Die Aristokratie ist diejenige Form des Rechtsstaates, in welcher die Staatsgewalt von verhältnißmäßig We- nigen besessen und ausgeübt wird, und zwar aus eigenem Rechte. -- Eine bestimmte Verhältnißzahl ist nicht anzu- geben; nur müssen allerdings, wenn der Begriff aufrecht erhal- ten sein soll, die Regierenden in entschiedener Minderheit gegenüber von der Gesammtmenge des Volkes sein. Der Besitz der Gewalt aus eignem Rechte aber ist nothwendig, weil offenbar Derjenige oder Diejenigen, welchen eine Ernennung der Re- gierenden und eine Uebertragung der Staatsgewalt zustünde, die eigentlichen Inhaber der letzteren wären, und somit die Aristokratie gar keine eigenthümliche Staatsart, sondern nur eine mehr oder weniger zweckmäßig eingerichtete Form entweder der Monarchie oder der repräsentativen Demokratie bildete. Wahl-Aristokratie ist ein Widerspruch in sich selbst 1).
Im positiven Rechte mag die Erwerbung der Gewalt von Seiten einer Minderzahl auf verschiedene Weise vor sich gehen; soll aber die Aristokratie im Systeme des philosophischen Staats- rechtes eine Stelle einnehmen, so muß ein zureichender Grund für diese Bevorzugung nachgewiesen werden können. In Er- mangelung einer unbedingten logischen Nothwendigkeit reicht freilich auch hier zu einem berechtigten Dasein eine entschiedene Tauglichkeit zur Erreichung des Zweckes des Rechtsstaates aus.
Auf den ersten Blick bieten sich zweierlei Gründe einer solchen Tauglichkeit bestimmter Weniger dar: ein entschiedener thatsächlicher Einfluß auf die Gesellschaft und das Volk; und der Besitz ausgezeichneter Eigenschaften zu einer guten Regierung. In dem ersten Falle besitzt nämlich die regierende Minderheit die Mittel, die aus ihrem Willen hervorgegangenen Staats-
§ 47. β. Die Ariſtokratie.
Die Ariſtokratie iſt diejenige Form des Rechtsſtaates, in welcher die Staatsgewalt von verhältnißmäßig We- nigen beſeſſen und ausgeübt wird, und zwar aus eigenem Rechte. — Eine beſtimmte Verhältnißzahl iſt nicht anzu- geben; nur müſſen allerdings, wenn der Begriff aufrecht erhal- ten ſein ſoll, die Regierenden in entſchiedener Minderheit gegenüber von der Geſammtmenge des Volkes ſein. Der Beſitz der Gewalt aus eignem Rechte aber iſt nothwendig, weil offenbar Derjenige oder Diejenigen, welchen eine Ernennung der Re- gierenden und eine Uebertragung der Staatsgewalt zuſtünde, die eigentlichen Inhaber der letzteren wären, und ſomit die Ariſtokratie gar keine eigenthümliche Staatsart, ſondern nur eine mehr oder weniger zweckmäßig eingerichtete Form entweder der Monarchie oder der repräſentativen Demokratie bildete. Wahl-Ariſtokratie iſt ein Widerſpruch in ſich ſelbſt 1).
Im poſitiven Rechte mag die Erwerbung der Gewalt von Seiten einer Minderzahl auf verſchiedene Weiſe vor ſich gehen; ſoll aber die Ariſtokratie im Syſteme des philoſophiſchen Staats- rechtes eine Stelle einnehmen, ſo muß ein zureichender Grund für dieſe Bevorzugung nachgewieſen werden können. In Er- mangelung einer unbedingten logiſchen Nothwendigkeit reicht freilich auch hier zu einem berechtigten Daſein eine entſchiedene Tauglichkeit zur Erreichung des Zweckes des Rechtsſtaates aus.
Auf den erſten Blick bieten ſich zweierlei Gründe einer ſolchen Tauglichkeit beſtimmter Weniger dar: ein entſchiedener thatſächlicher Einfluß auf die Geſellſchaft und das Volk; und der Beſitz ausgezeichneter Eigenſchaften zu einer guten Regierung. In dem erſten Falle beſitzt nämlich die regierende Minderheit die Mittel, die aus ihrem Willen hervorgegangenen Staats-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><pbfacs="#f0362"n="348"/><divn="8"><head>§ 47.<lb/><hirendition="#i">β</hi>. <hirendition="#g">Die Ariſtokratie</hi>.</head><lb/><p>Die <hirendition="#g">Ariſtokratie</hi> iſt diejenige Form des Rechtsſtaates,<lb/>
in welcher die Staatsgewalt von <hirendition="#g">verhältnißmäßig We-<lb/>
nigen</hi> beſeſſen und ausgeübt wird, und zwar aus <hirendition="#g">eigenem<lb/>
Rechte</hi>. — Eine beſtimmte Verhältnißzahl iſt nicht anzu-<lb/>
geben; nur müſſen allerdings, wenn der Begriff aufrecht erhal-<lb/>
ten ſein ſoll, die Regierenden in entſchiedener Minderheit<lb/>
gegenüber von der Geſammtmenge des Volkes ſein. Der Beſitz<lb/>
der Gewalt aus eignem Rechte aber iſt nothwendig, weil offenbar<lb/>
Derjenige oder Diejenigen, welchen eine Ernennung der Re-<lb/>
gierenden und eine Uebertragung der Staatsgewalt zuſtünde,<lb/>
die eigentlichen Inhaber der letzteren wären, und ſomit die<lb/>
Ariſtokratie gar keine eigenthümliche Staatsart, ſondern nur<lb/>
eine mehr oder weniger zweckmäßig eingerichtete Form entweder<lb/>
der Monarchie oder der repräſentativen Demokratie bildete.<lb/>
Wahl-Ariſtokratie iſt ein Widerſpruch in ſich ſelbſt <hirendition="#sup">1</hi>).</p><lb/><p>Im poſitiven Rechte mag die Erwerbung der Gewalt von<lb/>
Seiten einer Minderzahl auf verſchiedene Weiſe vor ſich gehen;<lb/>ſoll aber die Ariſtokratie im Syſteme des philoſophiſchen Staats-<lb/>
rechtes eine Stelle einnehmen, ſo muß ein zureichender Grund<lb/>
für dieſe Bevorzugung nachgewieſen werden können. In Er-<lb/>
mangelung einer unbedingten logiſchen Nothwendigkeit reicht<lb/>
freilich auch hier zu einem berechtigten Daſein eine entſchiedene<lb/>
Tauglichkeit zur Erreichung des Zweckes des Rechtsſtaates aus.</p><lb/><p>Auf den erſten Blick bieten ſich zweierlei Gründe einer<lb/>ſolchen Tauglichkeit beſtimmter Weniger dar: ein entſchiedener<lb/>
thatſächlicher Einfluß auf die Geſellſchaft und das Volk; und<lb/>
der Beſitz ausgezeichneter Eigenſchaften zu einer guten Regierung.<lb/>
In dem erſten Falle beſitzt nämlich die regierende Minderheit<lb/>
die Mittel, die aus ihrem Willen hervorgegangenen Staats-<lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[348/0362]
§ 47.
β. Die Ariſtokratie.
Die Ariſtokratie iſt diejenige Form des Rechtsſtaates,
in welcher die Staatsgewalt von verhältnißmäßig We-
nigen beſeſſen und ausgeübt wird, und zwar aus eigenem
Rechte. — Eine beſtimmte Verhältnißzahl iſt nicht anzu-
geben; nur müſſen allerdings, wenn der Begriff aufrecht erhal-
ten ſein ſoll, die Regierenden in entſchiedener Minderheit
gegenüber von der Geſammtmenge des Volkes ſein. Der Beſitz
der Gewalt aus eignem Rechte aber iſt nothwendig, weil offenbar
Derjenige oder Diejenigen, welchen eine Ernennung der Re-
gierenden und eine Uebertragung der Staatsgewalt zuſtünde,
die eigentlichen Inhaber der letzteren wären, und ſomit die
Ariſtokratie gar keine eigenthümliche Staatsart, ſondern nur
eine mehr oder weniger zweckmäßig eingerichtete Form entweder
der Monarchie oder der repräſentativen Demokratie bildete.
Wahl-Ariſtokratie iſt ein Widerſpruch in ſich ſelbſt 1).
Im poſitiven Rechte mag die Erwerbung der Gewalt von
Seiten einer Minderzahl auf verſchiedene Weiſe vor ſich gehen;
ſoll aber die Ariſtokratie im Syſteme des philoſophiſchen Staats-
rechtes eine Stelle einnehmen, ſo muß ein zureichender Grund
für dieſe Bevorzugung nachgewieſen werden können. In Er-
mangelung einer unbedingten logiſchen Nothwendigkeit reicht
freilich auch hier zu einem berechtigten Daſein eine entſchiedene
Tauglichkeit zur Erreichung des Zweckes des Rechtsſtaates aus.
Auf den erſten Blick bieten ſich zweierlei Gründe einer
ſolchen Tauglichkeit beſtimmter Weniger dar: ein entſchiedener
thatſächlicher Einfluß auf die Geſellſchaft und das Volk; und
der Beſitz ausgezeichneter Eigenſchaften zu einer guten Regierung.
In dem erſten Falle beſitzt nämlich die regierende Minderheit
die Mittel, die aus ihrem Willen hervorgegangenen Staats-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/362>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.