Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
nur Unsegen und Unzufriedenheit erzeugten und in der Regel mit großer
Unehre endeten. So z. B. die nordamerikanische Conföderation von 1781;
die schweizerische Eidgenossenschaft von 1815; der deutsche Bund. -- Fälle
von Staatseinrichtungen, welche von Anfang an nichts taugten, weil sie
dem Geiste und den Gewohnheiten des Volkes unangemessen waren, sind
dagegen der Einheitsstaat für die Schweiz im J. 1798; die verschiedenen
Republiken in Frankreich; repräsentative Demokratieen in den spanischen
Kolonieen.
2) Beispiele: Das deutsche Reich vor seinem Ende; das französische
Königthum vor der Revolution; die venetianische Aristokratie im 18. Jahrh.;
das englische Parliament vor der Reform; die Türkei (falls diese jemals etwas
taugte.) Um von dem römischen Reiche im Westen und Osten, von dem
Mongolenreiche u. s. w. nicht zu reden.
3) Klägliche Fälle solcher Unzureichenheit aus Mangel an Mitteln zur
Erreichung der Staatszwecke waren die Hunderte von deutschen Zwergstaaten
vor den Secularisationen und Mediatisirungen zu Anfang des 19. Jahr-
hunderts; und sehr verbreitet ist wohl die Ueberzeugung, daß die Aufhebung
unmöglich gewordener Zustände lange nicht weit genug gegangen sei. Auch
sind einzelne der Schweizer Kantone, Monaco u. s. w. hier zu nennen.
4) Hierher gehört der Uebergang deutscher Patrimonial-Staaten in den
Rechtsstaat; die Lossagung herangewachsener Kolonieen vom Mutterlande,
wie z. B. in Nordamerika; die Umwandlung so vieler europäischer unbe-
schränkter Fürstenthümer in Repräsentativ-Staaten.
5) Wie im Leben nicht selten die Bestrebungen nach einer Aenderung
unklar in Zwecken und Mitteln sind, z. B. die Bekämpfung eines Zustandes
sich verwandeln kann in einen Streit mit einer Person, welche der Träger
desselben ist; oder wie umgekehrt die Bekämpfung eines tyrannischen Staats-
oberhauptes zu einem Angriffe auf die bestehende Staatsordnung selbst führt:
so liegen auch in der Literatur die Erörterungen über das Widerstandsrecht
gegen gesetzwidrige Regierungshandlungen oder schlechte Fürsten in bunter
Vermischung mit den Lehren und den Streitschriften über das Recht zu der
Aenderung der Staatsverfassung. Eine scharfe Sonderung beider Gattungen
von Schriften ist daher nicht möglich, so wesentlich verschieden auch ihr
Gegenstand ist. Die Schriften über blos verfassungsmäßigen Gehorsam sind
zusammengestellt in meiner Geschichte und Literatur der Staatswissen-
schaften, Bd. I, S. 320 ff.; von Werken über das Recht und die Politik
der Revolutionen im e. S. sind aber folgende zu bemerken: Aristoteles,
Polit., lib. V. -- Volney, C. F. de, Les Ruines. Par., 1791. -- Fer-
rand
, A. de., Theorie des revolutions. I--IV., Par.,
1817. -- Ehr-
hard
, Ch. D., Ueber das Recht des Volks zu einer Revolution. Jena, 1795.
-- Murhard, Fr., Das Recht der Nation zur Erstrebung zeitgemäßer
nur Unſegen und Unzufriedenheit erzeugten und in der Regel mit großer
Unehre endeten. So z. B. die nordamerikaniſche Conföderation von 1781;
die ſchweizeriſche Eidgenoſſenſchaft von 1815; der deutſche Bund. — Fälle
von Staatseinrichtungen, welche von Anfang an nichts taugten, weil ſie
dem Geiſte und den Gewohnheiten des Volkes unangemeſſen waren, ſind
dagegen der Einheitsſtaat für die Schweiz im J. 1798; die verſchiedenen
Republiken in Frankreich; repräſentative Demokratieen in den ſpaniſchen
Kolonieen.
2) Beiſpiele: Das deutſche Reich vor ſeinem Ende; das franzöſiſche
Königthum vor der Revolution; die venetianiſche Ariſtokratie im 18. Jahrh.;
das engliſche Parliament vor der Reform; die Türkei (falls dieſe jemals etwas
taugte.) Um von dem römiſchen Reiche im Weſten und Oſten, von dem
Mongolenreiche u. ſ. w. nicht zu reden.
3) Klägliche Fälle ſolcher Unzureichenheit aus Mangel an Mitteln zur
Erreichung der Staatszwecke waren die Hunderte von deutſchen Zwergſtaaten
vor den Seculariſationen und Mediatiſirungen zu Anfang des 19. Jahr-
hunderts; und ſehr verbreitet iſt wohl die Ueberzeugung, daß die Aufhebung
unmöglich gewordener Zuſtände lange nicht weit genug gegangen ſei. Auch
ſind einzelne der Schweizer Kantone, Monaco u. ſ. w. hier zu nennen.
4) Hierher gehört der Uebergang deutſcher Patrimonial-Staaten in den
Rechtsſtaat; die Losſagung herangewachſener Kolonieen vom Mutterlande,
wie z. B. in Nordamerika; die Umwandlung ſo vieler europäiſcher unbe-
ſchränkter Fürſtenthümer in Repräſentativ-Staaten.
5) Wie im Leben nicht ſelten die Beſtrebungen nach einer Aenderung
unklar in Zwecken und Mitteln ſind, z. B. die Bekämpfung eines Zuſtandes
ſich verwandeln kann in einen Streit mit einer Perſon, welche der Träger
deſſelben iſt; oder wie umgekehrt die Bekämpfung eines tyranniſchen Staats-
oberhauptes zu einem Angriffe auf die beſtehende Staatsordnung ſelbſt führt:
ſo liegen auch in der Literatur die Erörterungen über das Widerſtandsrecht
gegen geſetzwidrige Regierungshandlungen oder ſchlechte Fürſten in bunter
Vermiſchung mit den Lehren und den Streitſchriften über das Recht zu der
Aenderung der Staatsverfaſſung. Eine ſcharfe Sonderung beider Gattungen
von Schriften iſt daher nicht möglich, ſo weſentlich verſchieden auch ihr
Gegenſtand iſt. Die Schriften über blos verfaſſungsmäßigen Gehorſam ſind
zuſammengeſtellt in meiner Geſchichte und Literatur der Staatswiſſen-
ſchaften, Bd. I, S. 320 ff.; von Werken über das Recht und die Politik
der Revolutionen im e. S. ſind aber folgende zu bemerken: Aristoteles,
Polit., lib. V. — Volney, C. F. de, Les Ruines. Par., 1791. — Fer-
rand
, A. de., Théorie des révolutions. I—IV., Par.,
1817. — Ehr-
hard
, Ch. D., Ueber das Recht des Volks zu einer Revolution. Jena, 1795.
Murhard, Fr., Das Recht der Nation zur Erſtrebung zeitgemäßer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <note place="end" n="1)"><pb facs="#f0181" n="167"/>
nur Un&#x017F;egen und Unzufriedenheit erzeugten und in der Regel mit großer<lb/>
Unehre endeten. So z. B. die nordamerikani&#x017F;che Conföderation von 1781;<lb/>
die &#x017F;chweizeri&#x017F;che Eidgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft von 1815; der deut&#x017F;che Bund. &#x2014; Fälle<lb/>
von Staatseinrichtungen, welche von Anfang an nichts taugten, weil &#x017F;ie<lb/>
dem Gei&#x017F;te und den Gewohnheiten des Volkes unangeme&#x017F;&#x017F;en waren, &#x017F;ind<lb/>
dagegen der Einheits&#x017F;taat für die Schweiz im J. 1798; die ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Republiken in Frankreich; reprä&#x017F;entative Demokratieen in den &#x017F;pani&#x017F;chen<lb/>
Kolonieen.</note><lb/>
            <note place="end" n="2)">Bei&#x017F;piele: Das deut&#x017F;che Reich vor &#x017F;einem Ende; das franzö&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Königthum vor der Revolution; die venetiani&#x017F;che Ari&#x017F;tokratie im 18. Jahrh.;<lb/>
das engli&#x017F;che Parliament vor der Reform; die Türkei (falls die&#x017F;e jemals etwas<lb/>
taugte.) Um von dem römi&#x017F;chen Reiche im We&#x017F;ten und O&#x017F;ten, von dem<lb/>
Mongolenreiche u. &#x017F;. w. nicht zu reden.</note><lb/>
            <note place="end" n="3)">Klägliche Fälle &#x017F;olcher Unzureichenheit aus Mangel an Mitteln zur<lb/>
Erreichung der Staatszwecke waren die Hunderte von deut&#x017F;chen Zwerg&#x017F;taaten<lb/>
vor den Seculari&#x017F;ationen und Mediati&#x017F;irungen zu Anfang des 19. Jahr-<lb/>
hunderts; und &#x017F;ehr verbreitet i&#x017F;t wohl die Ueberzeugung, daß die Aufhebung<lb/>
unmöglich gewordener Zu&#x017F;tände lange nicht weit genug gegangen &#x017F;ei. Auch<lb/>
&#x017F;ind einzelne der Schweizer Kantone, Monaco u. &#x017F;. w. hier zu nennen.</note><lb/>
            <note place="end" n="4)">Hierher gehört der Uebergang deut&#x017F;cher Patrimonial-Staaten in den<lb/>
Rechts&#x017F;taat; die Los&#x017F;agung herangewach&#x017F;ener Kolonieen vom Mutterlande,<lb/>
wie z. B. in Nordamerika; die Umwandlung &#x017F;o vieler europäi&#x017F;cher unbe-<lb/>
&#x017F;chränkter Für&#x017F;tenthümer in Reprä&#x017F;entativ-Staaten.</note><lb/>
            <note place="end" n="5)">Wie im Leben nicht &#x017F;elten die Be&#x017F;trebungen nach einer Aenderung<lb/>
unklar in Zwecken und Mitteln &#x017F;ind, z. B. die Bekämpfung eines Zu&#x017F;tandes<lb/>
&#x017F;ich verwandeln kann in einen Streit mit einer Per&#x017F;on, welche der Träger<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben i&#x017F;t; oder wie umgekehrt die Bekämpfung eines tyranni&#x017F;chen Staats-<lb/>
oberhauptes zu einem Angriffe auf die be&#x017F;tehende Staatsordnung &#x017F;elb&#x017F;t führt:<lb/>
&#x017F;o liegen auch in der Literatur die Erörterungen über das Wider&#x017F;tandsrecht<lb/>
gegen ge&#x017F;etzwidrige Regierungshandlungen oder &#x017F;chlechte Für&#x017F;ten in bunter<lb/>
Vermi&#x017F;chung mit den Lehren und den Streit&#x017F;chriften über das Recht zu der<lb/>
Aenderung der Staatsverfa&#x017F;&#x017F;ung. Eine &#x017F;charfe Sonderung beider Gattungen<lb/>
von Schriften i&#x017F;t daher nicht möglich, &#x017F;o we&#x017F;entlich ver&#x017F;chieden auch ihr<lb/>
Gegen&#x017F;tand i&#x017F;t. Die Schriften über blos verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßigen Gehor&#x017F;am &#x017F;ind<lb/>
zu&#x017F;ammenge&#x017F;tellt in <hi rendition="#g">meiner</hi> Ge&#x017F;chichte und Literatur der Staatswi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaften, Bd. <hi rendition="#aq">I,</hi> S. 320 ff.; von Werken über das Recht und die Politik<lb/>
der Revolutionen im e. S. &#x017F;ind aber folgende zu bemerken: <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Aristoteles</hi>,<lb/>
Polit., lib. V. &#x2014; <hi rendition="#g">Volney</hi>, C. F. de, Les Ruines. Par., 1791. &#x2014; <hi rendition="#g">Fer-<lb/>
rand</hi>, A. de., Théorie des révolutions. I&#x2014;IV., Par.,</hi> 1817. &#x2014; <hi rendition="#g">Ehr-<lb/>
hard</hi>, Ch. D., Ueber das Recht des Volks zu einer Revolution. Jena, 1795.<lb/>
&#x2014; <hi rendition="#g">Murhard</hi>, Fr., Das Recht der Nation zur Er&#x017F;trebung zeitgemäßer<lb/></note>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0181] ¹⁾ nur Unſegen und Unzufriedenheit erzeugten und in der Regel mit großer Unehre endeten. So z. B. die nordamerikaniſche Conföderation von 1781; die ſchweizeriſche Eidgenoſſenſchaft von 1815; der deutſche Bund. — Fälle von Staatseinrichtungen, welche von Anfang an nichts taugten, weil ſie dem Geiſte und den Gewohnheiten des Volkes unangemeſſen waren, ſind dagegen der Einheitsſtaat für die Schweiz im J. 1798; die verſchiedenen Republiken in Frankreich; repräſentative Demokratieen in den ſpaniſchen Kolonieen. ²⁾ Beiſpiele: Das deutſche Reich vor ſeinem Ende; das franzöſiſche Königthum vor der Revolution; die venetianiſche Ariſtokratie im 18. Jahrh.; das engliſche Parliament vor der Reform; die Türkei (falls dieſe jemals etwas taugte.) Um von dem römiſchen Reiche im Weſten und Oſten, von dem Mongolenreiche u. ſ. w. nicht zu reden. ³⁾ Klägliche Fälle ſolcher Unzureichenheit aus Mangel an Mitteln zur Erreichung der Staatszwecke waren die Hunderte von deutſchen Zwergſtaaten vor den Seculariſationen und Mediatiſirungen zu Anfang des 19. Jahr- hunderts; und ſehr verbreitet iſt wohl die Ueberzeugung, daß die Aufhebung unmöglich gewordener Zuſtände lange nicht weit genug gegangen ſei. Auch ſind einzelne der Schweizer Kantone, Monaco u. ſ. w. hier zu nennen. ⁴⁾ Hierher gehört der Uebergang deutſcher Patrimonial-Staaten in den Rechtsſtaat; die Losſagung herangewachſener Kolonieen vom Mutterlande, wie z. B. in Nordamerika; die Umwandlung ſo vieler europäiſcher unbe- ſchränkter Fürſtenthümer in Repräſentativ-Staaten. ⁵⁾ Wie im Leben nicht ſelten die Beſtrebungen nach einer Aenderung unklar in Zwecken und Mitteln ſind, z. B. die Bekämpfung eines Zuſtandes ſich verwandeln kann in einen Streit mit einer Perſon, welche der Träger deſſelben iſt; oder wie umgekehrt die Bekämpfung eines tyranniſchen Staats- oberhauptes zu einem Angriffe auf die beſtehende Staatsordnung ſelbſt führt: ſo liegen auch in der Literatur die Erörterungen über das Widerſtandsrecht gegen geſetzwidrige Regierungshandlungen oder ſchlechte Fürſten in bunter Vermiſchung mit den Lehren und den Streitſchriften über das Recht zu der Aenderung der Staatsverfaſſung. Eine ſcharfe Sonderung beider Gattungen von Schriften iſt daher nicht möglich, ſo weſentlich verſchieden auch ihr Gegenſtand iſt. Die Schriften über blos verfaſſungsmäßigen Gehorſam ſind zuſammengeſtellt in meiner Geſchichte und Literatur der Staatswiſſen- ſchaften, Bd. I, S. 320 ff.; von Werken über das Recht und die Politik der Revolutionen im e. S. ſind aber folgende zu bemerken: Aristoteles, Polit., lib. V. — Volney, C. F. de, Les Ruines. Par., 1791. — Fer- rand, A. de., Théorie des révolutions. I—IV., Par., 1817. — Ehr- hard, Ch. D., Ueber das Recht des Volks zu einer Revolution. Jena, 1795. — Murhard, Fr., Das Recht der Nation zur Erſtrebung zeitgemäßer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/181
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/181>, abgerufen am 28.04.2024.