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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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der Bürger sich die Leitung der allgemeinen Angelegenheiten
selbst vorbehält, und in voller Versammlung darüber beschließt 4).

Fünfte Hauptgattung. Der Rechtsstaat der Neuzeit.
Derselbe steht in doppeltem Gegensatze, einerseits gegen die
Theokratie, andererseits gegen den antiken Staat. Gegen
jene, insoferne dem gegenwärtigen Leben auf der Erde ein
Selbstzweck, und zwar als solcher die möglichst vollständige
Ausbildung aller menschlichen Kräfte, eingeräumt und die Ord-
nung des Zusammenlebens in diesem Sinne verlangt, das
Glaubensleben aber nur als eine einzelne Seite dieser Ent-
wickelung betrachtet und die Organisation desselben nur auf
ihren unmittelbaren Bereich und Zweck beschränkt wird. Gegen
den Staat der alten Völker aber insoferne, als der Zweck und
Nutzen des Staates nicht erst in einem gedeihlichen Gesammt-
leben sondern in der unmittelbaren Befriedigung des Einzelnen
und der besonderen gesellschaftlichen Kreise gesucht wird. Der
Einzelne geht hier so wenig im Ganzen, der Mensch so wenig
im Bürger unter, daß vielmehr umgekehrt der Staat seine
Leistungen nach den subjectiven vernünftigen Forderungen der
Einzelnen ausdehnt und zusammenzieht, und der Einzelne nur
wegen der Erreichung seiner menschlichen Zwecke Bürger ist. --
Die Arten dieser großen Staatsgattung sind in erster Linie
nach denselben Bestimmungsgründen einzutheilen, wie im antiken
Staate; also sind auch hier Fürstenherrschaften, Regierungen
der Vornehmen, endlich Volksherrschaften zu unterscheiden.
Allein es haben sich auch einzelne dieser Arten weiter entwickelt
und abgezweigt; namentlich die Monarchie und die Demokratie.
Es zerfällt nämlich die erste im neuzeitigen Rechtsstaate in eine
unbeschränkte, eine ständische und eine Fürstenherrschaft
mit Volksvertretung, je nachdem die Regierungsgewalt
Einer Person ohne äußere Schranken für die Art der Anwen-
dung übertragen ist, oder aber gewisse Classen des Volkes

der Bürger ſich die Leitung der allgemeinen Angelegenheiten
ſelbſt vorbehält, und in voller Verſammlung darüber beſchließt 4).

Fünfte Hauptgattung. Der Rechtsſtaat der Neuzeit.
Derſelbe ſteht in doppeltem Gegenſatze, einerſeits gegen die
Theokratie, andererſeits gegen den antiken Staat. Gegen
jene, inſoferne dem gegenwärtigen Leben auf der Erde ein
Selbſtzweck, und zwar als ſolcher die möglichſt vollſtändige
Ausbildung aller menſchlichen Kräfte, eingeräumt und die Ord-
nung des Zuſammenlebens in dieſem Sinne verlangt, das
Glaubensleben aber nur als eine einzelne Seite dieſer Ent-
wickelung betrachtet und die Organiſation desſelben nur auf
ihren unmittelbaren Bereich und Zweck beſchränkt wird. Gegen
den Staat der alten Völker aber inſoferne, als der Zweck und
Nutzen des Staates nicht erſt in einem gedeihlichen Geſammt-
leben ſondern in der unmittelbaren Befriedigung des Einzelnen
und der beſonderen geſellſchaftlichen Kreiſe geſucht wird. Der
Einzelne geht hier ſo wenig im Ganzen, der Menſch ſo wenig
im Bürger unter, daß vielmehr umgekehrt der Staat ſeine
Leiſtungen nach den ſubjectiven vernünftigen Forderungen der
Einzelnen ausdehnt und zuſammenzieht, und der Einzelne nur
wegen der Erreichung ſeiner menſchlichen Zwecke Bürger iſt. —
Die Arten dieſer großen Staatsgattung ſind in erſter Linie
nach denſelben Beſtimmungsgründen einzutheilen, wie im antiken
Staate; alſo ſind auch hier Fürſtenherrſchaften, Regierungen
der Vornehmen, endlich Volksherrſchaften zu unterſcheiden.
Allein es haben ſich auch einzelne dieſer Arten weiter entwickelt
und abgezweigt; namentlich die Monarchie und die Demokratie.
Es zerfällt nämlich die erſte im neuzeitigen Rechtsſtaate in eine
unbeſchränkte, eine ſtändiſche und eine Fürſtenherrſchaft
mit Volksvertretung, je nachdem die Regierungsgewalt
Einer Perſon ohne äußere Schranken für die Art der Anwen-
dung übertragen iſt, oder aber gewiſſe Claſſen des Volkes

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[101/0115] der Bürger ſich die Leitung der allgemeinen Angelegenheiten ſelbſt vorbehält, und in voller Verſammlung darüber beſchließt 4). Fünfte Hauptgattung. Der Rechtsſtaat der Neuzeit. Derſelbe ſteht in doppeltem Gegenſatze, einerſeits gegen die Theokratie, andererſeits gegen den antiken Staat. Gegen jene, inſoferne dem gegenwärtigen Leben auf der Erde ein Selbſtzweck, und zwar als ſolcher die möglichſt vollſtändige Ausbildung aller menſchlichen Kräfte, eingeräumt und die Ord- nung des Zuſammenlebens in dieſem Sinne verlangt, das Glaubensleben aber nur als eine einzelne Seite dieſer Ent- wickelung betrachtet und die Organiſation desſelben nur auf ihren unmittelbaren Bereich und Zweck beſchränkt wird. Gegen den Staat der alten Völker aber inſoferne, als der Zweck und Nutzen des Staates nicht erſt in einem gedeihlichen Geſammt- leben ſondern in der unmittelbaren Befriedigung des Einzelnen und der beſonderen geſellſchaftlichen Kreiſe geſucht wird. Der Einzelne geht hier ſo wenig im Ganzen, der Menſch ſo wenig im Bürger unter, daß vielmehr umgekehrt der Staat ſeine Leiſtungen nach den ſubjectiven vernünftigen Forderungen der Einzelnen ausdehnt und zuſammenzieht, und der Einzelne nur wegen der Erreichung ſeiner menſchlichen Zwecke Bürger iſt. — Die Arten dieſer großen Staatsgattung ſind in erſter Linie nach denſelben Beſtimmungsgründen einzutheilen, wie im antiken Staate; alſo ſind auch hier Fürſtenherrſchaften, Regierungen der Vornehmen, endlich Volksherrſchaften zu unterſcheiden. Allein es haben ſich auch einzelne dieſer Arten weiter entwickelt und abgezweigt; namentlich die Monarchie und die Demokratie. Es zerfällt nämlich die erſte im neuzeitigen Rechtsſtaate in eine unbeſchränkte, eine ſtändiſche und eine Fürſtenherrſchaft mit Volksvertretung, je nachdem die Regierungsgewalt Einer Perſon ohne äußere Schranken für die Art der Anwen- dung übertragen iſt, oder aber gewiſſe Claſſen des Volkes

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/115>, abgerufen am 01.05.2024.