-Urkunde oder eine Anzahl von Grundgeſetzen mög- lich oder nützlich ſei, iſt eine ziemlich müßige. Nichts hindert allerdings die Bezeichnung einzelner Geſetze mit ſolchen Namen; auch iſt es mit dem Weſen der Staatsform vereinbar, denſelben eine beſondere Bedeutung beizulegen, eine vorzugsweiſe ſtrenge Einhaltung derſelben auch von Seiten des Staatsoberhauptes zu verlangen, und ſie von ihm, etwa bei der Krönung, ver- ſprechen zu laſſen: allein ein beſonderer Nutzen wird dadurch kaum erreicht. Weder iſt durch die Verſtärkung der ſittlichen Pflicht die wirkliche Beachtung geſichert, noch auch nur der unbeſchränkte Geſetzgeber gehindert, Aenderungen, Zuſätze oder auch völlige Zurücknahmen anzuordnen. In ähnlicher Weiſe verhält es ſich denn auch mit der gewöhnlichen Geſetzgebung. Unzweifelhaft iſt es Pflicht des Staatsoberhauptes, dahin zu wirken, daß dieſelbe genügend dem Umfange nach und möglichſt gut in Form und Inhalt ſei. Auch iſt es wohl möglich, Einrichtungen zu treffen, welche eine gute Vorbereitung und Ausarbeitung herbeizuführen geeignet ſind, etwa vorgängige Anhörung eines Rathes und dergl.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/373
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/373>, abgerufen am 13.05.2024.