Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Endlich kann der Gesetzgeber keiner seiner Normen eine
Gültigkeit gegen eine höhere Art von Gesetzen geben; also
nicht einfachen Gesetzen gegen Verfassungsgesetze, oder Verord-
nungen gegen einfache Gesetze. Dieß ist unabweisbare Forderung
der Logik; und eben so unabweisbar ist denn auch der Schluß,
daß ein Gesetz von unmöglichem Inhalte auch nicht befolgt
werden kann und sogar nicht befolgt werden darf, sei es vom
einfachen Bürger, sei es von den zur Vollziehung der gültigen
Gesetze
bestimmten Behörden 7).

Eine nothwendige Bedingung der Vollziehbarkeit der Ge-
setze ist deren Bekanntmachung an sämmtliche Betheiligte.
Es kann Gehorsam gegen einen Befehl nicht verlangt werden,
wenn selbst sein Vorhandensein nicht bekannt ist. Nicht nur
ist selbstredend von einer Straffälligkeit wegen Nichtbeachtung
eines Nichtbekannten keine Rede, sei es nun für einfache Staats-
bürger oder für untergeordnete Beamte; sondern es kann sich
sogar begeben, daß der Grundsatz des blos verfassungsmäßigen
Gehorsames, also der Berechtigung zu einem Widerstande, zur
Anwendung kömmt, falls die Vollziehung des nicht bekannt
gemachten Gesetzes im Widerspruche steht mit dem Inhalte der
bisher bestehenden Normen, deren Aufhebung nicht angekündigt
ist. -- Die Mittheilung an die zum Gehorsame zu Verpflichtenden
muß, des Zweckes willen, wirklich und nicht blos dem Scheine
nach erfolgen. Sie hat also auf eine Weise zu geschehen, welche
eine Bekanntschaft mit dem neuen Gesetze den Betheiligten wirk-
lich möglich macht. Also nicht an einem ungewöhnlichen Orte,
wo die Benachrichtigung nicht gesucht wird; nicht in einer Form,
welche den zwingenden Befehl nicht erkennen läßt; nicht in
einer Weise, welche die Gedächtnißeinprägung erschwert; nicht
in einer unverständlichen Sprache 8). (Wo also namentlich in
demselben Reiche von verschiedenen Stämmen der Gesammt-

Endlich kann der Geſetzgeber keiner ſeiner Normen eine
Gültigkeit gegen eine höhere Art von Geſetzen geben; alſo
nicht einfachen Geſetzen gegen Verfaſſungsgeſetze, oder Verord-
nungen gegen einfache Geſetze. Dieß iſt unabweisbare Forderung
der Logik; und eben ſo unabweisbar iſt denn auch der Schluß,
daß ein Geſetz von unmöglichem Inhalte auch nicht befolgt
werden kann und ſogar nicht befolgt werden darf, ſei es vom
einfachen Bürger, ſei es von den zur Vollziehung der gültigen
Geſetze
beſtimmten Behörden 7).

Eine nothwendige Bedingung der Vollziehbarkeit der Ge-
ſetze iſt deren Bekanntmachung an ſämmtliche Betheiligte.
Es kann Gehorſam gegen einen Befehl nicht verlangt werden,
wenn ſelbſt ſein Vorhandenſein nicht bekannt iſt. Nicht nur
iſt ſelbſtredend von einer Straffälligkeit wegen Nichtbeachtung
eines Nichtbekannten keine Rede, ſei es nun für einfache Staats-
bürger oder für untergeordnete Beamte; ſondern es kann ſich
ſogar begeben, daß der Grundſatz des blos verfaſſungsmäßigen
Gehorſames, alſo der Berechtigung zu einem Widerſtande, zur
Anwendung kömmt, falls die Vollziehung des nicht bekannt
gemachten Geſetzes im Widerſpruche ſteht mit dem Inhalte der
bisher beſtehenden Normen, deren Aufhebung nicht angekündigt
iſt. — Die Mittheilung an die zum Gehorſame zu Verpflichtenden
muß, des Zweckes willen, wirklich und nicht blos dem Scheine
nach erfolgen. Sie hat alſo auf eine Weiſe zu geſchehen, welche
eine Bekanntſchaft mit dem neuen Geſetze den Betheiligten wirk-
lich möglich macht. Alſo nicht an einem ungewöhnlichen Orte,
wo die Benachrichtigung nicht geſucht wird; nicht in einer Form,
welche den zwingenden Befehl nicht erkennen läßt; nicht in
einer Weiſe, welche die Gedächtnißeinprägung erſchwert; nicht
in einer unverſtändlichen Sprache 8). (Wo alſo namentlich in
demſelben Reiche von verſchiedenen Stämmen der Geſammt-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0156" n="142"/>
            <p>Endlich kann der Ge&#x017F;etzgeber keiner &#x017F;einer Normen eine<lb/>
Gültigkeit gegen eine <hi rendition="#g">höhere Art</hi> von Ge&#x017F;etzen geben; al&#x017F;o<lb/>
nicht einfachen Ge&#x017F;etzen gegen Verfa&#x017F;&#x017F;ungsge&#x017F;etze, oder Verord-<lb/>
nungen gegen einfache Ge&#x017F;etze. Dieß i&#x017F;t unabweisbare Forderung<lb/>
der Logik; und eben &#x017F;o unabweisbar i&#x017F;t denn auch der Schluß,<lb/>
daß ein Ge&#x017F;etz von unmöglichem Inhalte auch nicht befolgt<lb/>
werden kann und &#x017F;ogar nicht befolgt werden darf, &#x017F;ei es vom<lb/>
einfachen Bürger, &#x017F;ei es von den zur Vollziehung der <hi rendition="#g">gültigen<lb/>
Ge&#x017F;etze</hi> be&#x017F;timmten Behörden <hi rendition="#sup">7</hi>).</p><lb/>
            <p>Eine nothwendige Bedingung der Vollziehbarkeit der Ge-<lb/>
&#x017F;etze i&#x017F;t deren <hi rendition="#g">Bekanntmachung</hi> an &#x017F;ämmtliche Betheiligte.<lb/>
Es kann Gehor&#x017F;am gegen einen Befehl nicht verlangt werden,<lb/>
wenn &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ein Vorhanden&#x017F;ein nicht bekannt i&#x017F;t. Nicht nur<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;tredend von einer Straffälligkeit wegen Nichtbeachtung<lb/>
eines Nichtbekannten keine Rede, &#x017F;ei es nun für einfache Staats-<lb/>
bürger oder für untergeordnete Beamte; &#x017F;ondern es kann &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;ogar begeben, daß der Grund&#x017F;atz des blos verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßigen<lb/>
Gehor&#x017F;ames, al&#x017F;o der Berechtigung zu einem Wider&#x017F;tande, zur<lb/>
Anwendung kömmt, falls die Vollziehung des nicht bekannt<lb/>
gemachten Ge&#x017F;etzes im Wider&#x017F;pruche &#x017F;teht mit dem Inhalte der<lb/>
bisher be&#x017F;tehenden Normen, deren Aufhebung nicht angekündigt<lb/>
i&#x017F;t. &#x2014; Die Mittheilung an die zum Gehor&#x017F;ame zu Verpflichtenden<lb/>
muß, des Zweckes willen, wirklich und nicht blos dem Scheine<lb/>
nach erfolgen. Sie hat al&#x017F;o auf eine Wei&#x017F;e zu ge&#x017F;chehen, welche<lb/>
eine Bekannt&#x017F;chaft mit dem neuen Ge&#x017F;etze den Betheiligten wirk-<lb/>
lich möglich macht. Al&#x017F;o nicht an einem ungewöhnlichen Orte,<lb/>
wo die Benachrichtigung nicht ge&#x017F;ucht wird; nicht in einer Form,<lb/>
welche den zwingenden Befehl nicht erkennen läßt; nicht in<lb/>
einer Wei&#x017F;e, welche die Gedächtnißeinprägung er&#x017F;chwert; nicht<lb/>
in einer unver&#x017F;tändlichen Sprache <hi rendition="#sup">8</hi>). (Wo al&#x017F;o namentlich in<lb/>
dem&#x017F;elben Reiche von ver&#x017F;chiedenen Stämmen der Ge&#x017F;ammt-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0156] Endlich kann der Geſetzgeber keiner ſeiner Normen eine Gültigkeit gegen eine höhere Art von Geſetzen geben; alſo nicht einfachen Geſetzen gegen Verfaſſungsgeſetze, oder Verord- nungen gegen einfache Geſetze. Dieß iſt unabweisbare Forderung der Logik; und eben ſo unabweisbar iſt denn auch der Schluß, daß ein Geſetz von unmöglichem Inhalte auch nicht befolgt werden kann und ſogar nicht befolgt werden darf, ſei es vom einfachen Bürger, ſei es von den zur Vollziehung der gültigen Geſetze beſtimmten Behörden 7). Eine nothwendige Bedingung der Vollziehbarkeit der Ge- ſetze iſt deren Bekanntmachung an ſämmtliche Betheiligte. Es kann Gehorſam gegen einen Befehl nicht verlangt werden, wenn ſelbſt ſein Vorhandenſein nicht bekannt iſt. Nicht nur iſt ſelbſtredend von einer Straffälligkeit wegen Nichtbeachtung eines Nichtbekannten keine Rede, ſei es nun für einfache Staats- bürger oder für untergeordnete Beamte; ſondern es kann ſich ſogar begeben, daß der Grundſatz des blos verfaſſungsmäßigen Gehorſames, alſo der Berechtigung zu einem Widerſtande, zur Anwendung kömmt, falls die Vollziehung des nicht bekannt gemachten Geſetzes im Widerſpruche ſteht mit dem Inhalte der bisher beſtehenden Normen, deren Aufhebung nicht angekündigt iſt. — Die Mittheilung an die zum Gehorſame zu Verpflichtenden muß, des Zweckes willen, wirklich und nicht blos dem Scheine nach erfolgen. Sie hat alſo auf eine Weiſe zu geſchehen, welche eine Bekanntſchaft mit dem neuen Geſetze den Betheiligten wirk- lich möglich macht. Alſo nicht an einem ungewöhnlichen Orte, wo die Benachrichtigung nicht geſucht wird; nicht in einer Form, welche den zwingenden Befehl nicht erkennen läßt; nicht in einer Weiſe, welche die Gedächtnißeinprägung erſchwert; nicht in einer unverſtändlichen Sprache 8). (Wo alſo namentlich in demſelben Reiche von verſchiedenen Stämmen der Geſammt-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/156
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/156>, abgerufen am 27.04.2024.