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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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9) Die Staatsprüfungen sind hier nur vom rechtlichen Standpunkte
aufgefaßt. Daß das System, wenn die Forderungen der Ausdehnung oder
dem Inhalte nach übertrieben werden und unverständig sind, auch großen
Schaden anrichten kann, namentlich durch Verhinderung einer freieren allge-
meinen menschlichen Bildung; und daß Prüfungen überhaupt kein Mittel
zur Erkundung jeglicher Art von guten Eigenschaften sind: ist freilich eine
leidige Wahrheit, welche sich eben jetzt aller Orten aufdrängt. Das Uebel
ist zum Theil so groß geworden, daß man sich gegen alle Prüfungen
überhaupt erklären möchte, wären dieselben nicht einiger Schutz gegen
Begünstigung unbrauchbarer Verwandter oder Hochgeborener. -- Vgl. den
Aufsatz: Ueber Staatsdienstprüfungen, in der D. Viertel-J.-Schr., Nr. XVI,
S. 79 fg.; Morgenstern, Mensch, Volksleben und Staat, Bd. I, S.
191 fg.
10) Die Ausübung des Amtes geschieht im Auftrage des Staates und
zu dessen Zwecken und in keiner Weise als ein Privatrecht des Dieners und
zu seinem Nutzen. Wenn also die höhere Staatsgewalt von dem Beamten
die gänzliche oder theilweise Einstellung seiner Thätigkeit verlangt, so mag
dieß zu mißbilligen sein und vielleicht, je nach der Verfassung des concreten
Staates, zu Beschwerden und weiteren Rechtshandlungen eines zum Schutze
der Gesetze und gesetzlichen Einrichtungen Berechtigten (z. B. der Stände-
versammlung) Veranlassung geben: aber der Beamte selbst hat keine Befug-
niß, trotz des Verbotes weitere amtliche Handlungen vorzunehmen, und
wären solche ohne Gültigkeit. Eine andere oben, S. 260, beantwortete,
Frage ist die über die Fortdauer der Ansprüche eines Beamten an Gehalt
und Rang auch nach entzogenem Dienstauftrage.
11) Gewöhnlich wird der volle gerichtliche Schutz gegen willkürliche
Entfernung aus dem Amte nur den mit einer Richterstelle Beauftragten
gewährt, Verwaltungsbeamten dagegen nur eine geringere Sicherstellung in
Aussicht gestellt, etwa Spruch einer obersten collegialischen Behörde oder
dgl. In ganzen Ländern, z. B. in Frankreich, ist nicht einmal davon die
Rede, sondern das Schicksal der Verwaltungsbeamten ganz in die Willkür der
Regierung gegeben. Hierzu ist durchaus kein Grund, vielmehr der Mangel
an einer Sicherstellung der Verwaltung höchst nachtheilig. Daß bei den
Richtern noch ein weiterer Grund zum Schutze im gewissenhaft besorgten
Amte kömmt, nämlich das Verlangen nach einer unabhängigen Rechtspflege,
ist wahr; allein sämmtliche andere Gründe für eine gesicherte Stellung
sprechen auch für die Vewaltungsbeamten. Es darf kühn behauptet werden,
daß die, wenigstens gewöhnliche, Sicherstellung der Verwaltungsbeamten in
Deutschland ein, vielleicht nicht gehörig anerkanntes, Correctiv vielfach un-
günstiger politischer Zustande ist; und so lange Frankreich seine Verwaltungs-
beamten der Willkür Preis giebt, werden alle Bemühungen um wissen-
9) Die Staatsprüfungen ſind hier nur vom rechtlichen Standpunkte
aufgefaßt. Daß das Syſtem, wenn die Forderungen der Ausdehnung oder
dem Inhalte nach übertrieben werden und unverſtändig ſind, auch großen
Schaden anrichten kann, namentlich durch Verhinderung einer freieren allge-
meinen menſchlichen Bildung; und daß Prüfungen überhaupt kein Mittel
zur Erkundung jeglicher Art von guten Eigenſchaften ſind: iſt freilich eine
leidige Wahrheit, welche ſich eben jetzt aller Orten aufdrängt. Das Uebel
iſt zum Theil ſo groß geworden, daß man ſich gegen alle Prüfungen
überhaupt erklären möchte, wären dieſelben nicht einiger Schutz gegen
Begünſtigung unbrauchbarer Verwandter oder Hochgeborener. — Vgl. den
Aufſatz: Ueber Staatsdienſtprüfungen, in der D. Viertel-J.-Schr., Nr. XVI,
S. 79 fg.; Morgenſtern, Menſch, Volksleben und Staat, Bd. I, S.
191 fg.
10) Die Ausübung des Amtes geſchieht im Auftrage des Staates und
zu deſſen Zwecken und in keiner Weiſe als ein Privatrecht des Dieners und
zu ſeinem Nutzen. Wenn alſo die höhere Staatsgewalt von dem Beamten
die gänzliche oder theilweiſe Einſtellung ſeiner Thätigkeit verlangt, ſo mag
dieß zu mißbilligen ſein und vielleicht, je nach der Verfaſſung des concreten
Staates, zu Beſchwerden und weiteren Rechtshandlungen eines zum Schutze
der Geſetze und geſetzlichen Einrichtungen Berechtigten (z. B. der Stände-
verſammlung) Veranlaſſung geben: aber der Beamte ſelbſt hat keine Befug-
niß, trotz des Verbotes weitere amtliche Handlungen vorzunehmen, und
wären ſolche ohne Gültigkeit. Eine andere oben, S. 260, beantwortete,
Frage iſt die über die Fortdauer der Anſprüche eines Beamten an Gehalt
und Rang auch nach entzogenem Dienſtauftrage.
11) Gewöhnlich wird der volle gerichtliche Schutz gegen willkürliche
Entfernung aus dem Amte nur den mit einer Richterſtelle Beauftragten
gewährt, Verwaltungsbeamten dagegen nur eine geringere Sicherſtellung in
Ausſicht geſtellt, etwa Spruch einer oberſten collegialiſchen Behörde oder
dgl. In ganzen Ländern, z. B. in Frankreich, iſt nicht einmal davon die
Rede, ſondern das Schickſal der Verwaltungsbeamten ganz in die Willkür der
Regierung gegeben. Hierzu iſt durchaus kein Grund, vielmehr der Mangel
an einer Sicherſtellung der Verwaltung höchſt nachtheilig. Daß bei den
Richtern noch ein weiterer Grund zum Schutze im gewiſſenhaft beſorgten
Amte kömmt, nämlich das Verlangen nach einer unabhängigen Rechtspflege,
iſt wahr; allein ſämmtliche andere Gründe für eine geſicherte Stellung
ſprechen auch für die Vewaltungsbeamten. Es darf kühn behauptet werden,
daß die, wenigſtens gewöhnliche, Sicherſtellung der Verwaltungsbeamten in
Deutſchland ein, vielleicht nicht gehörig anerkanntes, Correctiv vielfach un-
günſtiger politiſcher Zuſtande iſt; und ſo lange Frankreich ſeine Verwaltungs-
beamten der Willkür Preis giebt, werden alle Bemühungen um wiſſen-
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[263/0277] ⁹⁾ Die Staatsprüfungen ſind hier nur vom rechtlichen Standpunkte aufgefaßt. Daß das Syſtem, wenn die Forderungen der Ausdehnung oder dem Inhalte nach übertrieben werden und unverſtändig ſind, auch großen Schaden anrichten kann, namentlich durch Verhinderung einer freieren allge- meinen menſchlichen Bildung; und daß Prüfungen überhaupt kein Mittel zur Erkundung jeglicher Art von guten Eigenſchaften ſind: iſt freilich eine leidige Wahrheit, welche ſich eben jetzt aller Orten aufdrängt. Das Uebel iſt zum Theil ſo groß geworden, daß man ſich gegen alle Prüfungen überhaupt erklären möchte, wären dieſelben nicht einiger Schutz gegen Begünſtigung unbrauchbarer Verwandter oder Hochgeborener. — Vgl. den Aufſatz: Ueber Staatsdienſtprüfungen, in der D. Viertel-J.-Schr., Nr. XVI, S. 79 fg.; Morgenſtern, Menſch, Volksleben und Staat, Bd. I, S. 191 fg. ¹⁰⁾ Die Ausübung des Amtes geſchieht im Auftrage des Staates und zu deſſen Zwecken und in keiner Weiſe als ein Privatrecht des Dieners und zu ſeinem Nutzen. Wenn alſo die höhere Staatsgewalt von dem Beamten die gänzliche oder theilweiſe Einſtellung ſeiner Thätigkeit verlangt, ſo mag dieß zu mißbilligen ſein und vielleicht, je nach der Verfaſſung des concreten Staates, zu Beſchwerden und weiteren Rechtshandlungen eines zum Schutze der Geſetze und geſetzlichen Einrichtungen Berechtigten (z. B. der Stände- verſammlung) Veranlaſſung geben: aber der Beamte ſelbſt hat keine Befug- niß, trotz des Verbotes weitere amtliche Handlungen vorzunehmen, und wären ſolche ohne Gültigkeit. Eine andere oben, S. 260, beantwortete, Frage iſt die über die Fortdauer der Anſprüche eines Beamten an Gehalt und Rang auch nach entzogenem Dienſtauftrage. ¹¹⁾ Gewöhnlich wird der volle gerichtliche Schutz gegen willkürliche Entfernung aus dem Amte nur den mit einer Richterſtelle Beauftragten gewährt, Verwaltungsbeamten dagegen nur eine geringere Sicherſtellung in Ausſicht geſtellt, etwa Spruch einer oberſten collegialiſchen Behörde oder dgl. In ganzen Ländern, z. B. in Frankreich, iſt nicht einmal davon die Rede, ſondern das Schickſal der Verwaltungsbeamten ganz in die Willkür der Regierung gegeben. Hierzu iſt durchaus kein Grund, vielmehr der Mangel an einer Sicherſtellung der Verwaltung höchſt nachtheilig. Daß bei den Richtern noch ein weiterer Grund zum Schutze im gewiſſenhaft beſorgten Amte kömmt, nämlich das Verlangen nach einer unabhängigen Rechtspflege, iſt wahr; allein ſämmtliche andere Gründe für eine geſicherte Stellung ſprechen auch für die Vewaltungsbeamten. Es darf kühn behauptet werden, daß die, wenigſtens gewöhnliche, Sicherſtellung der Verwaltungsbeamten in Deutſchland ein, vielleicht nicht gehörig anerkanntes, Correctiv vielfach un- günſtiger politiſcher Zuſtande iſt; und ſo lange Frankreich ſeine Verwaltungs- beamten der Willkür Preis giebt, werden alle Bemühungen um wiſſen-

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/277>, abgerufen am 24.11.2024.