Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.Verdienten sie die Krone oder nicht? erkläret hatte, als die besten Eheleute im Dorfe gekrö-net werden könnten? Der Gerichtsherr sagte kaltsinnig: er wolle es lediglich auf den Ausspruch der Menge an- kommen lassen; die gnädige Frau meinte, sie müßten doch etwas für den Schrecken haben; der Pfarrer versicherte, es wären doch immer gute Leute gewesen; und die Ge- meinheit rief einhellig: O, wenn man alle so auf die Pro- be setzen wollte, so möchte der Henker ein ehrlicher Mann seyn. Der einzige Gerichtshalter wollte behaupten, die Sache müßte erst näher untersuchet werden, aber ihm ward befohlen, anstatt der Erbschaft, den Ausspruch zum Protocoll zu nehmen, und die Gerichtsfrau setzte darauf der beste Frau die Krone auf, so wie es der Gerichtsherr dem besten Manne that ... ... Das hätte ich nicht gethan antwortete ich, und wenn Ge- Mösers patr. Phantas. IV. Th. F
Verdienten ſie die Krone oder nicht? erklaͤret hatte, als die beſten Eheleute im Dorfe gekroͤ-net werden koͤnnten? Der Gerichtsherr ſagte kaltſinnig: er wolle es lediglich auf den Ausſpruch der Menge an- kommen laſſen; die gnaͤdige Frau meinte, ſie muͤßten doch etwas fuͤr den Schrecken haben; der Pfarrer verſicherte, es waͤren doch immer gute Leute geweſen; und die Ge- meinheit rief einhellig: O, wenn man alle ſo auf die Pro- be ſetzen wollte, ſo moͤchte der Henker ein ehrlicher Mann ſeyn. Der einzige Gerichtshalter wollte behaupten, die Sache muͤßte erſt naͤher unterſuchet werden, aber ihm ward befohlen, anſtatt der Erbſchaft, den Ausſpruch zum Protocoll zu nehmen, und die Gerichtsfrau ſetzte darauf der beſte Frau die Krone auf, ſo wie es der Gerichtsherr dem beſten Manne that … … Das haͤtte ich nicht gethan antwortete ich, und wenn Ge- Moͤſers patr. Phantaſ. IV. Th. F
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0093" n="81"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Verdienten ſie die Krone oder nicht?</hi></fw><lb/> erklaͤret hatte, als die beſten Eheleute im Dorfe gekroͤ-<lb/> net werden koͤnnten? Der Gerichtsherr ſagte kaltſinnig:<lb/> er wolle es lediglich auf den Ausſpruch der Menge an-<lb/> kommen laſſen; die gnaͤdige Frau meinte, ſie muͤßten doch<lb/> etwas fuͤr den Schrecken haben; der Pfarrer verſicherte,<lb/> es waͤren doch immer gute Leute geweſen; und die Ge-<lb/> meinheit rief einhellig: O, wenn man alle ſo auf die Pro-<lb/> be ſetzen wollte, ſo moͤchte der Henker ein ehrlicher Mann<lb/> ſeyn. Der einzige Gerichtshalter wollte behaupten, die<lb/> Sache muͤßte erſt naͤher unterſuchet werden, aber ihm<lb/> ward befohlen, anſtatt der Erbſchaft, den Ausſpruch zum<lb/> Protocoll zu nehmen, und die Gerichtsfrau ſetzte darauf<lb/> der beſte Frau die Krone auf, ſo wie es der Gerichtsherr<lb/> dem beſten Manne that … …</p><lb/> <p>Das haͤtte ich nicht gethan antwortete ich, und wenn<lb/> auch … O erwiederte der Mann, wenn ſie in der Ver-<lb/> ſammlung geweſen waͤren, und die Anna Catharine Un-<lb/> ruhe in ihrem ehrwuͤrdigen Alter, und ihren Mann in<lb/> ſeinen grauen Haaren geſehen; wenn ſie auf den Phy-<lb/> ſionomien aller Anweſenden nur eine Stimme fuͤr ſie ge-<lb/> leſen haͤtten; wenn ihnen der Pfarrer ſelbſt geſagt haͤtte,<lb/> ſie moͤchten ſich kein Bedenken machen; und wenn das<lb/> Eſſen immittelſt aufgetragen geweſen waͤre: O ſie haͤtten<lb/> es wahrlich nicht kalt werden laſſen. Jch gieng fort, ohne<lb/> weiter zu antworten. Aber was das fuͤr eine Philoſophie<lb/> iſt, einen gutwillig Hahnrey und eine Hure als die beſten<lb/> Eheleute zu kroͤnen! und doch mag ſich der Fall oft ge-<lb/> nug zutragen; die Menſchen im gemeinen Leben haben<lb/> eine ganz andre Praktik, als wir Phyſiologen. Sie laſ-<lb/> ſen dem lieben Gott das Herz richten, und geben demje-<lb/> nigen die Krone, von dem ſie das mehrſte Gute empfan-<lb/> gen. Sie ſind minder ekel wie wir feinen Moraliſten, ob<lb/> ſie aber dabey gewinnen oder verlieren, und ob dieſer<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Moͤſers patr. Phantaſ.</hi><hi rendition="#aq">IV.</hi><hi rendition="#fr">Th.</hi> F</fw><fw place="bottom" type="catch">Ge-</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [81/0093]
Verdienten ſie die Krone oder nicht?
erklaͤret hatte, als die beſten Eheleute im Dorfe gekroͤ-
net werden koͤnnten? Der Gerichtsherr ſagte kaltſinnig:
er wolle es lediglich auf den Ausſpruch der Menge an-
kommen laſſen; die gnaͤdige Frau meinte, ſie muͤßten doch
etwas fuͤr den Schrecken haben; der Pfarrer verſicherte,
es waͤren doch immer gute Leute geweſen; und die Ge-
meinheit rief einhellig: O, wenn man alle ſo auf die Pro-
be ſetzen wollte, ſo moͤchte der Henker ein ehrlicher Mann
ſeyn. Der einzige Gerichtshalter wollte behaupten, die
Sache muͤßte erſt naͤher unterſuchet werden, aber ihm
ward befohlen, anſtatt der Erbſchaft, den Ausſpruch zum
Protocoll zu nehmen, und die Gerichtsfrau ſetzte darauf
der beſte Frau die Krone auf, ſo wie es der Gerichtsherr
dem beſten Manne that … …
Das haͤtte ich nicht gethan antwortete ich, und wenn
auch … O erwiederte der Mann, wenn ſie in der Ver-
ſammlung geweſen waͤren, und die Anna Catharine Un-
ruhe in ihrem ehrwuͤrdigen Alter, und ihren Mann in
ſeinen grauen Haaren geſehen; wenn ſie auf den Phy-
ſionomien aller Anweſenden nur eine Stimme fuͤr ſie ge-
leſen haͤtten; wenn ihnen der Pfarrer ſelbſt geſagt haͤtte,
ſie moͤchten ſich kein Bedenken machen; und wenn das
Eſſen immittelſt aufgetragen geweſen waͤre: O ſie haͤtten
es wahrlich nicht kalt werden laſſen. Jch gieng fort, ohne
weiter zu antworten. Aber was das fuͤr eine Philoſophie
iſt, einen gutwillig Hahnrey und eine Hure als die beſten
Eheleute zu kroͤnen! und doch mag ſich der Fall oft ge-
nug zutragen; die Menſchen im gemeinen Leben haben
eine ganz andre Praktik, als wir Phyſiologen. Sie laſ-
ſen dem lieben Gott das Herz richten, und geben demje-
nigen die Krone, von dem ſie das mehrſte Gute empfan-
gen. Sie ſind minder ekel wie wir feinen Moraliſten, ob
ſie aber dabey gewinnen oder verlieren, und ob dieſer
Ge-
Moͤſers patr. Phantaſ. IV. Th. F
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/93 |
Zitationshilfe: | Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/93>, abgerufen am 27.07.2024. |