ihnen zum Nutzen gereichenden Staatseinrichtungen selbst tragen; und sie sind nicht berechtigt, das, was sie selbst zu leisten hätten, späteren Geschlechtern aufzubürden. So ergibt es sich denn als allgemeiner Grundsatz, daß die Aufnahme von Staats- schulden vom Rechtsstandpunkte aus zu verwerfen ist. Nur wenn ein ebenfalls auf die Nachkommen übergehender Vortheil von mindestens gleicher Bedeutung mittelst einer Schuld er- worben wird, findet das Verfahren keinen rechtlichen Anstand 6). Wenn aber, wie sich dies allerdings begeben mag, eine uner- läßliche Ausgabe nicht aus den laufenden Einnahmen bestritten werden kann, z. B. der Aufwand für einen Vertheidigungskrieg, und somit allerdings eine Schuldenaufnahme nicht zu vermeiden ist: muß wenigstens gefordert werden, daß dieselbe in so kurzer Zeit getilgt werde, daß die Handelnden selbst auch noch die Folgen tragen.
1) Eine wissenschaftliche Behandlung des Staatshaushaltes kann, namentlich bei den Einnahmen, auch Erörterungen vom Rechtsstandpunkte aus nicht wohl vermeiden; daher denn die besseren Schriften dieser Gattung auch für das Verwaltungsrecht von Bedeutung sind. So denn namentlich das Hauptwerk, Rau's Finanzwissenschaft, (3. Aufl., 1850.) Von den Lehrern des Staatsrechtes ist namentlich Bluntschli, (Allgem. Staatsrecht, Bd. II, S. 369 fg.) auch hier bemerkenswerth durch Klarheit der Gedanken und richtiges Urtheil über das Ausführbare; Stahl aber (Staatslehre, S. 576 fg.) durch geistreiche und kecke Scheingründe. Eine eigene ausführliche Erörterung des gesammten Staatshaushaltes aus dem Gesichtspunkte des Rechtes scheint nicht zu bestehen.
2) Wenn in einzelnen Fällen ständische Korporationen nicht blos die Verwilligung und die Kontrole der Staatsgelder haben, sondern selbst eine eigene Finanzverwaltung führen, d. h. Einnahmen erheben und Staatsaus- gaben unmittelbar bezahlen: so mag eine solche Einrichtung in vorange- gangenen Erfahrungen von Mißbräuchen des Staatsoberhauptes eine ge- schichtliche Erklärung finden, aber Billigung kann ihr nicht zu Theil werden, da sie die Einheit der Staatsgewalt zersplittert, die Stellung der Stände ganz verkehrt und leicht zu den widerwärtigsten Streitigkeiten und zu neuen Mißbräuchen Veranlassung gibt. Gar keinen Sinn hat aber eine solche Abweichung vom Grundsatze, wenn Ständen nur die Verwaltung eines Theiles des Staatshaushaltes eingeräumt ist, ohne daß sie eine der zu
ihnen zum Nutzen gereichenden Staatseinrichtungen ſelbſt tragen; und ſie ſind nicht berechtigt, das, was ſie ſelbſt zu leiſten hätten, ſpäteren Geſchlechtern aufzubürden. So ergibt es ſich denn als allgemeiner Grundſatz, daß die Aufnahme von Staats- ſchulden vom Rechtsſtandpunkte aus zu verwerfen iſt. Nur wenn ein ebenfalls auf die Nachkommen übergehender Vortheil von mindeſtens gleicher Bedeutung mittelſt einer Schuld er- worben wird, findet das Verfahren keinen rechtlichen Anſtand 6). Wenn aber, wie ſich dies allerdings begeben mag, eine uner- läßliche Ausgabe nicht aus den laufenden Einnahmen beſtritten werden kann, z. B. der Aufwand für einen Vertheidigungskrieg, und ſomit allerdings eine Schuldenaufnahme nicht zu vermeiden iſt: muß wenigſtens gefordert werden, daß dieſelbe in ſo kurzer Zeit getilgt werde, daß die Handelnden ſelbſt auch noch die Folgen tragen.
1) Eine wiſſenſchaftliche Behandlung des Staatshaushaltes kann, namentlich bei den Einnahmen, auch Erörterungen vom Rechtsſtandpunkte aus nicht wohl vermeiden; daher denn die beſſeren Schriften dieſer Gattung auch für das Verwaltungsrecht von Bedeutung ſind. So denn namentlich das Hauptwerk, Rau’s Finanzwiſſenſchaft, (3. Aufl., 1850.) Von den Lehrern des Staatsrechtes iſt namentlich Bluntſchli, (Allgem. Staatsrecht, Bd. II, S. 369 fg.) auch hier bemerkenswerth durch Klarheit der Gedanken und richtiges Urtheil über das Ausführbare; Stahl aber (Staatslehre, S. 576 fg.) durch geiſtreiche und kecke Scheingründe. Eine eigene ausführliche Erörterung des geſammten Staatshaushaltes aus dem Geſichtspunkte des Rechtes ſcheint nicht zu beſtehen.
2) Wenn in einzelnen Fällen ſtändiſche Korporationen nicht blos die Verwilligung und die Kontrole der Staatsgelder haben, ſondern ſelbſt eine eigene Finanzverwaltung führen, d. h. Einnahmen erheben und Staatsaus- gaben unmittelbar bezahlen: ſo mag eine ſolche Einrichtung in vorange- gangenen Erfahrungen von Mißbräuchen des Staatsoberhauptes eine ge- ſchichtliche Erklärung finden, aber Billigung kann ihr nicht zu Theil werden, da ſie die Einheit der Staatsgewalt zerſplittert, die Stellung der Stände ganz verkehrt und leicht zu den widerwärtigſten Streitigkeiten und zu neuen Mißbräuchen Veranlaſſung gibt. Gar keinen Sinn hat aber eine ſolche Abweichung vom Grundſatze, wenn Ständen nur die Verwaltung eines Theiles des Staatshaushaltes eingeräumt iſt, ohne daß ſie eine der zu
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ihnen zum Nutzen gereichenden Staatseinrichtungen ſelbſt tragen;
und ſie ſind nicht berechtigt, das, was ſie ſelbſt zu leiſten hätten,
ſpäteren Geſchlechtern aufzubürden. So ergibt es ſich denn
als allgemeiner Grundſatz, daß die Aufnahme von Staats-
ſchulden vom Rechtsſtandpunkte aus zu verwerfen iſt. Nur
wenn ein ebenfalls auf die Nachkommen übergehender Vortheil
von mindeſtens gleicher Bedeutung mittelſt einer Schuld er-
worben wird, findet das Verfahren keinen rechtlichen Anſtand 6).
Wenn aber, wie ſich dies allerdings begeben mag, eine uner-
läßliche Ausgabe nicht aus den laufenden Einnahmen beſtritten
werden kann, z. B. der Aufwand für einen Vertheidigungskrieg,
und ſomit allerdings eine Schuldenaufnahme nicht zu vermeiden
iſt: muß wenigſtens gefordert werden, daß dieſelbe in ſo kurzer
Zeit getilgt werde, daß die Handelnden ſelbſt auch noch die
Folgen tragen.
¹⁾ Eine wiſſenſchaftliche Behandlung des Staatshaushaltes kann,
namentlich bei den Einnahmen, auch Erörterungen vom Rechtsſtandpunkte
aus nicht wohl vermeiden; daher denn die beſſeren Schriften dieſer Gattung
auch für das Verwaltungsrecht von Bedeutung ſind. So denn namentlich das
Hauptwerk, Rau’s Finanzwiſſenſchaft, (3. Aufl., 1850.) Von den Lehrern
des Staatsrechtes iſt namentlich Bluntſchli, (Allgem. Staatsrecht, Bd. II,
S. 369 fg.) auch hier bemerkenswerth durch Klarheit der Gedanken und
richtiges Urtheil über das Ausführbare; Stahl aber (Staatslehre, S. 576 fg.)
durch geiſtreiche und kecke Scheingründe. Eine eigene ausführliche Erörterung
des geſammten Staatshaushaltes aus dem Geſichtspunkte des Rechtes ſcheint
nicht zu beſtehen.
²⁾ Wenn in einzelnen Fällen ſtändiſche Korporationen nicht blos die
Verwilligung und die Kontrole der Staatsgelder haben, ſondern ſelbſt eine
eigene Finanzverwaltung führen, d. h. Einnahmen erheben und Staatsaus-
gaben unmittelbar bezahlen: ſo mag eine ſolche Einrichtung in vorange-
gangenen Erfahrungen von Mißbräuchen des Staatsoberhauptes eine ge-
ſchichtliche Erklärung finden, aber Billigung kann ihr nicht zu Theil werden,
da ſie die Einheit der Staatsgewalt zerſplittert, die Stellung der Stände
ganz verkehrt und leicht zu den widerwärtigſten Streitigkeiten und zu neuen
Mißbräuchen Veranlaſſung gibt. Gar keinen Sinn hat aber eine ſolche
Abweichung vom Grundſatze, wenn Ständen nur die Verwaltung eines
Theiles des Staatshaushaltes eingeräumt iſt, ohne daß ſie eine der zu
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/309>, abgerufen am 24.07.2024.
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