Seite einer Ständeversammlung beschlossene allgemeinen Steuer- verweigerung ein durchaus unerlaubter Schritt ist. Die Ver- sammlung mag alle ihre ungerechtfertigt erscheinenden Ausgaben verweigern, ebenso die ihr schädlich oder unrechtlich dünkenden Einnahmearten verwerfen; es steht ihr ferner zu, Beschwerden und, vielleicht, gerichtliche Klagen gegen verfassungswidrig han- delnde untergeordnete Organe des Staatswillens vorzubringen: aber sie kann nicht dem Staate die gesammten zu seinem Bestande und zur Erfüllung seiner Rechtspflicht nothwendigen Mittel verweigern 10).
Die nach Vorgängen in Nordamerika und in Frankreich vielfach unternommene Zusammenstellung der staatsbürgerlichen und politischen Rechte in kurzen Sätzen, (Erklärungen der Menschen und Bürgerrechte, Grundrechte u. s. w.,) ist ein be- denkliches Unternehmen, welches eine sehr richtige formelle Be- handlung und eine verständige Handhabung verlangt, wenn es nicht mannchfaches Uebel erzeugen soll. Auf der einen Seite mögen nämlich solche allgemeine Grundsätze allerdings einen Wendepunkt in der ganzen Staatsrichtung bezeichnen und fest- stellen, auch für die Gesetzgebung eine Norm zu baldiger Weiter- ausführung abgeben. Auf der andern Seite aber kann leicht eine allzuweite Fassung große Verlegenheiten für verständige Einzel- bestimmungen bereiten und, bis überhaupt eine Ausbildung erfolgt ist, schwere Verwirrung in dem bestehenden Rechte und große Mißverständnisse veranlassen 11). Eine gesetzliche Verkündigung solcher allgemeinster Sätze ist daher nur dann räthlich, wenn dadurch eine wesentliche Veränderung in dem Staate scharf be- zeichnet und der Ausgangspunkt für eine neue Gesetzgebung bleibend festgestellt werden soll, überdieß eine baldige Entwicklung durch einzelne und unmittelbar ausführbare Gesetze in Aussicht steht. Auch ist die überlegteste Fassung nach Inhalt und Form dringend nothwendig; und es bleibt wohl immer das räthlichste,
Seite einer Ständeverſammlung beſchloſſene allgemeinen Steuer- verweigerung ein durchaus unerlaubter Schritt iſt. Die Ver- ſammlung mag alle ihre ungerechtfertigt erſcheinenden Ausgaben verweigern, ebenſo die ihr ſchädlich oder unrechtlich dünkenden Einnahmearten verwerfen; es ſteht ihr ferner zu, Beſchwerden und, vielleicht, gerichtliche Klagen gegen verfaſſungswidrig han- delnde untergeordnete Organe des Staatswillens vorzubringen: aber ſie kann nicht dem Staate die geſammten zu ſeinem Beſtande und zur Erfüllung ſeiner Rechtspflicht nothwendigen Mittel verweigern 10).
Die nach Vorgängen in Nordamerika und in Frankreich vielfach unternommene Zuſammenſtellung der ſtaatsbürgerlichen und politiſchen Rechte in kurzen Sätzen, (Erklärungen der Menſchen und Bürgerrechte, Grundrechte u. ſ. w.,) iſt ein be- denkliches Unternehmen, welches eine ſehr richtige formelle Be- handlung und eine verſtändige Handhabung verlangt, wenn es nicht mannchfaches Uebel erzeugen ſoll. Auf der einen Seite mögen nämlich ſolche allgemeine Grundſätze allerdings einen Wendepunkt in der ganzen Staatsrichtung bezeichnen und feſt- ſtellen, auch für die Geſetzgebung eine Norm zu baldiger Weiter- ausführung abgeben. Auf der andern Seite aber kann leicht eine allzuweite Faſſung große Verlegenheiten für verſtändige Einzel- beſtimmungen bereiten und, bis überhaupt eine Ausbildung erfolgt iſt, ſchwere Verwirrung in dem beſtehenden Rechte und große Mißverſtändniſſe veranlaſſen 11). Eine geſetzliche Verkündigung ſolcher allgemeinſter Sätze iſt daher nur dann räthlich, wenn dadurch eine weſentliche Veränderung in dem Staate ſcharf be- zeichnet und der Ausgangspunkt für eine neue Geſetzgebung bleibend feſtgeſtellt werden ſoll, überdieß eine baldige Entwicklung durch einzelne und unmittelbar ausführbare Geſetze in Ausſicht ſteht. Auch iſt die überlegteſte Faſſung nach Inhalt und Form dringend nothwendig; und es bleibt wohl immer das räthlichſte,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><p><pbfacs="#f0247"n="233"/>
Seite einer Ständeverſammlung beſchloſſene allgemeinen Steuer-<lb/>
verweigerung ein durchaus unerlaubter Schritt iſt. Die Ver-<lb/>ſammlung mag alle ihre ungerechtfertigt erſcheinenden Ausgaben<lb/>
verweigern, ebenſo die ihr ſchädlich oder unrechtlich dünkenden<lb/>
Einnahmearten verwerfen; es ſteht ihr ferner zu, Beſchwerden<lb/>
und, vielleicht, gerichtliche Klagen gegen verfaſſungswidrig han-<lb/>
delnde untergeordnete Organe des Staatswillens vorzubringen:<lb/>
aber ſie kann nicht dem Staate die geſammten zu ſeinem Beſtande<lb/>
und zur Erfüllung ſeiner Rechtspflicht nothwendigen Mittel<lb/>
verweigern <hirendition="#sup">10</hi>).</p><lb/><p>Die nach Vorgängen in Nordamerika und in Frankreich<lb/>
vielfach unternommene Zuſammenſtellung der ſtaatsbürgerlichen<lb/>
und politiſchen Rechte in kurzen Sätzen, (Erklärungen der<lb/>
Menſchen und Bürgerrechte, Grundrechte u. ſ. w.,) iſt ein be-<lb/>
denkliches Unternehmen, welches eine ſehr richtige formelle Be-<lb/>
handlung und eine verſtändige Handhabung verlangt, wenn es<lb/>
nicht mannchfaches Uebel erzeugen ſoll. Auf der einen Seite<lb/>
mögen nämlich ſolche allgemeine Grundſätze allerdings einen<lb/>
Wendepunkt in der ganzen Staatsrichtung bezeichnen und feſt-<lb/>ſtellen, auch für die Geſetzgebung eine Norm zu baldiger Weiter-<lb/>
ausführung abgeben. Auf der andern Seite aber kann leicht eine<lb/>
allzuweite Faſſung große Verlegenheiten für verſtändige Einzel-<lb/>
beſtimmungen bereiten und, bis überhaupt eine Ausbildung erfolgt<lb/>
iſt, ſchwere Verwirrung in dem beſtehenden Rechte und große<lb/>
Mißverſtändniſſe veranlaſſen <hirendition="#sup">11</hi>). Eine geſetzliche Verkündigung<lb/>ſolcher allgemeinſter Sätze iſt daher nur dann räthlich, wenn<lb/>
dadurch eine weſentliche Veränderung in dem Staate ſcharf be-<lb/>
zeichnet und der Ausgangspunkt für eine neue Geſetzgebung<lb/>
bleibend feſtgeſtellt werden ſoll, überdieß eine baldige Entwicklung<lb/>
durch einzelne und unmittelbar ausführbare Geſetze in Ausſicht<lb/>ſteht. Auch iſt die überlegteſte Faſſung nach Inhalt und Form<lb/>
dringend nothwendig; und es bleibt wohl immer das räthlichſte,<lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[233/0247]
Seite einer Ständeverſammlung beſchloſſene allgemeinen Steuer-
verweigerung ein durchaus unerlaubter Schritt iſt. Die Ver-
ſammlung mag alle ihre ungerechtfertigt erſcheinenden Ausgaben
verweigern, ebenſo die ihr ſchädlich oder unrechtlich dünkenden
Einnahmearten verwerfen; es ſteht ihr ferner zu, Beſchwerden
und, vielleicht, gerichtliche Klagen gegen verfaſſungswidrig han-
delnde untergeordnete Organe des Staatswillens vorzubringen:
aber ſie kann nicht dem Staate die geſammten zu ſeinem Beſtande
und zur Erfüllung ſeiner Rechtspflicht nothwendigen Mittel
verweigern 10).
Die nach Vorgängen in Nordamerika und in Frankreich
vielfach unternommene Zuſammenſtellung der ſtaatsbürgerlichen
und politiſchen Rechte in kurzen Sätzen, (Erklärungen der
Menſchen und Bürgerrechte, Grundrechte u. ſ. w.,) iſt ein be-
denkliches Unternehmen, welches eine ſehr richtige formelle Be-
handlung und eine verſtändige Handhabung verlangt, wenn es
nicht mannchfaches Uebel erzeugen ſoll. Auf der einen Seite
mögen nämlich ſolche allgemeine Grundſätze allerdings einen
Wendepunkt in der ganzen Staatsrichtung bezeichnen und feſt-
ſtellen, auch für die Geſetzgebung eine Norm zu baldiger Weiter-
ausführung abgeben. Auf der andern Seite aber kann leicht eine
allzuweite Faſſung große Verlegenheiten für verſtändige Einzel-
beſtimmungen bereiten und, bis überhaupt eine Ausbildung erfolgt
iſt, ſchwere Verwirrung in dem beſtehenden Rechte und große
Mißverſtändniſſe veranlaſſen 11). Eine geſetzliche Verkündigung
ſolcher allgemeinſter Sätze iſt daher nur dann räthlich, wenn
dadurch eine weſentliche Veränderung in dem Staate ſcharf be-
zeichnet und der Ausgangspunkt für eine neue Geſetzgebung
bleibend feſtgeſtellt werden ſoll, überdieß eine baldige Entwicklung
durch einzelne und unmittelbar ausführbare Geſetze in Ausſicht
ſteht. Auch iſt die überlegteſte Faſſung nach Inhalt und Form
dringend nothwendig; und es bleibt wohl immer das räthlichſte,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/247>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.