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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Was ist die Liebe zum Vaterlande?
Gewinnst oder Verlust sich in das Urtheil mischen dürfe,
das ist eine andre Frage. Jch denke wenn wir wie sie
und sie wie wir handelten: so hätten wir beyde Unrecht;
und so mögen wir umgekehrt auch wohl beyde Recht ha-
ben. Aber es mag ein Problem bleiben.


XIX.
Was ist die Liebe zum Vaterlande?

Ein armer Westfälinger gieng vor einigen Jahren nach
Holland, und erwarb sich dort in kurzer Zeit so
viel, daß er wie andre seines gleichen, aus einem mit
Silber beschlagenen Pfeiffenkopfe rauchen konnte, und
nicht allein ein seidenes Halstuch, sondern auch ein Paar
große silberne Schuhschnallen und ein Dutzend silberner
Knöpfe in seinem Wamse trug. Die Leute, bey denen
er arbeitete, liebten ihn, und vermehrten ihm seinen
Lohn in der Maaße, daß er, wie seine andern Landes-
leute ihrer Gewohnheit nach heimgiengen, den Winter
über zu bleiben versprach. Kaum aber waren acht Tage
verflossen, so überfiel ihn eine solche Sehnsucht nach sei-
nem Dorfe, daß er ganz unmuthig und zuletzt gar krank
darüber wurde. Er sprach von nichts als seinen lieben
Eltern und Freunden; die Heiden worauf er gebohren
war, kamen ihm so reitzend und der Nebel in Holland so
stinkend vor, daß er durchaus seinen Dienst verlassen,
und in die elterliche Hütte zurückkehren wollte. Wie ihm
aber sein Herr hierinn nicht zu Willen seyn konnte: so fiel
er zuletzt in eine auszehrende Krankheit, und der Arzt,
welcher immittelst dazu berufen war, erklärte, daß ihn

nichts

Was iſt die Liebe zum Vaterlande?
Gewinnſt oder Verluſt ſich in das Urtheil miſchen duͤrfe,
das iſt eine andre Frage. Jch denke wenn wir wie ſie
und ſie wie wir handelten: ſo haͤtten wir beyde Unrecht;
und ſo moͤgen wir umgekehrt auch wohl beyde Recht ha-
ben. Aber es mag ein Problem bleiben.


XIX.
Was iſt die Liebe zum Vaterlande?

Ein armer Weſtfaͤlinger gieng vor einigen Jahren nach
Holland, und erwarb ſich dort in kurzer Zeit ſo
viel, daß er wie andre ſeines gleichen, aus einem mit
Silber beſchlagenen Pfeiffenkopfe rauchen konnte, und
nicht allein ein ſeidenes Halstuch, ſondern auch ein Paar
große ſilberne Schuhſchnallen und ein Dutzend ſilberner
Knoͤpfe in ſeinem Wamſe trug. Die Leute, bey denen
er arbeitete, liebten ihn, und vermehrten ihm ſeinen
Lohn in der Maaße, daß er, wie ſeine andern Landes-
leute ihrer Gewohnheit nach heimgiengen, den Winter
uͤber zu bleiben verſprach. Kaum aber waren acht Tage
verfloſſen, ſo uͤberfiel ihn eine ſolche Sehnſucht nach ſei-
nem Dorfe, daß er ganz unmuthig und zuletzt gar krank
daruͤber wurde. Er ſprach von nichts als ſeinen lieben
Eltern und Freunden; die Heiden worauf er gebohren
war, kamen ihm ſo reitzend und der Nebel in Holland ſo
ſtinkend vor, daß er durchaus ſeinen Dienſt verlaſſen,
und in die elterliche Huͤtte zuruͤckkehren wollte. Wie ihm
aber ſein Herr hierinn nicht zu Willen ſeyn konnte: ſo fiel
er zuletzt in eine auszehrende Krankheit, und der Arzt,
welcher immittelſt dazu berufen war, erklaͤrte, daß ihn

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[82/0094] Was iſt die Liebe zum Vaterlande? Gewinnſt oder Verluſt ſich in das Urtheil miſchen duͤrfe, das iſt eine andre Frage. Jch denke wenn wir wie ſie und ſie wie wir handelten: ſo haͤtten wir beyde Unrecht; und ſo moͤgen wir umgekehrt auch wohl beyde Recht ha- ben. Aber es mag ein Problem bleiben. XIX. Was iſt die Liebe zum Vaterlande? Ein armer Weſtfaͤlinger gieng vor einigen Jahren nach Holland, und erwarb ſich dort in kurzer Zeit ſo viel, daß er wie andre ſeines gleichen, aus einem mit Silber beſchlagenen Pfeiffenkopfe rauchen konnte, und nicht allein ein ſeidenes Halstuch, ſondern auch ein Paar große ſilberne Schuhſchnallen und ein Dutzend ſilberner Knoͤpfe in ſeinem Wamſe trug. Die Leute, bey denen er arbeitete, liebten ihn, und vermehrten ihm ſeinen Lohn in der Maaße, daß er, wie ſeine andern Landes- leute ihrer Gewohnheit nach heimgiengen, den Winter uͤber zu bleiben verſprach. Kaum aber waren acht Tage verfloſſen, ſo uͤberfiel ihn eine ſolche Sehnſucht nach ſei- nem Dorfe, daß er ganz unmuthig und zuletzt gar krank daruͤber wurde. Er ſprach von nichts als ſeinen lieben Eltern und Freunden; die Heiden worauf er gebohren war, kamen ihm ſo reitzend und der Nebel in Holland ſo ſtinkend vor, daß er durchaus ſeinen Dienſt verlaſſen, und in die elterliche Huͤtte zuruͤckkehren wollte. Wie ihm aber ſein Herr hierinn nicht zu Willen ſeyn konnte: ſo fiel er zuletzt in eine auszehrende Krankheit, und der Arzt, welcher immittelſt dazu berufen war, erklaͤrte, daß ihn nichts

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/94>, abgerufen am 22.11.2024.