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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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allseitigen Verlustes an Ansehen reißt das Unzusammengehörige
wieder auseinander und die Spaltung ist tiefer und bitterer
als vorher. Nur in den oben angedeuteten Fällen ist daher
zu einem solchen Versuche zu rathen. -- Nicht zu verwechseln
mit solchen Verbindungen bisheriger Gegner zu gemeinsamer
Regierung sind Vereinigungen mehrerer Parteien zu gemein-
schaftlicher Bekämpfung eines Gegners; solche sind an sich
naturgemäß und häufig auch wirksam. Auf eine Dauer
der Freundschaft nach erreichtem Siege ist jedoch nicht zu
rechnen.

6. Gegenstand der Parteibestrebungen kann jede Be-
ziehung des Staatslebens sein, z. B. Verfassungsform, Freiheit
oder straffe Regierung, Religionsübung, Erbfolgerecht, Verhalten
zum Auslande u. s. w. Am dauerndsten und wohl auch am
heftigsten sind diejenigen Parteien, welche auf einer gesellschaft-
lichen, namentlich auf einer kirchlichen, Grundlage ruhen. In
freien Staaten aber werden zu allen Zeiten zwei Partei-
richtungen sein; eine auf Befestigung und Erweiterung der
negativen Freiheitsrechte gehende, und eine, welche Kraft der
Regierung und Ordnung anstrebt. Beide können wieder in sich
gespalten sein, je nachdem sie in Zwecken und Mitteln gemäßigt
oder der rücksichtslosen Durchführung aller Folgerungen zugeneigt
sind. In solchem Falle mögen dann auch die beiden äußersten
Parteien sich in Gewaltthätigkeit ähneln und selbst mehr Vor-
liebe zu einander haben, als zu ihren eigenen milderen Mei-
nungsgenossen. Dabei sind nicht selten die Parteien durch
Einfluß der Racen und Stämme, geschichtlicher Vorgänge, reli-
giöse Zwistigkeiten auf wunderbare Weise verquickt und zer-
setzt 4). Es ist unstaatsmännisch, irgend einer politischen Partei
unbedingt den Vorzug vor allen andern zuzusprechen; je nach
den wechselnden Bedürfnissen der Zeiten und der Bölker, nach
der Persönlichkeit der Führer, nach den zufälligen Leidenschaften

allſeitigen Verluſtes an Anſehen reißt das Unzuſammengehörige
wieder auseinander und die Spaltung iſt tiefer und bitterer
als vorher. Nur in den oben angedeuteten Fällen iſt daher
zu einem ſolchen Verſuche zu rathen. — Nicht zu verwechſeln
mit ſolchen Verbindungen bisheriger Gegner zu gemeinſamer
Regierung ſind Vereinigungen mehrerer Parteien zu gemein-
ſchaftlicher Bekämpfung eines Gegners; ſolche ſind an ſich
naturgemäß und häufig auch wirkſam. Auf eine Dauer
der Freundſchaft nach erreichtem Siege iſt jedoch nicht zu
rechnen.

6. Gegenſtand der Parteibeſtrebungen kann jede Be-
ziehung des Staatslebens ſein, z. B. Verfaſſungsform, Freiheit
oder ſtraffe Regierung, Religionsübung, Erbfolgerecht, Verhalten
zum Auslande u. ſ. w. Am dauerndſten und wohl auch am
heftigſten ſind diejenigen Parteien, welche auf einer geſellſchaft-
lichen, namentlich auf einer kirchlichen, Grundlage ruhen. In
freien Staaten aber werden zu allen Zeiten zwei Partei-
richtungen ſein; eine auf Befeſtigung und Erweiterung der
negativen Freiheitsrechte gehende, und eine, welche Kraft der
Regierung und Ordnung anſtrebt. Beide können wieder in ſich
geſpalten ſein, je nachdem ſie in Zwecken und Mitteln gemäßigt
oder der rückſichtsloſen Durchführung aller Folgerungen zugeneigt
ſind. In ſolchem Falle mögen dann auch die beiden äußerſten
Parteien ſich in Gewaltthätigkeit ähneln und ſelbſt mehr Vor-
liebe zu einander haben, als zu ihren eigenen milderen Mei-
nungsgenoſſen. Dabei ſind nicht ſelten die Parteien durch
Einfluß der Racen und Stämme, geſchichtlicher Vorgänge, reli-
giöſe Zwiſtigkeiten auf wunderbare Weiſe verquickt und zer-
ſetzt 4). Es iſt unſtaatsmänniſch, irgend einer politiſchen Partei
unbedingt den Vorzug vor allen andern zuzuſprechen; je nach
den wechſelnden Bedürfniſſen der Zeiten und der Bölker, nach
der Perſönlichkeit der Führer, nach den zufälligen Leidenſchaften

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[156/0170] allſeitigen Verluſtes an Anſehen reißt das Unzuſammengehörige wieder auseinander und die Spaltung iſt tiefer und bitterer als vorher. Nur in den oben angedeuteten Fällen iſt daher zu einem ſolchen Verſuche zu rathen. — Nicht zu verwechſeln mit ſolchen Verbindungen bisheriger Gegner zu gemeinſamer Regierung ſind Vereinigungen mehrerer Parteien zu gemein- ſchaftlicher Bekämpfung eines Gegners; ſolche ſind an ſich naturgemäß und häufig auch wirkſam. Auf eine Dauer der Freundſchaft nach erreichtem Siege iſt jedoch nicht zu rechnen. 6. Gegenſtand der Parteibeſtrebungen kann jede Be- ziehung des Staatslebens ſein, z. B. Verfaſſungsform, Freiheit oder ſtraffe Regierung, Religionsübung, Erbfolgerecht, Verhalten zum Auslande u. ſ. w. Am dauerndſten und wohl auch am heftigſten ſind diejenigen Parteien, welche auf einer geſellſchaft- lichen, namentlich auf einer kirchlichen, Grundlage ruhen. In freien Staaten aber werden zu allen Zeiten zwei Partei- richtungen ſein; eine auf Befeſtigung und Erweiterung der negativen Freiheitsrechte gehende, und eine, welche Kraft der Regierung und Ordnung anſtrebt. Beide können wieder in ſich geſpalten ſein, je nachdem ſie in Zwecken und Mitteln gemäßigt oder der rückſichtsloſen Durchführung aller Folgerungen zugeneigt ſind. In ſolchem Falle mögen dann auch die beiden äußerſten Parteien ſich in Gewaltthätigkeit ähneln und ſelbſt mehr Vor- liebe zu einander haben, als zu ihren eigenen milderen Mei- nungsgenoſſen. Dabei ſind nicht ſelten die Parteien durch Einfluß der Racen und Stämme, geſchichtlicher Vorgänge, reli- giöſe Zwiſtigkeiten auf wunderbare Weiſe verquickt und zer- ſetzt 4). Es iſt unſtaatsmänniſch, irgend einer politiſchen Partei unbedingt den Vorzug vor allen andern zuzuſprechen; je nach den wechſelnden Bedürfniſſen der Zeiten und der Bölker, nach der Perſönlichkeit der Führer, nach den zufälligen Leidenſchaften

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/170>, abgerufen am 28.04.2024.