Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.hältnisse der Staatsbürger ist kein Grund vorhanden; die ge- 1) Literatur über Aristokratieen: Gagern, Resultate der Sittenge- schichte. Bd. II. Aristokratie. -- Zachariä, Vierzig Bücher, Bd. III, S 173. -- Brougham, Political philosophy, Bd. II. -- Bluntschli, Allgem. Staatsrecht, Bd. I, S. 289 u. ff. -- Die Hauptsache ist jedoch das Studium tüchtiger aristokratischer Verfassungen so namentlich der von Sparta, von Rom, von Venedig und von Bern. 2) Ein merkwürdiges Beispiel von einer inneren Abtheilung in der Aristokratie ist das venetianische "Serrar del consiglio," wodurch die größere Anzahl der Geschlechter von der Erwerbung der höchsten Würden ausge- schlossen wurde. 3) Vortreffliche Einrichtungen zur staatsmännischen Erziehung der jüngeren Mitglieder der Aristokratie bestanden in Rom durch den regelmäßi- gen Stufengang in der Bekleidung öffentlicher Aemter; sodann in Bern theils durch dieselbe Einrichtung, theils aber durch die frühzeitige Bildung der ganzen Jugend in Staatsgeschäften mittelst eines Scheinbildes der Regierung, in welchem alle wirklichen Aemter ebenfalls verliehen und die im Leben vorkommenden Geschäfte zur Uebung betrieben wurden. 4) Ein Uebermaß von Mißtrauen war es, wenn die venetianische Aristokratie in späterer Zeit den Befehl des Landheeres keinem aus ihrer eigenen Mitte mehr anvertraute, sondern einen fremden Feldherrn miethete. Wenn der Aristokratie irgend eine Aufgabe zufällt, so ist es die Führerschaft im Kriege. Gegen einen Mißbrauch des Ruhmes und des Einflusses eines Feldherrn zu ehrgeizigen eigenen Planen lassen sich genügende Vorkehrungen treffen, so lange die ganze Staatsform überhaupt noch Lebensfähigkeit hat. Fehlt diese aber, so fällt die Aristokratie um so schneller zusammen, wenn sie selbst die Gewohnheit des Kriegsbefehles verlor. 5) Die Ueberwachung der venetianischen Nobili durch den Rath der Zehn und die Staatsinquisitoren, sodann die vielfachen besonderen Be- schränkungen derselben durch Gesetz und Gewohnheit beweisen deutlich, daß hältniſſe der Staatsbürger iſt kein Grund vorhanden; die ge- 1) Literatur über Ariſtokratieen: Gagern, Reſultate der Sittenge- ſchichte. Bd. II. Ariſtokratie. — Zachariä, Vierzig Bücher, Bd. III, S 173. — Brougham, Political philosophy, Bd. II. — Bluntſchli, Allgem. Staatsrecht, Bd. I, S. 289 u. ff. — Die Hauptſache iſt jedoch das Studium tüchtiger ariſtokratiſcher Verfaſſungen ſo namentlich der von Sparta, von Rom, von Venedig und von Bern. 2) Ein merkwürdiges Beiſpiel von einer inneren Abtheilung in der Ariſtokratie iſt das venetianiſche »Serrar del consiglio,« wodurch die größere Anzahl der Geſchlechter von der Erwerbung der höchſten Würden ausge- ſchloſſen wurde. 3) Vortreffliche Einrichtungen zur ſtaatsmänniſchen Erziehung der jüngeren Mitglieder der Ariſtokratie beſtanden in Rom durch den regelmäßi- gen Stufengang in der Bekleidung öffentlicher Aemter; ſodann in Bern theils durch dieſelbe Einrichtung, theils aber durch die frühzeitige Bildung der ganzen Jugend in Staatsgeſchäften mittelſt eines Scheinbildes der Regierung, in welchem alle wirklichen Aemter ebenfalls verliehen und die im Leben vorkommenden Geſchäfte zur Uebung betrieben wurden. 4) Ein Uebermaß von Mißtrauen war es, wenn die venetianiſche Ariſtokratie in ſpäterer Zeit den Befehl des Landheeres keinem aus ihrer eigenen Mitte mehr anvertraute, ſondern einen fremden Feldherrn miethete. Wenn der Ariſtokratie irgend eine Aufgabe zufällt, ſo iſt es die Führerſchaft im Kriege. Gegen einen Mißbrauch des Ruhmes und des Einfluſſes eines Feldherrn zu ehrgeizigen eigenen Planen laſſen ſich genügende Vorkehrungen treffen, ſo lange die ganze Staatsform überhaupt noch Lebensfähigkeit hat. Fehlt dieſe aber, ſo fällt die Ariſtokratie um ſo ſchneller zuſammen, wenn ſie ſelbſt die Gewohnheit des Kriegsbefehles verlor. 5) Die Ueberwachung der venetianiſchen Nobili durch den Rath der Zehn und die Staatsinquiſitoren, ſodann die vielfachen beſonderen Be- ſchränkungen derſelben durch Geſetz und Gewohnheit beweiſen deutlich, daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p><pb facs="#f0368" n="354"/> hältniſſe der <hi rendition="#g">Staatsbürger</hi> iſt kein Grund vorhanden; die ge-<lb/> wöhnlichen Forderungen des Rechtsſtaates genügen, ſind aber auch<lb/> vollſtändig ausführbar. 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hältniſſe der Staatsbürger iſt kein Grund vorhanden; die ge-
wöhnlichen Forderungen des Rechtsſtaates genügen, ſind aber auch
vollſtändig ausführbar. Eine Vertretung der Unterthanen gegen-
über von der Regierung iſt zwar keine logiſche und rechtliche
Unmöglichkeit; allein es ſprechen ſehr gewichtige Klugheitsgründe
dagegen, indem jede Einrichtung ſolcher Art zu einem beſtän-
digen Kampfe zwiſchen dem ariſtokratiſchen und demokratiſchen
Elemente führt, hierbei aber die Menge leicht den Sieg auf die
Dauer davon trägt 6).
¹⁾ Literatur über Ariſtokratieen: Gagern, Reſultate der Sittenge-
ſchichte. Bd. II. Ariſtokratie. — Zachariä, Vierzig Bücher, Bd. III,
S 173. — Brougham, Political philosophy, Bd. II. — Bluntſchli,
Allgem. Staatsrecht, Bd. I, S. 289 u. ff. — Die Hauptſache iſt jedoch
das Studium tüchtiger ariſtokratiſcher Verfaſſungen ſo namentlich der von
Sparta, von Rom, von Venedig und von Bern.
²⁾ Ein merkwürdiges Beiſpiel von einer inneren Abtheilung in der
Ariſtokratie iſt das venetianiſche »Serrar del consiglio,« wodurch die größere
Anzahl der Geſchlechter von der Erwerbung der höchſten Würden ausge-
ſchloſſen wurde.
³⁾ Vortreffliche Einrichtungen zur ſtaatsmänniſchen Erziehung der
jüngeren Mitglieder der Ariſtokratie beſtanden in Rom durch den regelmäßi-
gen Stufengang in der Bekleidung öffentlicher Aemter; ſodann in Bern theils
durch dieſelbe Einrichtung, theils aber durch die frühzeitige Bildung der
ganzen Jugend in Staatsgeſchäften mittelſt eines Scheinbildes der Regierung,
in welchem alle wirklichen Aemter ebenfalls verliehen und die im Leben
vorkommenden Geſchäfte zur Uebung betrieben wurden.
⁴⁾ Ein Uebermaß von Mißtrauen war es, wenn die venetianiſche
Ariſtokratie in ſpäterer Zeit den Befehl des Landheeres keinem aus ihrer
eigenen Mitte mehr anvertraute, ſondern einen fremden Feldherrn miethete.
Wenn der Ariſtokratie irgend eine Aufgabe zufällt, ſo iſt es die Führerſchaft
im Kriege. Gegen einen Mißbrauch des Ruhmes und des Einfluſſes eines
Feldherrn zu ehrgeizigen eigenen Planen laſſen ſich genügende Vorkehrungen
treffen, ſo lange die ganze Staatsform überhaupt noch Lebensfähigkeit hat.
Fehlt dieſe aber, ſo fällt die Ariſtokratie um ſo ſchneller zuſammen, wenn
ſie ſelbſt die Gewohnheit des Kriegsbefehles verlor.
⁵⁾ Die Ueberwachung der venetianiſchen Nobili durch den Rath der
Zehn und die Staatsinquiſitoren, ſodann die vielfachen beſonderen Be-
ſchränkungen derſelben durch Geſetz und Gewohnheit beweiſen deutlich, daß
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