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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Der Egoismus der abstracten Persönlichkeit erhält in der
Familie eine wesentliche Veränderung. Allerdings besteht er
fort bei der Gesammtheit gegenüber von anderen Familien, und
es bezieht auch eine Familie die ganze außer ihr stehende Welt
auf sich zurück und betrachtet sich als deren Mittelpunkt. Da-
gegen tritt unter den Mitgliedern der Familie ein weitreichendes
Aufgaben der Persönlichkeit und Selbstsucht ein, und sie gehen,
wo nicht ganz so doch großentheils, in dem Vereine und gegen-
seitig in einander auf. Daher ist denn auch die Familie die
erste und die größte Schule der Sittlichkeit; und es fehlt da,
wo das Familienleben ungesund ist, an dem wesentlichsten An-
halte und Antriebe zu rein vernünftigem Handeln. Auch die
höheren Gestaltungen des Zusammenlebens kränkeln in solchem
Falle bemerkbar, weil die Grundlage unsicher und faul ist 4).

Die Familie steht unter denselben Arten von Gesetzen,
wie das Einzelleben und allerdings jede Gestaltung des mensch-
lichen Lebens. Es gibt also rechtliche, sittliche, religiöse und
wirthschaftliche Regeln für die Familie. Vor Allem werden
die Verhältnisse der Frauen, als deren ganzes Dasein vorzugs-
weise in der Familie stattfindet und weit weniger in die anderen
Formen des menschlichen Zusammenlebens eingreift oder durch
diese bedingt wird, durch die Familie in allen Beziehungen be-
stimmt, während sie wieder ihrerseits den größten Einfluß auf
Gedeihen oder Verfall derselben haben 5).

1) Die wissenschaftliche Bearbeitung des Gedankens und der Einzel-
heiten des Familienlebens ist durch die socialistische und communistische
Bewegung sehr gefördert worden, indem die verlangte Aufhebung der Familie
eine ernstere Prüfung ihres Wesens und ihrer Geschichte hervorrief. Man
sehe: Bosse, R., Familienleben. Stuttgart u. Tübingen, 1835. -- La-
boulaye
, E., Histoire de la propriete fonciere en Occident. Par.,

1839. -- Ders., Recherches sur la condition civile et politique des
femmes depuis les Romains jusqu' a nos jours. Par., 1843. -- Schützen-
berger
, F., Les lois de l'ordre social. Par.,
1849, Bd. I, S. 249 sq.

Der Egoismus der abſtracten Perſönlichkeit erhält in der
Familie eine weſentliche Veränderung. Allerdings beſteht er
fort bei der Geſammtheit gegenüber von anderen Familien, und
es bezieht auch eine Familie die ganze außer ihr ſtehende Welt
auf ſich zurück und betrachtet ſich als deren Mittelpunkt. Da-
gegen tritt unter den Mitgliedern der Familie ein weitreichendes
Aufgaben der Perſönlichkeit und Selbſtſucht ein, und ſie gehen,
wo nicht ganz ſo doch großentheils, in dem Vereine und gegen-
ſeitig in einander auf. Daher iſt denn auch die Familie die
erſte und die größte Schule der Sittlichkeit; und es fehlt da,
wo das Familienleben ungeſund iſt, an dem weſentlichſten An-
halte und Antriebe zu rein vernünftigem Handeln. Auch die
höheren Geſtaltungen des Zuſammenlebens kränkeln in ſolchem
Falle bemerkbar, weil die Grundlage unſicher und faul iſt 4).

Die Familie ſteht unter denſelben Arten von Geſetzen,
wie das Einzelleben und allerdings jede Geſtaltung des menſch-
lichen Lebens. Es gibt alſo rechtliche, ſittliche, religiöſe und
wirthſchaftliche Regeln für die Familie. Vor Allem werden
die Verhältniſſe der Frauen, als deren ganzes Daſein vorzugs-
weiſe in der Familie ſtattfindet und weit weniger in die anderen
Formen des menſchlichen Zuſammenlebens eingreift oder durch
dieſe bedingt wird, durch die Familie in allen Beziehungen be-
ſtimmt, während ſie wieder ihrerſeits den größten Einfluß auf
Gedeihen oder Verfall derſelben haben 5).

1) Die wiſſenſchaftliche Bearbeitung des Gedankens und der Einzel-
heiten des Familienlebens iſt durch die ſocialiſtiſche und communiſtiſche
Bewegung ſehr gefördert worden, indem die verlangte Aufhebung der Familie
eine ernſtere Prüfung ihres Weſens und ihrer Geſchichte hervorrief. Man
ſehe: Boſſe, R., Familienleben. Stuttgart u. Tübingen, 1835. — La-
boulaye
, E., Histoire de la propriété foncière en Occident. Par.,

1839. — Derſ., Recherches sur la condition civile et politique des
femmes depuis les Romains jusqu’ à nos jours. Par., 1843. — Schützen-
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, F., Les lois de l’ordre social. Par.,
1849, Bd. I, S. 249 sq.
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[13/0027] Der Egoismus der abſtracten Perſönlichkeit erhält in der Familie eine weſentliche Veränderung. Allerdings beſteht er fort bei der Geſammtheit gegenüber von anderen Familien, und es bezieht auch eine Familie die ganze außer ihr ſtehende Welt auf ſich zurück und betrachtet ſich als deren Mittelpunkt. Da- gegen tritt unter den Mitgliedern der Familie ein weitreichendes Aufgaben der Perſönlichkeit und Selbſtſucht ein, und ſie gehen, wo nicht ganz ſo doch großentheils, in dem Vereine und gegen- ſeitig in einander auf. Daher iſt denn auch die Familie die erſte und die größte Schule der Sittlichkeit; und es fehlt da, wo das Familienleben ungeſund iſt, an dem weſentlichſten An- halte und Antriebe zu rein vernünftigem Handeln. Auch die höheren Geſtaltungen des Zuſammenlebens kränkeln in ſolchem Falle bemerkbar, weil die Grundlage unſicher und faul iſt 4). Die Familie ſteht unter denſelben Arten von Geſetzen, wie das Einzelleben und allerdings jede Geſtaltung des menſch- lichen Lebens. Es gibt alſo rechtliche, ſittliche, religiöſe und wirthſchaftliche Regeln für die Familie. Vor Allem werden die Verhältniſſe der Frauen, als deren ganzes Daſein vorzugs- weiſe in der Familie ſtattfindet und weit weniger in die anderen Formen des menſchlichen Zuſammenlebens eingreift oder durch dieſe bedingt wird, durch die Familie in allen Beziehungen be- ſtimmt, während ſie wieder ihrerſeits den größten Einfluß auf Gedeihen oder Verfall derſelben haben 5). ¹⁾ Die wiſſenſchaftliche Bearbeitung des Gedankens und der Einzel- heiten des Familienlebens iſt durch die ſocialiſtiſche und communiſtiſche Bewegung ſehr gefördert worden, indem die verlangte Aufhebung der Familie eine ernſtere Prüfung ihres Weſens und ihrer Geſchichte hervorrief. Man ſehe: Boſſe, R., Familienleben. Stuttgart u. Tübingen, 1835. — La- boulaye, E., Histoire de la propriété foncière en Occident. Par., 1839. — Derſ., Recherches sur la condition civile et politique des femmes depuis les Romains jusqu’ à nos jours. Par., 1843. — Schützen- berger, F., Les lois de l’ordre social. Par., 1849, Bd. I, S. 249 sq.

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/27>, abgerufen am 24.11.2024.